Paul im Angriffsmodus (Foto: Belgian Waffle Ride Cedar City)

Nachdem sich Paul Voß dem Graveln verschrieben hat, entdeckt er die Faszination, aber auch die Eigenheiten dieses Sports. Er sucht das Abenteuer, aber vor allem auch die sportliche Herausforderung. Graveln ist anders als Straßenradsport. Andere Taktiken, spezielle Anforderungen. Paul will ganz vorn mitfahren, also muss er sich anpassen. Das Training umstellen, neue Sachen lernen. Was braucht es, um bei Top-Gravel-Rennen um den Sieg mitzufahren? Pauls Trainer hat sich die bislang gesammelten Daten mal angeschaut und sieht einige Ansätze.

„Gravel-Rennen per se lassen sich vermutlich (ähnlich wie Straßenrennen) nicht verallgemeinern. Es gibt sehr unterschiedliche Formate, die entsprechend andere Stärken und Schwächen hervorheben. Die etwas größeren und bekannteren Rennen, welche auch gleichzeitig für Paul im Fokus stehen, sind aber sicher vorrangig geprägt durch die Länge und Härte„, sagt Raphael Jung, Pauls Trainer und Chef bei Diagnose Berlin. Betrachtet man die Gravel-Rennen aus der Straßenradsport-Perspektive, kann man sie wohl am ehesten mit den Klassikern vergleichen.

„Es gibt gewisse Parallelen zu Eintages-Klassikern, wie z.B. Paris-Roubaix. An erster Stelle braucht es eine gewisse „Rennhärte“, also die Fähigkeit lange in mittelhohen Intensitäten zu fahren und dort mit seinen Reserven auszukommen. Das Ganze dann meist auch noch bei recht widrigen Bedingungen (im Fall von Gravel Rennen einfach Hitze, Staub, Höhe, etc.). Die Challenge liegt hier darin, dass der Organismus von Beginn an sehr viele Kohlenhydrate verbrennt (mehr als wenn man im Feld „mitrollen“ würde). Die verfügbaren Kohlenhydrate sind, wie der Treibstoff beim Auto, allerdings sehr limitiert und der Tank schnell leer„, erklärt Raphael. Das hat Paul bereits leidlich erfahren müssen.

„Bei dieser Art von Rennen ist es also essentiell, einen ökonomischen Stoffwechsel mitzubringen, mit dem man in der Lage ist, auch Fette zu verstoffwechseln und so die überlebenswichtigen Kohlenhydratspeicher zu schonen. Gleichzeitig braucht man allerdings auch im richtigen Moment die Fähigkeit, mittellange Attacken mitzugehen. Ein sehr vielseitiges Profil also, was nicht so leicht herauszubilden ist“, führt Raphael aus. Ein komplexes Anforderungsprofil. Werden Straßenrennen oft in kurzen Zeiträumen entschieden, ist das bei Gravel-Rennen anders.

Mittendrin – Paul in der Spitzengruppe


Wo & wie werden die Rennen entschieden? W/Kg – wie viel, über welchen Zeitraum braucht es?

„Im Prinzip kann bei Gravel-Rennen alles passieren und die Rennen können durch verschiedenste Facetten an Stärken und Schwächen entschieden werden. In der Regel sind es aber weniger gezielte „Attacken“ oder geschweige denn „Feldsprints“, die das Rennen final entscheiden. Häufiger ist es die Fähigkeit, seine Energiereserven richtig einzuschätzen, nicht zu früh zu viel zu machen und am Ende des Rennens nicht einzubrechen. Man könnte also sagen, dass nicht unbedingt immer der stärkste Fahrer gewinnt, sondern eher derjenige, der an dem Tag am wenigsten eingebrochen ist und am ehesten seine Leistungsnorm halten konnte.

Im Schnitt wird ein Sieger vermutlich am Ende etwas um die 2.8 – 3.0 W/kg gefahren sein (bei Rennen von 8-14h wie z.B. Unbound) und das aber nicht gleichförmig, sondern durchsetzt mit wiederholten Powerphasen in Anstiegen und technisch fordernden, von Antritten geprägten Gravelpassagen„, erklärt Raphael.

Der Mix machts

Paul bringt als Ex-Straßenprofi einige Lebens-Kilometer mit. Das hilft enorm, allerdings ist er bei den Gravel-Rennen auch ganz anders gefordert. „Vom Belastungsprofil lassen sich wie angesprochen einige Klassiker mit den Gravelrennen vergleichen – unabdingbare Tempohärte unter widrigen Bedingungen und nur sehr wenig Zeit, in der man sich erholen könnte. Was bei den Gravelrennen allerdings ganz anders funktioniert und auch für Paul Neuland bedeutet, ist die unrhythmische Form der Belastung und die Anforderung an die Konzentration in technisch anspruchsvollen Passagen. Dies kennt man vielleicht eher aus MTB-Marathon, wo man auch noch unter vorangeschrittener Erschöpfung voll konzentriert in Abfahrten sein muss. In den Gravelrennen kommen diese Elemente aus Straßenrad- und MTB-Sport im Prinzip zusammen und ein Reiner Spezialist in einer der Disziplinen wird auf der anderen Ebene Probleme bekommen“, erklärt Raphael.


Podium! Paul im Ziel des Belgian Waffle Ride Cedar City 2021 (Foto: Belgian Waffle Ride Cedar City)

Der neue Paul, dank neuem Training?

„Paul muss auf jeden Fall stoffwechseltechnisch wesentlich ökonomischer und auch strategisch ruhiger fahren, als er das gewöhnt war oder ist. Rennen werden hier weniger durch Attacken gewonnen, aber gerne verloren. Es gilt also seine Kräfte genau einzuteilen, aber auch in den richtigen Momentan da zu sein. In den ersten Gravelrennen von Paul ging er sicherlich als einer der physisch stärksten Fahrer ins Rennen, beendete sie aber oft als einer derjenigen mit den größten Leistungseinbußen“, sagt Raphael. 

„Neben der Ökonomie des Stoffwechsels ist es auch essenziell, die technischen Passagen zu beherrschen und hier Energie zu konservieren. Auf einer schnellen, unasphaltierten Abfahrt kann man schneller Zeit verlieren, als auf dem Anstieg. Diese Elemente müssen gezielt trainiert und auch für Paul noch eher neu, spezifisch entwickelt werden“. Dafür braucht es eben spezifisches Training.

„In der ersten Phase des Trainings konzentrieren wir uns sehr stark auf physiologisch orientierte Trainingsinhalte. Viel Rollentraining mit Fokus auf die Steigerung der VO2max wird gepaart mit längeren Ausdauereinheiten um die Effizienz des Stoffwechsels mit zu entwickeln. Mit näher rückenden Rennen planen wir mehr und mehr Training mit sehr wettkampf-spezifischen Konditionen und Inhalten. Wir erhöhen das Volumen und verringern die Intensität, trainieren viel in Trainingslagern in den Bergen und vor allem auch spezifischem Terrain“, erklärt Raphael.

Neu kalibrierter Rennverstand

Paul hat in seinem ersten Jahr bewiesen, dass er das Zeug hat vorn mitzufahren, doch hat er auch das Potenzial große Rennen zu gewinnen? „Paul überzeugt (und überrascht) mich immer wieder durch die nach wie vor abrufbare Kondition, die er extrem gut einschätzen und ‚erspüren‚ kann. Er reagiert sehr schnell und sehr präzise auf Trainingsreize und kann wahnsinnig gut selbst einordnen, wo er steht und was er (noch) braucht, um besser zu werden. Dies ermöglicht uns ein Coaching auf Augenhöhe“, so Jung. „Diese Erfahrung im Training überträgt sich auch in Wettkämpfe. Paul erkennt sehr viele Situationen und reflektiert sie vor seiner Vergangenheit um Entscheidungen zu treffen. Dies ist aus unserer beider Sicht Fluch und Segen zugleich. Da die Rennen Paul vor derart neue Herausforderungen stellen, trifft er leider oft noch falsch eingeordnete Entscheidungen, verlässt sich zu oft auf seine physische Stärke (gerade am Berg) und investiert zu früh zu viel. Paul muss sich als Fahrer auf seine Fähigkeiten verlassen, aber sich gleichzeitig neu erfinden und mit viel mehr Ruhe und einem neu kalibrierten Rennverstand agieren. 


Pauls Rennkalender 2022

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