Tour de France Femmes 2022: Liane Lippert analysiert die Strecke

Vom 24. Juli bis zum 31. Juli 2022 wird die Tour de France der Frauen ausgetragen. DSM-Profi Liane Lippert analysiert die acht Etappen.

Liane Lippert – Strecke Tour de France Femmes 2022

Liane Lippert zählt zu den besten deutschen Radsportlerinnen. Die 23-Jährige hat sich in der Weltspitze etabliert und zeigte auch 2021 eine gute Saison. Vor allem anspruchsvolle Eintagesrennen liegen der Friedrichshafenerin. Bei der Europameisterschaft zeigte sie ihre Qualitäten eindrucksvoll und holte Silber. Leider wurde sie vor der WM krank und konnte dort nicht um Medaillen mitfahren. Auch ohne Saisonsieg bewies sie ihre Klasse. Ein zweiter Etappenplatz bei der Ceratizit Challenge by La Vuelta und Gesamtrang fünf. Dazu ein dritter Etappenrang beim Giro und Gesamtrang vier bei der Thüringen Ladies Tour belegen das.

Explosivität, Kletterqualitäten und ihre offensive Fahrweise zeichnen sie aus. Mit Vorfreude blickt sie auf die Tour de France Femmes 2022 – denn auch dort gibt es Etappen ganz nach ihrem Geschmack. „Als die Strecke präsentiert wurde, war ich echt begeistert. Da ist für jeden was dabei, eine richtig coole Sache„, sagt Lippert über den Streckenverlauf der Tour de France der Frauen 2022.

Der Frauenradsport wird von der Strahlkraft der Tour profitieren und ganz sicher wird das Rennen viel Aufmerksamkeit erzeugen. „Rund um die Präsentation war der Hype schon zu spüren. Da spielt natürlich auch die Premiere von Paris-Roubaix eine Rolle. Die Teams und auch die Fans freuen sich darauf und es ist toll, das zu spüren. Die Strecke ist dafür gebaut, die Leute gut zu unterhalten und ich bin mir sicher, dass es ein spannendes Rennen wird. Es wird wahrscheinlich sogar offener sein, als die Tour der Männer„.

„Wir haben eine lange Etappe, was sicher interessant wird. Dazu Sprints, aber auch Chancen für Fahrerinnen wie mich und am Ende zwei sehr schwere Bergetappen für den Kampf um das Gesamtklassement“, so Lippert. „Ja, es ist kein Zeitfahren dabei, aber für mich ist das kein Problem“, sagt Lippert mit einem Lachen. Für die Zukunft würde sie sich aber schon auch mal ein Zeitfahren wünschen, denn das würde das Rennen dann „komplett machen“. Doch die Organisatoren wollten für die Premiere einen spannenden Parcours, der bis zum Ende den Ausgang des Rennens offen lässt. „Ohne Zeitfahren bleibt es sicher spannender, sonst wären die Abstände wohl deutlich“, so Lippert.

Lippert kennt vor allem die Vogesen-Etappen sehr gut und weiß, wie anspruchsvoll diese Tage werden. „Wir haben dann bereits einige Tage in den Beinen und dann noch zwei so schwere Tage – das wird richtig hart. Ich kenne die Berge gut, war dort bereits mehrfach. Man kann sich auf diesen Etappen nie erholen, das wird richtig eklig!“

Lippert rechnet insgesamt mit einem harten Rennen. „Klar, sind alle motiviert und wollen unbedingt einen Etappensieg einfahren. Da wird es automatisch ein hartes Rennen. So wie der Parcours gemacht ist, wird es wohl keinen Tag geben, wo es mal ruhiger wird. Da wird man die ganze Zeit am Anschlag sein“. Das dürfte nicht ohne Folgen bleiben. „Kann gut sein, dass sich das dann auch auf die Vogesen-Etappen auswirkt, wenn alle müde Beine haben und diese Etappen mit den langen Bergen dann anders ablaufen, als man es jetzt vermuten würde“, so Lippert.

Für den Kampf um den Gesamtsieg kommen für Lippert vor allem die Kletterinnen in Frage. „Wenn es nicht ein ganz verrücktes Rennen wird, sollten die langen Berge in den Vogesen die Entscheidung bringen. Es sind sicher Fahrerinnen wie Annemiek van Vleuten, Kasia Niewiadoma, Cecilie Uttrup Ludwig, Ashleigh Moolman und auch Demi Vollering, die zum Kreis der absoluten Favoritinnen zählen.“

Für Lippert geht es vor allem um ein gutes Tagesergebnis. „Wir müssen mal schauen, wie wir als Team aufgestellt sind, welche Ziele wir genau haben. Wir sind eine sehr starke Mannschaft und haben sicher mehrere Optionen und Ziele im Rennen. Wie wir uns dann für den Kampf um die Gesamtwertung aufstellen, muss man sehen, aber es gibt schon Etappen, wo ich mir persönlich durchaus Chancen ausrechne“, so Lippert. Vor allem die Etappe nach Épernay könnte der 23-Jährigen liegen. In Sachen GC sieht sich Lippert nicht auf Augenhöhe mit den Top-Kletterinnen: „Ich brauche Vorsprung, wenn es in die Vogesen geht. An den langen Bergen kann ich mit den Besten nicht mithalten, aber eine Top10-Platzierung im GC wäre natürlich sehr viel wert“. 

Die Etappen mit Liane Lipperts Einschätzung:

Etappe 1:

Es ist die einzige Etappe für die reinen Sprinter, deshalb werden die Teams alles dafür tun, dass es auch zum Sprint kommt. Das Rennen wird natürlich einen ganz anderen Charakter haben, als bei den Männern, die sich nach drei Wochen hier feiern lassen. Aber es wird sicher ein ganz toller Auftakt vor hoffentlich großartiger Kulisse.

Profil der 1. Etappe der Tour de France Femmes 2022

Etappe 2:

Auch hier könnte es zum Sprint kommen, aber man muss abwarten, wie das Rennen gefahren wird. Das Finale ist nicht einfach und es geht sicher voll zur Sache. Vermutlich wird man eine Gruppe weglassen und dann das Rennen kontrollieren. Aber alle im Feld sind frisch, wollen sich zeigen und unbedingt den Sieg einfahren – das verspricht ein interessantes Finale.

Profil der 2. Etappe der Tour de France Femmes 2022

 

Etappe 3:

Auf diese Etappe freue ich mich sehr. Das Finale ist schwer, vor allem der vorletzte Anstieg, bei dem Julian Alaphilippe bei der Tour de France 2019 seine Attacke setzte. Mir liegt diese Etappe vielleicht von allen am meisten. Auch das Finale in Épernay ist nicht ohne und ich werde es mir vorher noch genau anschauen. Durch das anspruchsvolle Profil wird es sicher bereits Abstände in der Gesamtwertung geben. Das Terrain sollte mir liegen und wenn ich gute Beine habe und eine Chance sehe, werde ich mich nicht zurückhalten.

Profil der 3. Etappe der Tour de France Femmes 2022

 

Etappe 4:

Der erste Teil ist wenig anspruchsvoll, der zweite umso mehr. Auf den unbefestigten Abschnitten in den Weinbergen ist eine gute Radbeherrschung gefragt. Es wird sicher erneut ein heftiges Rennen. Wir haben bei den Frauen keine richtigen Experten für ein solches Terrain, aber es könnte sein, dass sich hier bereits etwas in Sachen Gesamtklassement entscheidet. Ich persönlich bin nicht schlecht auf Schotter, komme ganz gut klar, aber man muss abwarten, wie sich das Rennen entwickelt. Klar ist auch: Man kann sich während der zweiten Hälfte der Etappe nirgends erholen, was definitiv Körner kosten wird. Vielleicht kommt am Ende eine Gruppe durch.

Profil der 4. Etappe der Tour de France Femmes 2022

 

Etappe 5:

Auf diesen Tag bin ich wirklich gespannt. So eine lange Etappe hatten wir noch nicht und die Tage zuvor waren sicher anstrengend. Möglicherweise wird man versuchen, eine kleine Gruppe wegzulassen und dann zu kontrollieren. So ist ein Sprint möglich. Sollte es jedoch windig sein, wird das ein richtig harter Tag und es sind große Überraschungen möglich.

Profil der 5. Etappe der Tour de France Femmes 2022

 

Etappe 6:

Auch das könnte eine heftige Etappe werden. Denn für einige Fahrerinnen ist dies die letzte Chance auf einen Etappensieg, bevor es in die Berge geht. Wer nicht zu den besten Bergfahrerinnen gehört, wird diesen Tag nutzen wollen und so könnte sich ein offensives und schweres Rennen entwickeln. Zudem ist es möglich, dass eine Fahrerin am letzten Hucken (Hügel) All In geht und durchzieht – dann wird es bergab sehr schwer, wieder aufzuschließen. Theoretisch besteht natürlich die Chance auf einen Sprint, aber auf diesem Terrain sind einige Szenarien möglich.

Profil der 6. Etappe der Tour de France Femmes 2022

 

Etappe 7: 

Natürlich sprechen alle über das achte Teilstück mit der schweren Bergankunft zum Abschluss der Rundfahrt – aber auch diese 7. Etappe sollte man nicht unterschätzen – sie ist wirklich extrem schwer. Schon am Anfang wird es ganz sicher hektisch, denn alle wollen vorn in den ersten Berg. Da muss man aufmerksam sein und auch in den Abfahrten konzentriert bleiben. Der Platzerwasel ist lang und schwer, auch die letzte Steigung hat es in sich. Ich kenne die Strecke sehr gut und denke, dass große Abstände möglich sind. Ich freue mich auf diesen Tag, denn ich erwarte viele Fans aus Deutschland und auch mein Fanclub wird dort sein. Das wird sicher toll, sollte ich die Tour fahren. 

Profil der 7. Etappe der Tour de France Femmes 2022

 

Etappe 8: 

Diese letzte Etappe ist das große Finale. Ich bin die Schlusssteigung noch nicht mit dem Rad gefahren, aber auf dem Papier gefällt sie mir, weil sie eher ungleichmäßig ist. Natürlich ist das ein brutaler Berg, der nach acht harten Renntagen auf keinen Fall leichter wird. 

Die Kraftreserven werden eine große Rolle spielen und die mentale Stärke wird sicher bedeutend. Schon der Ballon d’Alsace ist ein heftiger Berg, da kann es manche brechen. Willensstärke ist definitiv gefragt.

Ob die Schlusssteigung tatsächlich zum Berg der Entscheidung wird, muss man abwarten. Denn sollte es schon auf der Schotter-Etappe eskalieren und SD-Works müsste das Trikot nur verteidigen, würden sie sicher einfach eine harte Pace anschlagen und dann muss man schauen, wer kann noch und wer konnte sich irgendwie schonen. Aber so schwer, wie diese letzte Etappe ist, könnte es auch Überraschungen geben.

Profil der 8. Etappe der Tour de France Femmes 2022