Miguel Heidemann ist einer der acht deutschen Neo-Profis im Jahr 2022. Und das ganz entgegen dem Trend, dass Radfahrer immer früher zu den Profis wechseln. Luis-Joe Lührs startet beispielsweise als 18-Jähriger beim Team Bora-hansgrohe, Heidemann wird Ende Januar 24 Jahre alt.

Heidemann hat die U23-Zeit voll mitgenommen und dann sogar eine Saison drangehängt, ehe er nun beim französischen ProTeam B&B Hotels-KTM Profi wurde. Dass er nicht direkt nach der U23-Zeit Profi wurde, hat mit Corona zu tun, aber nicht nur. Heidemann verfügt durchaus über reichlich Talent, und dies war auch früh aufgefallen. Im Jahr 2019, als er noch für das Herrmann Radteam fuhr, wurde er Deutscher U23-Zeitfahrmeister. Vor Florian Stork, Juri Hollmann und Jonas Rutsch – allesamt unterdessen WorldTour-Profis.

Seine Tempohärte und Zeitfahr-Qualitäten konnte Heidemann weiter ausbauen, gewann Silber bei der Deutschen Zeitfahrmeisterschaft 2021. Interessierte Profi-Teams gab es bereits zuvor, doch Profi wird Heidemann erst nach fünf Jahren U23. „Ich bin sehr dankbar, dass mir das Team Leopard die Möglichkeit gegeben hat, das Jahr dranzuhängen“, sagt Heidemann. Über den Schritt zum Profi hat er sich intensiv Gedanken gemacht, nun geht er ihn konsequent.

Auf dem Weg zu Silber – Heidemann bei der DM 2021

Keine halbe Sachen

Miguel Heidemann startet das Profi-Abenteuer mit Uni-Abschluss in der Tasche –Bachelor als Wirtschaftsingenieur, Fachrichtung Maschinenbau. Er hat ein Urlaubssemester eingelegt um Profi zu werden, könnte man formulieren, doch die Wirklichkeit sieht anders aus, als der Uni-Status vermuten lässt. „Ich mache keine halben Sachen„, sagt Heidemann mit entschlossener Stimme. „Ich habe meine Kollegen lange genug strapaziert, jetzt bin ich 100% Profi„.

Heidemann hat während seiner Zeit beim Team Leopard jede freie Minute für die Uni genutzt. „Das Team und auch die Kollegen waren extrem nachsichtig, das weiß ich zu schätzen“. Im Trainingslager ist er vor dem Training früher aufgestanden um Uni-Kram zu erledigen. An Ruhetagen war er Student. „Die Uni-Bibliothek in Palma kenne ich ganz gut“, sagt Heidemann mit einem Lachen. Nun beginnt der Feinschliff für die nächste Ausbildung – die zum Radprofi.

 

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Ein Trierer Bretone

Dass die französische Mannschaft B&B Hotels-KTM Heidemann ins Team holte, gegen den „Immer-Jünger-Trend“, hat mehrere Gründe. Einer ist, dass der Trierer keine Probleme hat sich einzufügen. „Meine Mutter ist Französischlehrerin und sie hat auch daheim mit uns französisch gesprochen“, erzählt Heidemann. Er habe sich zwar als Kind geweigert französisch zu antworten, doch die Sprache ist ihm mehr als vertraut und in der Schule belegte er Französisch-Leistungskurs. Das hilft gewaltig, um im neuen Team schnell Fuß zu fassen. „Es war zwar kommuniziert, dass ich französisch kann, aber wie gut, wusste nicht jeder“, sagt Heidemann.

Direkt beim ersten Teamtreffen gab es, unter strengen Corona-Auflagen, Kontakt zum ganzen Personal und auch zu den Club-Fans. Denn das besondere an der bretonischen Mannschaft ist, dass es ein Club ist, kein normales Profi-Team. „Wir Profis wurden in Gruppen eingeteilt und sind dann mit den Hobbysportlern entsprechende Strecken gefahren. Die Kinder nur kurze Strecken, ich hatte etwa 70 Kilometer durch die Bretagne. Wir Profis hatten ja kaum trainiert, aber für die Hobbysportler war das natürlich ein besonderer Tag. Es war schön und sehr familiär“. Die Gruppen hatten jeweils 40-50 Radsportler und wurden von Motorrädern begleitet. In der Bretagne hat Radsport eine große Bedeutung, das spürte auch Heidemann schnell.

Mit Franck Bonnamour hatte man Heidemann einen alten Hasen und echten Bretonen an die Seite gestellt. „Das war wirklich super, ich konnte Franck alles fragen, muss ja jetzt viele neue Dinge lernen“, erzählt Heidemann. Denn während in Frankreich auch im Conti-Bereich die Sportler Profis sind, ist das in Deutschland anders. Heidemann kommt vom sehr professionellen Team Leopard, macht nun aber doch einen Sprung. „Man merkt das vor allem an der Größe. Es gibt mehr Räder und jeden Tag eine Stunde Massage im Trainingslager, ein Arzt ist die ganze Zeit beim Team. Dazu wird einem alles abgenommen. Das ist schon auch eine Umstellung für mich. Einmal wollte ich mich darum kümmern, dass meine Regensachen von einem ins andere Begleitauto kommen, oder schnell noch die Flaschen vorbereiten – das war dann aber alles schon erledigt“.

 

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Alles Aufsaugen

Es sind die klassischen Neo-Profi-Themen mit denen sich Heidemann beschäftigt. Die Profi-Routinen müssen erlernt werden, in verschiedenen Bereichen. „Franck war da wirklich eine Hilfe. Bei der Trainingsausfahrt beispielsweise, da hab ich ihn gefragt, ob ich Ärger bekomme, wenn ich nicht in den vorgegebenen Bereichen trainiere. Er hat nur gesagt: ‚Ach Miguel, fahr einfach mit der Gruppe mit'“. Heidemann ist sehr perfektionistisch, auch was das Training angeht. Er versucht sich Dinge abzuschauen und alles aufzusaugen. Den Spaziergang am Strand beispielsweise. Ohne Handy, Zeit zum Abschalten finden.

Auch was die Gespräche über das Rennprogramm betrifft, holte sich Heidemann Rat bei Bonnamour. „Ich wollte vorher gern wissen, wie solch ein Gespräch abläuft. Ich will eigentlich einfach Rennen fahren und freue mich über jede Aufgabe. Es hat mich dann sehr gefreut, dass ich nach meinen Wünschen gefragt worden bin“. Ein paar Zeitfahrkilometer würde Heidemann gern vor der Deutschen Meisterschaft sammeln, sonst nimmt er alles mit, was sich bietet. Das Team hat die Ziele für das erste Saisondrittel gesteckt und Paris-Nizza wird eines der Highlights sein. Bei welchen Rennen Heidemann am Start stehen wird, ist noch offen, mit Starts bei World-Tour-Events rechnet er nicht.

Kein Gedanke mehr an die Uni – Miguel Heidemann (Foto: © Team B&B Hotels – KTM)

Lifestyle

Im Gespräch Anfang Januar ist Heidemann die Vorfreude auf sein neues Leben anzumerken. Voller sportlichem Ehrgeiz, aber auch Neugier. Er will Erfahrungen sammeln, den Sport leben und seinen Horizont erweitern. Eine Tour de Ruanda würde er gern mal erleben, neue Kulturen kennenlernen.  Er hat sich intensiv mit seinem neuen Team beschäftigt, kann die Hintergründe zu den „Men in Glaz„, wie die Fahrer des Teams genannt werden, erzählen. Glaz ist die Farbe des Meeres in der Bretagne, sie findet sich auf dem Trikot wieder. Zusammen mit Strichen, Punkten und Wellen – diese stehen für die Felder, das Salz und die Wellen des Meeres.

Miguel Heidemann hat ein Abenteuer gestartet, und auch wenn er es in einen Scherz verpackt, merkt man ihm an, dass er es zu schätzen weiß, welch privilegiertes Leben man als Profi hat. „Früher hab ich im Trainingslager abends gelernt, jetzt lese ich entspannt Zeitung. Die investierten 5,90€ für DIE ZEIT habe ich optimal genutzt, ich habe jede Zeile gelesen“, sagt Heidemann und lacht. Für viele Sportler kann es ein Vorteil sein, direkt aus den Junioren in die Profi-Welt durchzustarten. Bei anderen ist es gut, wenn sie zuvor den Kopf weit aus der Radsport-Blase stecken konnten. Franck Bonnamour mache im Trainingslager gern am Morgen einen Strandspaziergang, Heidemann lieber abends: „Wann hat man sonst schon die Gelegenheit, nach dem Arbeitstag den Sonnenuntergang am Strand zu genießen.“