Ein Blick auf die Inzidenz-Statistiken reicht, um sich ein Bild zu machen – Omikron & Co rauschen durch die Gesellschaft. Auch bei Radteams werden immer wieder Corona-Fälle gemeldet. Klar, das Virus macht keinen Bogen um Berufsradsportler. Doch für sie hat eine Infektion eine andere Bedeutung, als für viele andere Menschen. Bei Omikron sind die Verläufe in der Regel mild, nach wenigen Tagen ist man wieder fit. Doch während beispielsweise ein Sportjournalist nach der Infektion schnell wieder in die Tasten greift, aber der Radgruppe lieber noch zwei Wochenenden fern bleibt, ist das für Berufssportler deutlich komplizierter.

Immer wieder gibt es Fälle von Sportlern, die nach Covid länger Probleme haben. Einige entwickeln Herzmuskelentzündungen und fallen sogar Monate aus. Vollständig verstanden haben Mediziner die Krankheit Covid noch nicht. Ein zu früher Trainingseinstieg soll mit Blick auf Folgeprobleme unbedingt vermieden werden. „Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass es aktuell unklar ist, ob nicht auch nach milden oder sogar asymptomatischen Verläufen die sportliche Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sein könnte“, heißt es in einem Positionspapier, erstellt vom Wissenschaftsrat der DGSP (Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention) und der medizinischen Kommission des DOSB (Deutsche Olympische Sportbund).

„Nach aktuellem Stand erfordert das komplexe und bisher nur unvollständig verstandene Krankheitsbild einer Covid-19-Erkrankung, dass Sportler*innen nach durchgemachter Infektion mit SARS-CoV-2, vor der Rückkehr in den Wettkampfsport, einer sportmedizinischen Untersuchung unterzogen werden sollten“, heißt es in dem Papier.

Bei Top-WorldTour-Radteams sind umfassende Untersuchungen Standard. Bora-hansgrohe, DSM, Jumbo-Visma…. EKG, MRT und weitere (Herz)Untersuchungen werden vor dem Renn-Comeback gemacht. Auch die Lungenfunktion wird geprüft. Doch nicht bei allen Radteams ist der Umgang mit Covid und den Folgen gleich. Das beginnt schon bei der Prävention.

Große Unterschiede, schwache UCI-Regel

Mit Corona anstecken scheint nicht besonders schwierig. Die Radsportwelt hat seit Pandemiebeginn große Anstrengungen unternommen, Infektionsketten zu durchbrechen. Blasen-Konzept, Tests, Masken, Zuschauerverbot, … es gab eine ganze Reihe von Maßnahmen. Doch 100% Schutz gibt es ohnehin nicht, und wie stark man das Infektionsrisiko senken kann, hängt vom eigenen Verhalten und der Virusvariante ab.

Beim Thema „eigenes Verhalten“ gehen bei den Radteams die Strategien weit auseinander. Jumbo-Visma ist eines der Teams, das sich bislang extrem strenge Regeln auferlegt hat. Das Trainingslager zu Saisonbeginn wurde nach einem positiven Fall beendet, die Fahrer getrennt. Das muss man sich als Mannschaft auch leisten können und wollen. Einzelzimmer, Recon-Fahrten in Zweiergruppen mit Abstand, eigene Test-Strategie mit täglichen Tests vor den Rennen – bei Jumbo-Visma betreibt man einen großen Aufwand.

Bislang mit Erfolg, denn während es einige Mannschaften gibt, wo mehr als zwei Drittel der Fahrer bereits positiv getestet wurden, hat man bei Jumbo-Visma bislang verhältnismäßig wenig Fälle. Auch bei DSM setzte man auf ähnliche Strategien. Doch als Team kann man seit Saisonbeginn nur noch bedingt beeinflussen, wie groß das Risiko ist. Denn bei Rennen kommt man zwangsläufig mit vielen Fahrern anderer Mannschaften in Kontakt.

Das Infektionsrisiko erhöht, hat das neue Reglement der UCI. Denn seit diesem Jahr müssen vollständig geimpfte Sportler (und auch genesene | 11 Tage danach, Zeitraum sechs Monate) sich vor einem Rennen nicht mehr testen (für Grand Tours gelten separate Regeln, da ist ein PCR-Test Pflicht). Da eine Impfung nicht vor Ansteckung schützt und auch geimpfte während einer Infektion das Virus weitergeben, ist die Ansteckungsgefahr bei Rennen gegeben.

Teams wie Jumbo-Visma oder DSM testen weiterhin intensiv und filtern so konsequent positive Sportler und Betreuer aus, bevor sie intensiven Kontakt haben. Dabei nimmt man als Team zum Schutz der Sportler auch den Nachteil falsch positiver Tests in Kauf. Bei DSM wurde beispielsweise Nils Eekhoff vor dem Omloop Het Nieuwsblad noch kurzfristig aus dem Aufgebot genommen und isoliert, weil ein interner Test (falsch) positiv war. Aber längst nicht alle Mannschaften betreiben solch einen Aufwand, bei einigen wird, entsprechend des Reglements, nicht vor allen Rennen konsequent getestet. Dabei muss man bedenken, dass gerade bei kleinen Teams eine umfassende Teststrategie auch ein Kostenpunkt ist.

Zieht man nun in Betracht, dass gerade bei Saisonbeginn bei einigen europäischen Rennen viele Fahrer in einem Hotel untergebracht wurden und das Essen als Buffet für alle Sportler gereicht wurde, die in einem Saal an Tischen sitzen konnten, braucht es keine besondere Omikron-Expertise, um die Ansteckungsgefahr einzuordnen. Es heißt im Peloton, mehr als das halbe Peloton der Saudi Tour sei nach dem Rennen positiv gewesen. Einige Mannschaften sind sehr zurückhaltend mit der Weitergabe an Information, uns als Redaktion sind zumindest mehr als eine Handvoll Fälle im Zusammenhang mit der Saudi Tour bekannt. Wir haben nicht bei allen teilnehmenden Mannschaften um Auskunft gebeten, weil es für diesen Text wenig relevant ist, da es hier eher um den Umgang mit Infektionen und die Auswirkungen auf die Rennen geht.

Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass ein vollständig geimpfter (oder genesener) Athlet auch ohne Test regelkonform an einem Rennen teilnehmen kann. Ob man als Team zusätzlich testet, darf man selbst entscheiden. Hier scheint es sehr große Unterschiede zu geben. So hält sich eine Geschichte hartnäckig, dass es Mannschaften gibt, die im Trainingslager lieber nicht testen, um keine positiven Fälle zu haben. Gut, durch das Peloton wabern viele zweifelhafte Geschichten, doch ein sehr unterschiedlicher Umgang mit dem Thema ist offensichtlich. Das betrifft vor allem das Thema Wiedereinstieg.

Zwei Wochen Pause nach Covid – realistisch?

Es reicht ein Blick in die Startlisten der Februar-Rennen um zu erkennen, dass viele Teams eine ganze Reihe von Ausfällen zu beklagen hatten. Bei einigen Rennen waren mehrere Mannschaften mit einem kleineren Kader am Start. So beispielsweise bei den 1.Pro-Rennen Clasica de Almeria oder auch Le Samyn. Die Ausfälle bereiten Teams große Probleme. Das betrifft nicht nur die Fahrer, sondern auch die Sportlichen Leiter und Betreuer. Zu Saisonbeginn wird bei den großen Teams oft dreigleisig geplant – da kommt man schnell ans Limit, selbst bei wenigen Ausfällen.

Genau hier steckt eines der großen Probleme, mit dem die Mannschaften gerade zu tun haben: Wie geht man mit dem Wiedereinstieg nach der Infektion um? Im Positionspapier des DOSB heißt es selbst bei symptomlosen Verlauf „keine intensiven Belastungen für 2 Wochen„. In der Praxis wird das zumindest nicht überall so gehandhabt. Bei einigen Teams werden wie bereits erwähnt umfangreiche Untersuchungen gemacht, bevor der Sportler wieder in den Rennbetrieb zurückkehrt. Doch auch hier gibt es große Unterschiede. Der Redaktion ist ein Fall bekannt, wo die Strategie des betreffenden Teams eindeutig war: Freitesten, ab zum Rennen.

Welche Nachwirkungen hohe Belastungen direkt nach einer Infektion haben können, ist nicht klar. Sicher scheint, dass es von Sportler zu Sportler sehr unterschiedlich ist. Einige Radprofis haben sich bereits mehrfach angesteckt und sind nach wenigen Tagen wieder voll leistungsfähig. Doch es gibt auch Sportler, die noch längere Zeit nach der Infektion Schwierigkeiten haben.

Ein Grund könnte sein, dass die Corona-Erkrankung in zwei Phasen verläuft. „In der ersten Phase bin ich positiv getestet. Nach einer Woche ungefähr kommt es dann durch das eigene Immunsystem zu einer zweiten Reaktion. Das heißt, ich kann schon wieder negativ sein vom Test her, aber ich habe diese zweite Reaktion, und die ist auch nicht zu unterschätzen“, sagte Martin Halle, der Ärztlicher Direktor der Präventiven Sportmedizin und Sportkardiologie der TU München, dem NDR.

Dass es wenig ratsam ist, sich direkt wieder stark zu belasten, sobald die Tests nach der Infektion wieder negativ sind, legt auch eine Studie aus dem Eishockey nahe. „Das halte ich für brandgefährlich. Wir wissen von diesem Virus einfach noch zu wenig, deshalb können wir nicht pauschal sagen, Omikron ist harmlos. Es führt zum Glück bei geimpften Personen dazu, dass kaum noch jemand auf die Intensivstation muss, aber es kann weiterhin zu Veränderungen an den Endothelien, an den Blutgefäßen oder zu Multiorganerkrankungen kommen“, sagte Dr. Jochen Veit, der Teamarzt der Iserlohn Roosters der Sportschau. Er hatte die Eishockeyspieler des Teams nach Infektionen genauer untersucht.

„Es kommen immer mehr Sportler zu uns, die sagen: Ich hatte Corona und komme seitdem nicht mehr auf die Beine“, berichtet Sportkardiologe Prof. Halle. In München arbeite man an einer an „einer großen wissenschaftlichen Studie, die helfen soll, Athleten vor den Folgen einer Covid-19-Erkrankung zu schützen.“ Man erlebe in den Ambulanzen des Klinikums der TU München fast täglich junge, eigentlich gesunde Athleten, die keinen schweren Verlauf, aber dennoch Veränderungen an Herz oder Lunge haben, welche deren Leistungsfähigkeit über Wochen, teils sogar Monate, stark beeinträchtigen.

Für die Radsport-Teams ist die Situation schwierig. Der enge Rennkalender, der Erfolgsdruck, der Schutz der Sportler, die Interessen der Sponsoren und Fahreragenten – ein Spannungsverhältnis. Dazu gibt es keine klaren Vorgaben, nach denen man sich richten kann. Gefordert sind hier auch die Fahrer selbst und ihre Berater. Gerade bei kleineren Teams ist der ökonomische Druck enorm, das medizinische Personal nicht immer in der Lage die Ansichten durchzusetzen. Nach Gesprächen mit Verantwortlichen bei einigen Teams ist bei uns jedoch schon der Eindruck entstanden, dass ein Verantwortungsbewusstein ausgeprägt ist und man nicht nur an den Teamerfolg, sondern auch an die Auswirkungen für die Sportler denkt.

Im Zusammenspiel von Team und Fahrer gilt es durch diese schwierige Zeit zu navigieren. Dabei spielt auch die Kommunikation eine Rolle. Bei vielen Sportlern wird eine Covid-Erkrankung gar nicht kommuniziert. Dann wundern sich Fans und Journalisten über fehlende Leistung des Stars, der aber nach Covid und anschließender Pause gar nicht in der Lage ist, auf Top-Niveau abzuliefern. Aus der Beobachter-Perspektive fällt es dann schwer, die Gründe für schwache Leistungen zu identifizieren. Was es für einen Sportler bedeuten mag, wenn er sich massiver öffentlicher Kritik ausgesetzt sieht, obwohl es klare Gründe für seine „mangelnde“ Leistung gibt, ist nicht allzu schwer zu erahnen.

Es ist eine komplexe und schwierige Situation, in der sich die Teams aktuell befinden. Auch, weil es keine Erfahrungswerte gibt, auf die man zurückgreifen kann. Lange ist es gut gelungen, Infektionen zu verhindern. Nun sind andere Dinge gefragt, vielleicht auch etwas mehr Transparenz in der Kommunikation.


Zur Info: Im Zuge der Recherche hatten wir mit mehr als einem halben Dutzend Teams Kontakt und haben auch mit betroffenen Trainern, Sportlichen Leitern und Sportlern gesprochen. Wir haben zugesichert keine Namen zu nennen, weil es für diesen Text, der das Spannungsverhältnis und die Dimensionen dieses Themas aufzeigen soll, nicht relevant ist.