Das Team Lotto-Soudal hat einige turbulente Jahre hinter sich. Im Jahr 2018 wurde Paul De Geyter als Chef installiert und baute das Team um. Zumindest versuchte er es, denn nach einigen Querelen wurde er nach wenigen Monaten wieder abgesetzt. John Lelangue übernahm als General Manager und versuchte, das Team erfolgreich fortzuführen. Doch das gelang nur bedingt. Fuhr man 2018 und 2019 noch mehr als 20 Saisonsiege ein (26/23), waren es 2020 und 2021 nur noch 12. Mit Caleb Ewan hat man zwar einen Top-Sprinter und das neue Gesicht des Teams, doch man ist extrem vom kleinen Sprinter abhängig – die Hälfte der Saisonsiege geht auf sein Konto.
Die Abhängigkeit von Ewan zeigte sich bei der Tour de France 2021, als er bereits am vierten Renntag nach Sturz verletzt ausschied. Anschließend waren es die jungen Brent Van Moer und Harry Sweeny, die immerhin für Top10-Tagesresultate sorgten. Für das einst so erfolgreiche belgische Team dürfte der Anspruch jedoch ein anderer sein.
Der andere Top-Star des Teams ist Tim Wellens. Dieser gewann zwar im Februar den Etoile de Bessèges, blieb während dem Rest der Saison jedoch ohne Sieg und größtenteils blass.
Die Klassikerbilanz des Teams ist ebenfalls wenig zufriedenstellend. Zwar holte Florian Vermeersch am Ende der Saison Rang zwei bei Paris-Roubaix, doch im Frühjahr lief es nicht wie gewünscht. Wellens kam bei der Ronde nicht über Rang 25 hinaus. Altmeister Phlippe Gilbert wurde Fünfter beim Omloop, konnte danach aber nicht mehr glänzen. John Degenkolb wurde Siebter bei Le Samyn, sechster bei Tro-Bro Léon und dritter bei der Ronde van Limburg, war bei den großen Klassikern aber nicht der in Lage, ganz vorn mitzufahren. Im Herbst bei Paris-Roubaix ging der Roubaix-Sieger von 2015 dann gehandicapt ins Rennen – war bei der WM eine Woche zuvor bei Tempo 70 km/h schwer gestürzt. So war auch dort für Degenkolb keine Top-Platzierung drin.
In den Ardennen blieben Wellens und Gilbert ebenfalls blass. Tosh Van der Sande holte beim Amstel immerhin ein Top10-Resultat.
In Sachen Gesamtklassement bei den Grand Tours spielt man ohnehin kein Rolle. Bei den italienischen Herbstklassikern waren es Andreas Kron, Stefano Oldani und Stef Cras, die zumindest für ordentliche Resultate sorgten. John Degenkolb gelang beim deutschen WorldTour-Rennen Eschborn-Frankfurt immerhin Rang zwei.
Die Jungen machen Wirbel
Insgesamt war es erneut ein eher schwaches Jahr des Teams. Doch während die älteren Fahrer nicht die Ergebnisse lieferten, die man erwartet hatte, zeigten die jungen Fahrer, welches Potenzial sie besitzen. So zeigte das Team Lotto-Soudal meist ein offensives Rennen und man konnte sehen, dass die vielen jungen Talente, die man zuletzt verpflichtet hatte, eine echte Bereicherung sind. Nicht nur Andreas Kron und Florian Vermeersch zeigten ihr Talent. Auch Sylvain Moniquet, Brent Van Moer, Gerben Thijssen, Harry Sweeny, Stefano Oldani und Sébastien Grignard setzten Ausrufezeichen. Allesamt 23 Jahre alt, oder jünger!
Doch auch hier zeigt sich ein Problem des Teams. Denn irgendwie gelingt es nur bedingt die jungen Fahrer zu entwickeln und dabei ans Team zu binden. Oldani und Thijssen verlassen das Team nach ihren Neo-Jahren, wie schon zuvor Top-Klassikertalent Stan Dewulf, der im vergangenen Winter zu AG2R Citroën wechselte und nun in der Weltspitze angekommen ist.
Umbruch?
In Sachen Fahrerkader gibt es zur Saison 2022 keinen großen Umbruch. Victor Campenaerts kehrt zurück und Michael Schwarzmann und Rüdiger Selig verstärken die Sprintzüge. Dazu hat man die Talente Jarrad Drizners und Arnaud De Lie mit einem Profivertrag ausgestattet. Verlassen werden neben Oldani und Thijssen auch Tosh Van der Sande, Tomasz Marczyński, Kobe Goossens und John Degenkolb das Team.
Doch in der Leitung des Teams gibt es erneut Wechsel. Die altgedienten Herman Frison und Marc Sergeant, welche über Jahre das Team prägten, verlassen die Mannschaft. Ex-Profi Nikolas Maes bekommt nach einem Jahr als Sportlicher Leiter wohl einen verantwortungsvolleren Posten.
Nach turbulenten Jahren scheint das Team weiter auf der Suche nach ruhigerem Fahrwasser. Mit Caleb Ewan hat man einen der wenigen Top-Sprinter der Welt in den eigenen Reihen und dazu eine ganze Reihe junger Talente. Im Jahr 2022 werden erneut die Top-Stars gefordert sein, für die großen Erfolge zu sorgen. Es wäre wichtig, einen Schritt nach vorn zu machen, um den jungen Talenten eine Zukunft zu bieten und sie an sich zu binden. Es scheint so, als wäre das einst so große Team Lotto-Soudal nun schon einige Zeit im Mittelmaß der WorldTour verschwunden. Es da wieder herauszuführen ist wohl eine Mammutaufgabe.
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