Ben Zwiehoff

Im vergangenen Winter wechselte Ben Zwiehoff vom Mountainbike auf’s Rennrad und wurde mit 26 Jahren Neo-Profi beim Team Bora-hansgrohe. Satte 62 Renntage stehen nach nach seiner ersten Saison als Straßenfahrer zu Buche. Im Herbst bestritt er mit der Vuelta sogar seine erste Grand Tour. „Ich hab dieses Jahr richtig viel gelernt, bin am Ende aber wieder auf dem Mountainbike gelandet“, sagte Zwiehoff im Telefoninterview und lacht.

Nach der erfolgreichen Straßensaison hatte er mit seinem Bora-hansgrohe-Teamkollegen Lennard Kämna das MTB-Rennen Cape Epic bestritten. Es habe ihm Spaß gemacht, zurück wechseln wolle er aber nicht. „Es ist sicher nicht schlecht verschiedene Sachen zu machen, um sich fahrerisch weiter zu entwickeln. Auch Cross- oder Gravel-Rennen kann ich mir vorstellen, aber grundsätzlich bin ich happy auf der Straße und will da bleiben“, sagt Zwiehoff. Er ist auf der Straße angekommen.

Steile Lernkurve

„Meine Lernkurve war extrem steil. Wenn ich sehe, wie ich mich bei der UAE-Tour zu Beginn der Saison bewegt habe, das nun mit der Vuelta vergleiche, das ist schon ein Unterschied„, sagt Zwiehoff. Position halten, sich im Feld bewegen, taktisch die richtigen Entscheidungen treffen – für den MTBler gab es einiges zu lernen. „Am Anfang war alles neu. Ich musste da viel investieren um irgendwie vorn in die Berge reinzukommen. Wenn du 10 Jahre Erfahrungsrückstand hast, merkst du das natürlich“, sagt Zwiehoff. Seine körperlichen Voraussetzungen hatten Ralph Denk überzeugt, den Quereinsteiger in die Mannschaft zu holen. Dass Zwiehoff einige Zeit brauchen würde, sich auf der Straße zurechtzufinden, war allen klar.

„Das Credo war von Beginn an: Immer aufpassen, was die anderen machen. Viele Sachen kann man nicht im Training lernen, die muss man im Rennen erfahren. Ich war nie in der Situation, dass ich mal im Rennen quatschen konnte. Ich hab die ganze Zeit geschaut, was da passiert, welche Züge nach vorn fahren, wer sich wie verhält“. Es dauerte einige Rennen, doch Zwiehoff spürte den Fortschritt. „Bei Vuelta konnte ich dann schon antizipieren, habe sogar mal bei anderen Fahrern einen Fehler erkennen können. Selbst erfahrene Jungs fahren mal im falschen Moment nach, machen mal Fehler. Bei der Vuelta habe ich bewusst wahrgenommen, dass ich auch schon besser klar komme“.

Fokus – Ben Zwiehoff bei der Vuelta 2021

„Jetzt bin ich Straßenfahrer“

Bei der Vuelta musste sich Zwiehoff durchbeißen. Bei einem Massensturz kam er selbst nicht zu Fall, wurde dann aber von einem anderen Fahrer hart am Ellenbogen getroffen, dabei kugelte seine Schulter aus. „Das war super ärgerlich. Deine erste Grand Tour willst du natürlich durchfahren, dich beweisen, nicht beim ersten Gegenwind aufgeben“, sagt Zwiehoff über die Situation. Nach einer kurzen Diskussion mit dem Rennarzt wurde Grünes Licht gegeben.

Die anschließenden Tage waren hart. Einfach Durchbeißen. „Das war schon ein bisschen das volle Straßenprogramm. Es waren wirklich harte Tage, aber dann wurde es besser und in der Schlusswoche lief es gut. Ich konnte dann zeigen, was ich wirklich drauf habe. Als Felix (Anmerkung der Redaktion: Großschartner) auf der 17. Etappe stürzte, konnte ich ihm richtig gut helfen, ihn zurückbringen, das war für das GC extrem wichtig“, sagt Zwiehoff. Er sei fast ein wenig traurig gewesen, als die Vuelta zu Ende war, weil es endlich richtig lief. „Nach der Vuelta habe ich zu meinem Trainer Helmut Dollinger gesagt: Heli, jetzt bin ich Straßenfahrer„.

Vorn im Wind – Ben Zwiehoff

Prozess beschleunigen, Leistung abliefern

Für Zwiehoff geht es darum, seine Leistungen, die er bei einem Test fahren kann, auch auf die Straße zu bringen. Mit seinen 1,82 m wiegt er nur etwas mehr als 60 Kg, seine Watt/kg Leistung machen ihn zu einem starken Bergfahrer. Doch oft verbraucht er einfach zu viele Körner bevor es in den entscheidenden Berg geht, oder es passt die Position nicht. „Aber das wurde während der Saison besser. Beispielsweise bei der Burgos-Rundfahrt, da bin ich weit vorn in den Berg rein. Es waren so ein paar Momente, wo es klick gemacht, genau das wird auch der Schlüssel fürs nächste Jahr. Dass ich vor den Bergen mehr mit Auge agiere, einfach weniger Power verbrauche. Dann kann ich meine Leistung viel besser einsetzen“, so Zwiehoff.

„Ich habe den Motor, aber da gehört dann auch Erfahrung und Taktik dazu, um diese Leistung abliefern zu können. Der positive Trend ist da, der sich fortsetzen wird, aber der lässt sich nur beschleunigen, wenn ich viele Rennen fahre, am besten auf verschiedenen Terrains und bei verschiedenen Rennen“, ist sich Zwiehoff sicher.

 

Künftiger Edelhelfer

Für die Saison 2022 will Zwiehoff an den Feinheiten arbeiten, „kleine Stellschrauben drehen“. „Die Lernkurve war sehr steil, wird nun sicher abflachen“, sagt der 27-Jährige, Er will sich weniger konditionell, sondern vor allem taktisch und auch mental verbessern. Sein Ziel ist klar, er will die Rolle „letzter Mann am Berg“ – der letzte Helfer an der Seite des Klassement-Kapitäns. „Edelhelfer, das ist genau mein Ding„, sagt Zwiehoff voller Überzeugung. Sein Bora-hangrohe-Team steckt mitten im Umbruch – die Sportliche Leitung wurde ausgetauscht, Stars gehen und neue kommen.

Zwiehoff will einen neuen Spirit ausgemacht haben. „Es herrscht ein positiver Spirit. Rolf Aldag hat klar kommuniziert, was seine Strategie ist, er hat alle motiviert und mit seiner Ansprache mitgenommen. Da konnte man seine Erfahrung spüren. Wenn wir alle motiviert bleiben, jeder sich mitziehen lässt, alle positiv der gesamten Nummer gegenüberstehen, dann haben wir definitiv eine Mannschaft die gut genug ist, dass es auch von Anfang an funktionieren kann. Aber es gehört da natürlich auch Glück dazu“, sagt Zwiehoff voller Überzeugung. „Es ist toll, welche Qualität wir hinzubekommen haben. Der Konkurrenzkampf unter den Bergfahrern wird sicher allen gut tun“, sagt Zwiehoff, der als potenzieller Edelhelfer von der Neuausrichtung des Teams auf die Gesamtwertung bei den Rundfahrten sicher profitieren kann.

Klare Ziele, viel entspannter und immer mit Schwung

In der Saison 2022 soll es für Zwiehoff den nächsten Schritt nach vorn gehen. Es gibt einige Rennen, bei denen er gern dabei sein würde. „Auf die Deutsche Meisterschaft im Sauerland, in meinem Trainingsrevier, freue ich mich wirklich sehr“. Auch ein Rennen wie Strade Bianche gefällt ihm. „Das war mein zweites Rennen überhaupt und ich war schon stolz drauf, dass ich es finishen konnte. Auf dem Schotter kann man seine MTB-Skills gut einsetzen. Da kann man auch was Positionierung angeht etwas entspannter sein, weil man auf Schotter leichter ein paar Position gutmachen kann“.

Entspannter sein, weniger nervös vor den Rennen – das ist der Straßenfahrer Ben Zwiehoff. „Es ist für mich leichter, weil ich genau weiß, was mein Job ist. Auf dem Mountainbike musst du immer den Ergebnissen hinterher hetzen, was auch immer etwas Lotterie ist. Auf der Straße ist es berechenbarer“, so Zwiehoff.

„Ich bin insgesamt relaxter geworden, nicht mehr ganz so nervös, das ist wohl der größte Unterschied zum MTB“. Doch auch an seiner Fahrweise hat Zwiehoff Veränderungen ausgemacht. „Du fährst als Straßenprofi ganz anders, siehst viel mehr Möglichkeiten den Schwung mitzunehmen, hast es einfach voll drin, dass du Körner sparst, wo du kannst“. Auf dem MTB war das früher anders. „Mir ist jetzt erst aufgefallen, wie ineffizient viele MTBler fahren. Klar, ich habe das früher auch gemacht, aber jetzt hab ich die Straßenmentalität voll drinsparen, sparen, sparen„, sagt Zwiehoff und lacht.

Dem 27-Jährigen ist die Vorfreude auf die neue Saison anzumerken. Er hat Schwung aus den positiven Erlebnissen der letzten Saisonrennen mitgenommen, sieht das Team verbessert und glaubt für den nächsten Schritt bereit zu sein. Doch auch seine zweite Profisaison beginnt mit Neuland. „Früher war ich immer schon im Dezember recht fit, diesmal überhaupt nicht. Jetzt bin ich wohl offiziell ein Straßenfahrer (lacht). Für mich ist das neu, jetzt nach der langen Pause wieder zu starten. Ich bin echt gespannt, wie sich nach einem ganzen Winter ohne, das erste Rennen anfühlen wird“.