Titelverteidiger in Rot

Primoz Roglic zeigt bislang ein tadelloses Rennen. Im Zeitfahren zum Auftakt raste er mit Vollgas zum Sieg und in den Bergen ist er ebenfalls das Maß der Dinge. Nach dem Touraus holte Roglic bei Olympia Zeitfar-Gold und seine Motivation, auch die dritte Vuelta in Folge gewinnen zu wollen, scheint ungebrochen. Sein Team wirkte nicht ganz so stark, wie vielleicht bei der Tour 2020, aber als es darauf ankam, auf der neunten Etappe, waren sie zur Stelle. 

Ist Roglic unschlagbar? Im Moment macht es jedenfalls den Anschein. Am Sonntag fuhr er oft im Stehen, hubbelte ungewöhnlich viel auf dem Rad rum. Man konnte den Eindruck gewinnen, irgendetwas erzeuge bei ihm Unbehagen. Doch als es in den Schlussanstieg ging, war er voll da und erneut der Stärkste. Nach dem Rennen sagte er, dass er hofft gesund zu bleiben und gut durchzukommen. Gelingt dies, wird er am Ende im Roten Trikot auf dem obersten Podest stehen und den dritten Vuelta-Sieg in Folge einfahren.

 

Jakobsen ist endgültig zurück

Nach dem schlimmen Unfall bei der Polen-Rundfahrt 2020 war Fabio Jakobsen bei der Türkei-Rundfahrt 2021 wieder ins Renngeschehen zurückgekehrt. Damals betonte er, weiter kleine Schritte machen zu wollen. Sich wieder an das Rennen gewöhnen, eher der Anfahrer sein und zu schauen, dass sein Körper wieder so leistungsfähig wird, wie er es vor der schweren Verletzung war. Nach und nach wurde Jakobsen besser. Bei der Tour de Wallonie holte er dann seinen ersten Sieg und ließ einen weiteren folgen. Nun die erste Grand Tour seit dem Comeback – der große Härtetest als Sprinter des Teams bei einer großen Rundfahrt. 

Jakobsen war nicht anzumerken, dass er eine schlimme Zeit durchgemacht hat. Es scheint auch so, als habe es mental keine Spuren hinterlassen, dass er mit 80 km/h in Polen im Sprint in die Bande abtauchte und sein Leben hätte beendet sein können. Er bewegt sich wie ein Sprinter, er findet die Lücken, zieht nicht zurück, bleibt scheinbar cool wenn es chaotisch wird und hat die Leistung, zu gewinnen. Zwei Etappensiege holte Fabio Jakobsen bislang bei dieser Vuelta. Man kann ganz klar festhalten: Er ist endgültig zurück an der Weltspitze!

 

Auf und ab und Sprints – untypisch, aber unterhaltsam

Diese Spanien-Rundfahrt ist bislang untypisch sprintlastig. Vier echte Massensprints in der ersten Woche – das gab es zuletzt nicht oft. Dennoch bot das Rennen viel Unterhaltung. Es scheint eine gute Mischung gelungen, mit: Zeitfahren, Sprint, Bergankunft, Sprint, Sprint, Bergankunft, Bergetappe, Sprint, Monster-Bergetappe. Klar, die Fans hätten sich etwas mehr Wind gewünscht, denn wenig ist unterhaltsamer als ein völlig zerfleddertes Peloton, das bei Seitenwind verbissen um Sekunden kämpft.

Doch er Versuch, das Rennen mehr für Sprints zu öffnen und sich dennoch treu zu bleiben, scheint zu funktionieren. Und Berg-Fans müssen sich auch nicht sorgen, die beiden anstehen Wochen bieten ausreichend Kletter-Spektakel.

 

Gesamtwertung bereits vorsortiert

Die Abstände in der Gesamtwertung am ersten Ruhetag sind bereits deutlich. Abgesehen von Enric Mas liegt der Rest von Roglics Konkurrenz bereits recht weit zurück. Lopez hat fast eineinhalb Minuten Rückstand. Bei Haig, Yates und Bernal sind es schon fast zwei Minuten. So groß waren die Abstände zwischen den Favoriten so früh im Rennen zuletzt 2017, als Chris Froome dominierte. 

Die Vuelta ist noch lang und wie schnell Hoffnungen zerplatzen können, konnte man schon bei vielen Rennen beobachten. Doch es scheint, als würden vor allem fünf Fahrer um das Podium kämpfen. Neben Roglic und den beiden Movistar-Fahrern Enric Mas und Miguel Angel Lopez scheinen Adam Yates und Egan Bernal am ehesten in der Lage, bergauf mitzuhalten. Yates hatte bereits unglücklich Zeit verloren und Bernal ist (noch) nicht in der Lage, bergauf bei Roglic und Co mitzuhalten. 

Für das Rennen ist die Konstellation mit jeweils zwei Kapitänen bei Movistar und Ineos vielleicht von Vorteil. Denn so können diese Teams offensiv agieren. Ob man so allerdings auch Roglic in Schwierigkeiten bringen kann, wird sich zeigen. Die letzte Woche wird im Kampf um Rot entscheidend sein – ein schwacher Tag und das Blatt kann sich wenden. Bislang jedoch ist Primoz Roglic sehr souverän.

 

Movistar mit zwei Eisen?

Gleich zwei Fahrer auf dem Podium – Movistar wird sehr zufrieden auf die Gesamtwertung nach neun Etappen schauen. Dabei hatte man bei der ersten Bergankunft wieder etwas Sorge haben können, dass die Mannschaft sich selbst ein Bein stellt. Denn da hatte Enric Mas attackiert und Miguel Angel Lopez fuhr hinterher. Doch im Finale der schweren neunten Etappe wirkte es etwas besser abgestimmt, was die beiden Movistar-Kletterer machten. Klar, hat man zwei Top-Fahrer im Rennen, bei denen nicht ganz klar ist, wer nun wirklich der Stärkere ist, ist es immer ein Drahtseilakt. Aber nun liegt Mas fast eine Minute vor Lopez und die Rollen dürften klar sein, bzw. die taktischen Optionen offensichtlicher. Mas könnte künftig eher defensiver agieren und sich auf Roglic konzentrieren, während Lopez der Mann für einen Angriff wäre, bei dem dann Roglic reagieren muss – oder eben Lopez Zeit gutmacht, was Movistar sicher noch besser gefallen würde.

Taktisch sicher eine gute Ausgangsposition für das Movistar-Team, auch wenn man im Hinterkopf haben muss, dass man beim Zeitfahren am Schlusstag sicher Zeit auf Roglic einbüßen wird. Movistar wurde zuletzt oft belächelt und immer wieder mit Häme überzogen, weil man es nicht hinbekam als Mannschaft die verschiedenen Leader unter einen Hut zu bringen und „als Team“ aufzutreten. Diese Vuelta wäre eine große Chance, damit aufzuräumen und dieses Kapitel mit dem gescheiterten Leader-Trio Valverde-Landa-Quintana endgültig abzuschließen. Kein anderes Team wird in Sachen Taktik so kritisch beäugt wie Movistar. Machen sie es diesmal nicht falsch, könnten sie am Ende mindestens einen Fahrer auf dem Podium haben, das erste Mal seit der Vuelta 2019! Dann hätte man auch den Kritikern etwas entgegenzusetzen.