Anton, es ist Ende Dezember, du hast die Berge und den Schnee direkt vor der Tür – wie lange hast du nicht mehr auf dem Rad gesessen?
Rolle fahre ich fast jeden Tag, dass ich draußen gefahren bin, ist gar nicht so lange her. Am 24. Dezember war ich auf Skitour, die Weihnachtstage Langlaufen, davor war ich viel auf dem Rad unterwegs.
Klingt nach einer guten Winter-Mischung in Sachen Sport.
Ja, schon, auch alternativ. Das Wetter war die vergangenen Wochen einfach sehr gut, da bin ich viel Rad gefahren, nur die letzten Tage jetzt weniger. Aber eigentlich geht das hier das ganze Jahr ganz gut, wenn man, wie wir sagen, ins Land rausfährt, in Richtung Chiemsee.
Hast du diesen Winter einen extremen Fokus aufs Rad, oder bist du grundsätzlich auch viel mit den Ski unterwegs?
Ende November bis Anfang Dezember war ich zwei Wochen auf Gran Canaria trainieren, danach das Teamcamp am Tegernsee, ab dann war es dann eine Mischung aus Ski und Rad. Es ist ja schon so, dass ich gern Bergsteigen gehe, oder langlaufen. Ich denke, dass das auch für den Kopf sehr wichtig ist, gerade bei mir. Wenn man bedenkt, dass ich die letzten Jahre immer so 5.000-6.000 Kilometer auf dem Rad unterwegs war, dieses Jahr bin ich seit Mitte März 23.000 km radgefahren. Der Sprung war da schon groß für mich, da ist der Ansatz der Trainer dann abseits der mentalen Komponente schon auch so, dass es für die Muskulatur vielleicht ganz gut ist. Aber ich bin ab Januar vier Wochen auf Malle, da sitze ich dann eh wieder auf dem Rad. Aber es ist schon krass, ich hatte vielleicht 10 Skitouren, in den vergangenen Jahren hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon 100.000 Höhenmeter, da bin ich mit meinen aktuellen 20.000 Hm nicht sehr weit fortgeschritten.
Gab es in der Offseason mal einen Moment, wo du den Wechsel aufs Rad bereut oder hinterfragt hast?
Nein, kein einziges Mal. Es war aber schon so, dass ich auf der ersten Skitour – die dieses Jahr erst im Dezember war, sonst war ich ja schon Anfang Oktober auf den Gletschern unterwegs – gemerkt habe, dass mir das noch immer wahnsinnig viel Spaß macht. Der Bergsport ist schon was ganz spezielles und ich hab wieder gewusst, warum ich das so lange gemacht habe.
Ich würde sogar fast sagen, dass ich das Erlebnis Berg nun intensiver habe, als früher. Mir ist jetzt natürlich auch klar, dass ich am 2. Januar nach Mallorca fliege und dann keinen einzigen Zentimeter Schnee sehe, da genieße ich das jetzt einfach noch mehr auf den Skiern. Gestern bin ich am Abend noch knapp 50 Kilometern langlaufen gewesen, das macht mir einfach Spaß und ich mag das immer noch sehr.
Wechseln wir nun auch thematisch aufs Rad – wo hast du 2021 am meisten dazulernt?
Dazugelernt, naja, ich hab ja bei Null angefangen. Fahren im Feld und sowas, das kannte ich ja alles nicht. Insofern war der Fortschritt schon enorm, wenn ich sehe, was ich bei der Tour of the Alps so fabriziert habe und wie ich dann bei der Vuelta unterwegs war, da kann man schon von einem Riesensprung sprechen. Das waren einfach wahnsinnig lehrreiche und wichtige Stunden. Ich hatte am Ende fast 50 Renntage, das war schon viel für die erste Saison, die erst im April begann. Aber auch sehr wichtig, auch dass ich dann auch die Grand Tour gefahren bin. Ich denke, dass man auf diesem Sommer schon sehr gut aufbauen kann, für die Zukunft.
Du bist sehr unterschiedliche Rennen gefahren. Tour of the Alps, Vuelta, aber am Ende auch noch belgische Eintagesrennen – war das so geplant, damit du die ganze Bandbreite mitbekommst?
Das mit den belgischen Rennen war ziemlich spontan. Wir hatten als Team einige Ausfälle und während der dritten Woche der Vuelta, wo es dann bei mir ganz gut lief, entstand die Idee und ich bin gefragt worden, ob ich mir das vorstellen kann. Ich habe gesagt, hey, das müsst ihr entscheiden. Aber es war dann schon so, dass ich dachte, dass es eine gute Idee sei, dass ich da fahre, auch wenn ich meine Stärke da überhaupt nicht einbringen kann. Ich fand es wahnsinnig gut, dass ich da gefahren bin, denn nun weiß ich endlich mal, was die Klassikerfahrer so drauf haben. Vorher bin ich immer berglastige Rennen gefahren, aber was dort abgeht, in Belgien, das ist ein hartes Brot.
Fandest du die Rennen cool?
Ja, schon. Man hat schon auch gemerkt, dass da der Radsport zu Hause ist. Richtig coole Stimmung an der Strecke. Da ist Positionsfahren schon noch mal was ganz anderes, hat viel höheren Stellenwert. Da wird ja vor jeder Kurve selektiert. Alle wollen vorn fahren, auch wegen der Stürze. Ich war mal im zweiten Feld als es einen Sturz gab, da kommst du dann nie mehr zurück. Das ist schon speziell, hat mir aber auch Spaß gemacht.
Nun verstehst du, warum der Lukas Pöstlberger die flämischen Rennen so sehr mag.
Ja! Das war ganz lustig, nach dem vierten Renntag hab ich Luki gleich angerufen und gesagt, jetzt weiß ich, was du drauf hast. Als ich mittendrin war, habe ich gedacht: Oida, das ist ja Wahnsinn, was da abgeht. Das ist schon ziemlich cool. Mega anspruchsvoll, grad als Bergfahrer. Bei der Tour de Suisse, in den Bergen, beim Hochfahren kann nix passieren, und Runterfahren ist eigentlich auch relativ einfach, aber wenn man da 200 Kilometer mit 1000 Kurven bestreiten muss, dass war für mich schon auch vom Kopf her sehr anspruchsvoll.
Was war der beste Moment deines Radsportjahrs 2021?
Ich würde sagen, das Einzelzeitfahren in Santiago de Compostela. Ich weiß nicht, ob das überhaupt schon mal jemand gemacht hat, nach fünf Monaten Radsport eine Grand Tour fahren. Das ist schon speziell. Ich hatte am sechsten Tag einen Sturz. Die Verletzungen waren nicht so schlimm, bin auf den Randstein gekracht, hatte die Haut ab. Aber das war für mich schon neu, dass man mit Schmerzen Sport macht.
Es ist schon so, dass ich beim Skifahren auch gestürzt bin, aber da war es dann so, dass man dann sich einfach die Zeit genommen hat und auch vom Verband definiert war, wann man wieder einsteigt. Beim Radfahren, da fährt man halt einfach weiter. Und grad der neunte Tag, da hat Damian Caruso ein krasses Solo gehabt. Das war die erste richtig harte Bergetappe, mit 190 Kilometern und 4.800 Höhenmeter, und der Typ ist das einfach in fünf Stunden und fünf Minuten gefahren, oder so. Da waren wir 20 Leute, alles so Sprinter und Invaliden, die echt um die Karenzzeit gefahren sind.
Ich hatte die Tage davor wahnsinnige Schmerzen, habe nicht mehr richtig geschlafen. Da habe ich mich schon gefragt, ob ich da durchkomme. Ich dachte, wenn die Schmerzen nicht besser werden, muss ich am Ruhetag die Heimreise antreten. Aber dann ist es besser geworden und die dritte Woche war dann wirklich die beste Woche, vom Fahren und auch vom Gefühl her. Ich bin in Santiago de Compostela eingerollt und dachte: Wenn man mutig ist, fleißig ist und fest an etwas glaubt, kann man viel schaffen. Klar, ich habe kein Ergebnis eingefahren, aber eine Grand Tour finishen ohne Erfahrung, das war schon was Spezielles für mich.
Bist du jemand, der das dann ausgiebig genießen kann, oder geht der Blick dann schon nach vorn – zum nächsten Schritt?
Ich war als Skibergsteiger die letzten Jahre ja ziemlich ehrgeizig, aber so Pokale aufstellen, das habe ich nie gemacht. Ich habe allein 15 Weltmeisterschaftsmedaillen, die sind irgendwo bei meinen Eltern. Ich bin der Meinung, wenn man noch aktiver Sportler ist, darf man sich nicht auf irgendwas ausruhen. Ich muss ganz ehrlich sagen, und da weiß ich nicht ob ich das schaffe, aber ich will schon wieder erfolgreich sein. Es war cool, dass ich die Vuelta beenden konnte, aber ich habe noch nicht das Gefühl, dass ich den Sprung in den Radsport geschafft habe. Für mich wäre es ein Erfolg, wenn ich Resultate einfahre.
Was war der beste Tipp, den du während der Saison von einem Teamkollegen erhalten hast?
(Lacht) Nach meinen Sturz hat mir Patrick Konrad eine Nachricht geschrieben, ich glaube er hat gewusst, dass es nicht so einfach für mich war. Er schrieb: Toni, es gibt eine Regel im Radsport, hör nie auf zu treten, dann kommst du auch irgendwann an. Das fand ich lustig. Ich hatte Schmerzen, war am Sand (Anmerk.: in körperlich schlechtem Zustand), und das war der Kommentar vom Tour de France Etappensieger.
Was hast du in dem Jahr über dich gelernt?
Die wichtigste Erkenntnis kam erst während der Offseason. Nach den Belgischen Rennen war ich auch körperlich am Sand. Hatte Wassereinlagerungen und es hat schon gedauert, bis das alles wieder weg war. Dennoch ist mir klargeworden – Toni, das war die richtige Entscheidung.
Gerade mein Berchtesgadener Umfeld hat mich gefragt: Bist du eigentlich happy? Früher bist du zu Rennen gefahren, um zu gewinnen, warst du sehr erfolgreich, hast Siege geholt, Weltcups gewonnen, heute bist du ´ne Nummer im großen System. Aber es taugt mir voll. Es waren richtig, richtig harte Lehrtage und Monate. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich eine Grand Tour fahren würde. Aber ich bin der Meinung, der Mensch gehört gefordert. Nicht überfordert, aber auch nicht unterfordert. Es taugt mir alles, das professionelle Umfeld, das ganze Team – man muss dankbar sein, wenn man ein Teil davon sein kann.
Wie war der Kontakt während der Saison zu Ralph Denk? Er hatte dich ins Team geholt und stets betont, dass er hinter eurem gemeinsamen Projekt steht – hat er bei dir öfter mal nachgefragt, oder war er wie zu jedem anderen Fahrer auch?
Ralph hatte mir in der Nacht nach der Vuelta noch eine Nachricht geschrieben, dass er sich freut, dass ich in Santiago angekommen bin und er sich auf das freut, was kommt. Das fand ich schön. Klar, sind da schon ganz andere Kaliber im Team. Aber ich denke, dass ihm und der ganzen Mannschaft bewusst war, dass es nicht einfach wird. Aber es standen alle hinter dem Projekt.
Es hat keiner zu mir gesagt, dass ich in meiner ersten Saison Rennen gewinnen muss, oder so. Um Gottes willen. Aber die Nachricht vom Chef hat mich dann schon gefreut. Ich denke, das macht ihn menschlich. Ich mag ihn wahnsinnig gern, er ist ein großer Visionär. Man muss bedenken, er hat ein Radteam mit fast 100 Leuten, er gibt da 100 Leuten einen Arbeitsplatz und wenn man sich anschaut, was er in den vergangenen Jahren aufgebaut hat, da kann man nur den Hut ziehen.
Ralph ist sehr klar und entschlossen, was seinen Weg angeht. Bei dir hatte ich schon das Gefühl, dass er besonders nachsichtig ist.
Ja, ich glaube, dass er mich auch einfach gern mag. Ich glaube, dass ihm das taugt, dass ich aus Bayern komme und er einen bayrischen Rennstall hat.
Und das du ein verrückter Hund bist, das mag er auch?
Ja, mit Sicherheit. Das ist auch der Grund, warum es mir so gut im Team gefällt. Ich bin jetzt zwar Fahrer von Bora-hansgrohe, aber ich bin auch immer noch Fan. Das war ich schon bevor die Gespräche begonnen hatten. Andere sind Bayern-München-Fans, ich war nie Fußballfan. Für mich war Bora-hansgrohe schon immer gut.
Was sagen deine Ski-Freunde, wo bist du schon ein richtiger Radfahrer geworden?
Naja, eigentlich gibts da nicht viel. Aber ich gehe ja mit Stefan Knopf oft zusammen Radfahren. Früher gab es nie einen Coffee-Stop. Das hat mich immer genervt, ich wollte einfach weiterfahren und dann haben wir nach fünf Stunden fertig. Aber nun, der Lifestyle ist wichtig und für den Stoffwechsel ist das ganz gut, habe ich das jetzt auch eingeführt. Also auch wenn ich mit meiner Freundin Radfahren gehe, oder mit den Kumpels von damals, machen wir jetzt immer einen Coffee-Stop. Die Leute denken dann vielleicht, was ist denn jetzt los, aber man gewöhnt sich da schon ein wenig dran.