„Wahrscheinlich ist es eine ganz gute Zeit gewesen“, analysierte Michel Heßmann (Jumbo–Visma) nach der vierten Etappe der Volta ao Algarve em Bicicleta in Portugal. Der 20-Jährige aus Münster hatte dort das längste Zeitfahren seiner Karriere bestritten, bei seinem ersten Auftritt in der neuen Saison und landete mit dem 25. Rang gleich eine sehr gute Zeit, 3:28 Minuten hinter Sieger Remco Evenepoel.
„Ich habe viel auf dem Zeitfahrrad trainiert und eine ganz andere Position am Rad eingenommen als im Vorjahr. Deshalb habe ich nicht damit gerechnet, dass es schon so gut läuft“, berichtete der deutsche Neo-Profi nach seinem knapp 40-minütigen Einsatz im Süden der Iberischen Halbinsel. „Es war auch das erste Mal, dass ich nach drei Tagen mit 200 Kilometern am Tag so einen Bewerb bestritten habe. Die Vorbelastung habe ich in den Beinen gespürt“, führte Heßmann weiter aus.
Der 1,90 Zentimeter große Schlacks hatte unterwegs vor allem mit dem Wind zu kämpfen. „Er kam immer von der Seite, aber ungleichmäßig und teilweise mit harten Böen. Wenn dich davon eine in der Kurve erwischte, dann wurde man ziemlich herumgerissen“, erzählte der Deutsche. Für ihn geht es nun in Belgien weiter, wo er das Eintagesrennen Le Samyn bestreiten wird. Danach wird der Deutsche wieder „herabgestuft“, bestreitet mit dem Devo-Team von Jumbo, für welches er die letzten beiden Saisonen fuhr, die Istrian Spring Trophy in Kroatien.
„Dann geht es voll los mit Brügge-De Panne, der Romandie-Rundfahrt und dem Fléche Wallonné. Da sind schon einige Highlights dabei“, so der Münsteraner im Hinblick auf sein weiteres Programm. Vor allem auf die beiden Zeitfahren in der Schweiz freut er sich schon: „Darum heißt es jetzt analysieren was hier gut ging und was nicht, dann kann ich die zwei Etappen dort noch gezielter angehen.“
Keine Liebe zum TT
So richtig liebt der Westfale seine Paradedisziplin aber nicht: „Spaß macht es mir nicht so viel. Ich finde aber gut, wie viele Komponenten bei einem Zeitfahren passen müssen, damit du schnell sein kannst. Es geht halt nicht nur um Power.“ Diese, so zumindest schilderte Heßmann, würde zwar grundsätzlich zu seinen Stärken gehören, aber der Deutsche orientiert sich eher an der richtigen Position am Rad. „Ich weiß, dass ich zu den Fahrern gehöre, die die meisten Watt drücken können und beeindruckende Zahlen abliefern, aber im Zeitfahren agiere ich wie ein kleinerer Fahrer, der sehr aerodynamisch am Rad sitzt, aber dafür nur weniger Watt abrufen kann“, erklärte er.
Vor allem die optimale Position war eine der Aufgaben, die sich der 20-Jährige über den Winter gesetzt hat. „Auch ohne den schnellsten Anzug oder den neuesten Komponenten am Rad kannst du so locker 10 bis 15 Watt rausholen„, meinte der Westfale im Gespräch. Mittlerweile hat er sich auch die niederländische Sprache angeeignet, plaudert munter mit seinen Betreuern und Mechanikern in deren Landessprache.
„Es ist für mich eine riesige Motivation, mit dem Team unterwegs zu sein. Man passt sich schnell an das Umfeld an“, lobte er die enge Zusammenarbeit zwischen dem Nachwuchsteam und der WorldTour-Mannschaft. „Vor allem wenn man da ins kalte Wasser geschmissen wird, wie an der Algarve, dann machst du echt riesige Schritte“, berichtete der Deutsche, der aber auch immer wieder für das Devo-Team noch seine Einsätze fährt und auch das erste Trainingslager noch gemeinsam mit dem Nachwuchs bestritt in Norwegen.
Zuckerbrot & Peitsche
„Wenn du aus der WorldTour zurückkehrst, dann bist du beim Devo-Team wieder mit beiden Beinen am Boden, siehst, dass auch die anderen in der Zwischenzeit hart gearbeitet haben“, so Heßmann. Den Schritt hoch zur Mannschaft rund um die Superstars wie Tom Dumoulin, Wout Van Aert oder Primoz Roglic sieht er als großen: „Du musst dein Level echt um 15 Prozent steigern, damit du dort überhaupt einen Eindruck hinterlassen kannst.“
Doch selbst die gemeinsamen Trainingslager und Ausfahrten mit den Profis helfen dabei, diese Lücke zu verkleinern. „Wenn du mit den Jungs trainierst, fährst und sprichst, dann fallen dir tausend Dinge auf, die du selbst für dich noch verbessern kannst. Und dann geht das relativ schnell“, meinte der 20-Jährige, der darauf hofft, die im Winter erlangte Steigerung dann auch bei den Rennen mit dem Devo-Team zeigen zu können: „Dort heißt es dann Verantwortung übernehmen und auch die jungen Fahrer zu führen, die ihr erstjähriges U23-Jahr absolvieren.“
Geleitet wird die Nachwuchsmannschaft vom ehemaligen Profi Robert Wagner, der ein wichtiger Ansprechpartner für Heßmann ist. „Noch am Vorabend des Zeitfahrens habe ich mit ihm eine Stunde telefoniert. Wir haben regelmäßig Kontakt und er merkt, wenn ich nervös bin, und meldet sich. Er ist eine absolute Vertrauensperson für mich“, sagte der junge Deutsche und fügte an: „Jeder der ihn kennt, der weiß, dass er sich am liebsten um die ganze Welt kümmern würde. Er hat einen riesigen Erfahrungsschatz und weiß, wie es läuft. Außerdem ist es gut, mal wieder mit jemanden auf Deutsch quatschen zu können.“
Während Wagner als Vertrauensperson für den Ausgleich sorgt, liefert Robert De Groot die Disziplin und Härte, und damit erhält Heßmann sowohl Zuckerbrot als auch die Peitsche: „Sie haben sehr unterschiedliche Herangehensweisen, die aber gut miteinander funktionieren und somit die Richtung vorgibt“, zeigt sich der Deutsche mit seiner Trainerkombination zufrieden.
Auch zu den neuen Sportlichen Leitern, die ihn nun im WorldTeam erwarten, hat der 20-Jährige schon ein gutes Verhältnis aufgebaut und ist immer wieder beeindruckt vom Erfahrungsschatz des Teams: „Wenn ich daran denke, dass Arthur van Dongen seine 30. Saison absolviert oder in welchen Situationen Grischa Niermann schon gesteckt ist, dann ist das schon großartig, mit welchen Namen wir zusammenarbeiten.“