Marcello Albasini

Anfang Dezember machte das Team EF Education-Nippo öffentlich, dass man für 2022 ein Development-Team formiert hat und sich künftig darauf konzentrieren wolle, „Talente aus nah und fern in einem unterstützenden Umfeld zu fördern“. Wie üblich beim Team von Jonathan Vaughters werden solch Neuigkeiten eher offensiv als zurückhaltend kommuniziert. Eine der hervorstechenden Eigenschaften des Teams ist ein gutes Gespür für medienwirksame Aktionen.

Die Nachwuchsförderung via Development Team ist nicht neu in der World Tour. Eine ganze Reihe von Teams unterhalten ein eigenes Nachwuchsprogramm. Vor einigen Jahren war es sogar im UCI-Reglement vorgesehen, dass jedes Team ein solches Nachwuchsteam unterhalten solle. Nachwuchsförderung ist nach wie vor ein wichtiges Thema, die Idee von einem verpflichtenden U23-Nachwuchsteam für WorldTeams ließ sich jedoch nicht durchsetzen.

Mit der aktuellen Entwicklung des Radsports, wo immer mehr Fahrer die U23-Zeit komplett überspringen und direkt von den Junioren in die WorldTour gehen, ist ein weiteres Argument gegen die Idee einer „Development-Team-Verpflichtung“ hinzugekommen. Bei Bora-hansgrohe hat man beispielsweise Abstand von einem U23-Team genommen und setzt auf eine Junioren-Equipe als Nachwuchsförderung. Bei AG2R-Citroen, Jumbo-Visma, Groupama-FDJ, DSM oder auch Lotto-Soudal setzt man hingegen auf ein U23-Development-Team.

Naheliegende Kooperation

Auch bei EF Education-Nippo ist man nun den Schritt gegangen, ein Development Team unter die Fittiche zu nehmen. Dabei ist es mehr eine naheliegende Zusammenarbeit zweiter Mannschaften, die ohnehin miteinander verbunden sind. Denn die neue Development-Equipe existierte bereits 2021 als Conti-Team „NIPPO-Provence-PTS“. Mit Schweizer Lizenz und EF als einen der Sponsoren auf dem Trikot. Allein durch Sponsor Nippo & Supplier EF gab es also Gemeinsamkeiten.

„Wir sind super happy, dass wir solch ein Team haben. Wie die Kollaboration künftig ganz genau aussehen wird, kann ich aktuell noch nicht verraten, aber wir wollen das Beste draus machen, so produktiv wie möglich für beide Teams agieren“, sagt Andreas Klier vom Team EF Education-Nippo, der vor allem für die Material-Themen der Zusammenarbeit koordiniert. Es soll eine Kooperation entstehen, die „für beide Seiten hilfreich ist“, „Linien vermischen“ ist die Idee. „Klar ist, die agierenden Personen kennen sich sehr gut, können sehr gut zusammenarbeiten. Es soll für beide positiv sein, keine Last“, sagt Klier und betont, dass man noch mitten in der Aufbauarbeit stecke.

Das Team von Marcello Albasini

Hinter der Conti-Mannschaft „NIPPO-Provence-PTS“ steckt ein alter Hase des Radsports: Marcello Albasini. Der Vater von Ex-Profi Michael Albasini hat sich als Trainer und Sportlicher Leiter weltweit einen Namen gemacht. In seiner langen Radsportkarriere hat der 64-Jährige den Schweizer Nachwuchs betreut, war beim Team IAM, hat eine US-Amerikanische Delegation geleitet, war beim Cervelo Test Team und hat zuletzt Anfang 2021 die Rolle des Schweizer Nationalcoaches an seinen Sohn Michael übergeben. Anschließend widmete er sich dann einem neuen Projekt – dem internationalen Conti-Team NIPPO-Provence-PTS.

Gemeinsam mit Olivier Senn und Robbie Hunter hat er das Team aufgebaut. „Ich mache das nicht zum Zeitvertreib, ich habe da schon Ambitionen“, sagt Albasini und schiebt bezogen auf die Motivation für ein solches Projekt in typisch Schweizer Art nach: „Ich tue mich schwer, kann einfach nicht mit Leuten zusammenarbeiten, die nichts Gescheiteres zu tun haben“. Das soll heißen: Voll mitziehen, oder lassen. Albasini mag keine halben Sachen. „Auch Fahrer die das nicht kapieren, werden tendenziell aussortiert – aber wenn jemand arbeitet, dann kann er immer auf mich zählen“, so Albasini. Bei fast jedem Schweizer Radrennen sieht man Marcello Albasini am Streckenrand. „Marcello ist einfach immer und überall, bei jedem Rennen“, sagt ein Kenner der Schweizer Radsportszene über Albasini.

Klare Anspreche – Marcello Albasini

 

Schwierigkeiten gemeistert

Im Corona-Jahr 2021 ein solches Projekt anzugehen, war nicht ohne Probleme. „Ohne meine Erfahrung, wäre es gescheitert„, sagt Albasini ruhig. Der Schweizer ist ein Mann, der im Radsport fast jeden kennt. Ob Materialprobleme, kurzfristig Staff organisieren oder Einladungen zu Rennen – Albasini weiß, wen er anrufen kann. Sein Netzwerk ist enorm, gerade in der Pandemie ein Riesenvorteil.

Aber auch die Erfahrungen mit vielen Sportlern unterschiedlicher Nationen half ihm in einem schwierigen Jahr. „Ich weiß, dass Fahrer Probleme beklommen können, wenn sie in einem fremden Land sind. Kulturell natürlich, aber es kann auch sonst schwer sein. Ein Fahrer aus Äthiopien beispielsweise hat keinen Kontakt nach Hause. Er weiß nicht, ob seine Eltern noch leben oder nicht – das ist extrem schwer„, sagt Albasini. „Er war bei mir zu Hause, schon in einer familiären Atmosphäre, aber das kann das Problem nicht lösen“, spricht er weiter. Das Zentrum des Teams war in der Schweiz, im Umfeld von Albasini. Das bleibt, auch wenn man künftig nicht mehr unter Schweizer Lizenz starten wird.

„Wir sitzen in der Schweiz, sind aber schon ein internationales Team. Der Service Course ist bei mir, das Teamhaus ist nicht weit weg, ich würde sagen, wir waren 2021 ein internationales Schweizer Team. Wir werden keine Schweizer Lizenz mehr haben, in dem Sinne sind wir kein Schweizer Team mehr, aber wir behalten die Infrastruktur und haben auch alle Schweizer behalten“ so Albasini.

Funktionierende Kommunikation ist stets wichtig – Albasini im Gespräch

Neue Ausrichtung

Im Jahr 2021 musste das Team um Einladungen bei größeren Rennen kämpfen, das ändert sich nun. „Wir waren 2021 neu, haben gekämpft Rennen zu bekommen, es waren vielleicht auch ein paar dabei, die in der Klasse zu hoch waren, aber wir mussten nehmen was wir bekommen. Es war nicht immer einfach, aber auch ganz gut für die Jungs zu sehen, dass es nicht so leicht ist, bei einem 1.1 Rennen aufs Podium zu kommen. Mit den Rennen wird es nun anders sein, denn direkt nach dem Announcement haben wir Anfragen bekommen, ob wir dort starten können. Das ist sehr schön, dass Veranstalter sich melden, das hatte ich so nicht erwartet“, sagt Albasini. Material, Rennen, Sponsoren – für das Conti-Team ist der Gewinn in der Kooperation mit dem Team von Jonathan Vaughters leicht zu erkennen. Für die WorldTour-Equipe geht es vor allem um Talentförderung und Zukunftssicherung.

Bis jetzt ließ Vaughters dem Team um Albasini freie Hand. In Zukunft sei es möglich, dass die WorldTour-Equipe einen bestimmten Fahrertyp sucht oder man ein Talent erspäht hat, welches man zu Devo-Team lotsen will, vermutet Albasini. Einige Fahrer schaffen den Sprung in die World Tour schnell, andere brauchen die ganze U23-Zeit zur Entwicklung. „Das ist sehr unterschiedlich. Wenn ich einen Stefan Bissegger nehme, den ich kenne, seit er 10 Jahre alt ist und er wohnt einen Kilometer von mir entfernt wohnt – wenn man solche Athleten hat, müssen sie nicht die U23 ausfahren. Aber solche gibt es nicht hunderte, das sind Ausnahmen. Es gibt auch Fahrer, die etwas später kommen, beispielsweise eine Berufslehre gemacht haben. Andere brauchen einfach länger, dann ist es gut, die Chance in einem U23-Team zu haben“, so Albasini.

Der Fokus liegt künftig klar auf dem U23-Bereich. „Mehr U23 Fahrer, gezielt ein U23 Programm, das ist schon eine Veränderung“, sagte Albasini. Das Ziel sei es, zu versuchen einen Fahrer in die WorldTour-Mannschaft von EF Education-Nippo zu bringen. „Wenn man ein U23-Development-Team betreibt, muss das das Ziel sein. Die Jungs müssen sich beweisen, über ihre Fahrweise oder Resultate. Wir werden versuchen sie zu zwingen einen zu nehmen, wir wollen uns so präsentieren, dass sie nicht um uns herauskommen“, sagt Albasini mit einem Lachen. Der Kader für 2022 steht – fünf Schweizer, fünf Japaner, dazu ein Däne, ein US-Amerikaner, ein Äthiopier, ein Pole und ein Norweger – eine iternationale Truppe, die sportlich einen Schritt nach vorn machen möchte und sich in der U23-Klasse etablieren will.

Der Kader des Teams EF Education-NIPPO 2022:

Hagos Berhe (Äthiopien)
Jonathan Bögli (Schweiz)
Trym Brennsaeter (Norwegen)
Fabio Christen (Schweiz)
Oliver Wulff Frederiksen (Dänemark)
Masahiro Ishigami (Japan)
Luca Jenni (Schweiz)
Yusuke Kadota (Japan)
Kevin Kuhn (Schweiz)
Hijiri Oda (Japan)
Atsushi Oka (Japan)
Felix Stehli (Schweiz)
Szymon Tracz (Polen)
Yugi Tsuda (Japan)
Ethan Villaneda (USA)