Home Analyse 6 Erkenntnisse nach Mailand-Sanremo für die Klassiker 2022

6 Erkenntnisse nach Mailand-Sanremo für die Klassiker 2022

1 Søren Kragh Andersen – der Herausforderer

Pogacar probierte es am Poggio mehrfach, doch er kam nicht weg. Van der Poel, Van Aert, Turgis, Pedersen, … der Rest hing dran. Drei Mal attackierte Pogacar, ein Mal Roglic – sie kamen nicht weg. Doch dann ging Kragh Andersen an die Spitze und griff an. Volles Rohr, und siehe da – die Lücken gingen auf. Sogar Van Aert hatte Probleme, ans Rad von Pogacar zu springen, der als einziger direkt nachgesetzt hatte. Zu viert waren sie oben am Poggio voraus, gingen drei Sekunden vor Mohoric & Co in die Abfahrt.

Das war beeindruckend, was Kragh Andersen da zeigte! Seine Form muss exzellent sein, sonst wäre er zu solch Attacke nicht in der Lage gewesen. Schon 2021 war er bei Mailand-Sanremo stark, doch er ist nicht super endschnell und somit auf eine Attacke angewiesen. Mailand-Sanremo ist vielleicht nicht das perfekte Rennen für ihn, auch wenn er es durchaus gewinnen kann. Aber es kommen in den nächsten Wochen andere Rennen, die ihm noch mehr liegen dürften.

In dieser Verfassung ist Søren Kragh Andersen einer der größten Herausforderer von Van der Poel, Van Aert & Co. Schade für ihn und sein Team, dass es nun ausgerechnet kurz vor den Klassikern John Degenkolb mit einem Virusinfekt erwischt hat. Auch Teamkollege Nils Eekhoff ist nach schwieriger Zeit nicht bei 100%, stürzte auch noch bei Paris-Nizza. Nico Denz war auch krank – das Team DSM geht, wie viele andere Teams auch, gebeutelt in die flämischen Klassiker. Kragh Andersen wird es ohne starke Helfer schwer haben, könnte aber vielleicht doch für Achtungserfolge sorgen. Der Konkurrenz wird nicht entgangen sein, wie stark er aktuell ist.

2 MvdP – das Phänomen

Von 0 aufs Podium – Mathieu van der Poel

Die Info sickerte zwei Tage vor Mailand-Sanremo durch – Mathieu van der Poel kehrt zurück ins Renngeschehen. Ein wenig überraschend war es schon, denn nach den anhaltenden Rückenproblemen hatte man nicht unbedingt erwartet, dass MvdP ausgerechnet beim 6,5-Stunden-Riemen Mailand-Sanremo seine Comeback geben würde. Doch Van der Poel hätte dieses Rennen nicht für seine Rückkehr gewählt, hätte er sich nicht bereit gefühlt, vorn mitzufahren.

Und er war direkt auf der Höhe des Geschehens. Beeindruckend. Als hätte er eine normale Vorbereitung in den Beinen, ging er die Attacken von Pogacar mit. Er ist ganz offensichtlich nicht nur körperlich bereit, sondern auch mental voll auf der Höhe.

Nach dem Podium in Sanremo geht es zur Settimana Internazionale Coppi e Bartali, dann Dwars door Vlaanderen. Die Belastungen werden ihm wohl gut tun. Dann die drei großen Rennen: Ronde, Amstel und Roubaix. Nach seinem Auftritt am Samstag ist er bei all diesen Rennen einer der Top-Favoriten. Wenn der Rücken hält.

3 Wout, der irdische

Wout van Aert

Wout van Aert war vor Mailand-Sanremo der Top-Favorit. Nach dem Gala-Auftritt beim Omloop Het Nieuwsblad und der starken Leistung bei Paris-Nizza schien er fast übermächtig. Doch Wout ist irdisch, dass offenbarte Mailand-Sanremo. Er habe viel Energie verloren, als er den Attacken von Pogacar nachsetzte. Das stimmt, er war meist der, der die Lücke schloss. Doch als Kragh Andersen ging, hatte er Mühe das Rad von Pogacar zu erreichen. Den Sprint um Rang drei sollte man hingegen nicht überbewerten, denn Van Aert machte auch in der Verfolgung von Mohoric viel Arbeit und es fehlte am Ende vielleicht nicht nur die Power, sondern auch etwas die Motivation, um für Platz vier oder fünf die Signale des Körpers zu überhören.

Aber dennoch: Wout scheint schlagbar. Anders als man es nach Omloop Het Nieuwsblad und Paris-Nizza vielleicht hätte vermutet. Sanremo hat Van Aert bereits gewonnen, die Ronde und Roubaix sind die großen Ziele für dieses Frühjahr. Man darf gespannt sein, wie er sich beim E3 Prijs präsentiert. Er zählt weiterhin zu den Favoriten, ist aber irdisch.

4 Wenn zwei sich NICHT streiten, …

Van Aert und Van der Poel jagen Pogacar nach

Vor zwei Jahren gab es mehrere Rennen in denen man das Gefühl hatte, Van der Poel und Van Art fahren hauptsächlich gegeneinander. Lieber gewinnt ein Dritter, als der große Rivale. Gent-Wevelgem 2020 war solch ein Rennen. Die Zeiten scheinen vorbei. Doch nun kämpft das Duo mit anderen Problemen. Eines ist, dass die Konkurrenz kaum gewillt ist mit den beiden zusammenzuarbeiten. QuickStep war da oft eine Ausnahme, doch die sind grade nach vielen Krankheitsfällen mit sich selbst beschäftigt. Bei Mailand-Sanremo schaute die Konkurrenz auf das Duo, als es darum ging, Mohoric zurückzuholen. Verständlich, ist es im Sprint für wenige aussichtsreich gegen die beiden.

Van der Poel sprach nach dem Rennen davon, dass einige um das Podium fuhren, während er, Van Art und Mads Pedersen um den Sieg kämpften. Auch wenn beide Verständnis für das Verhalten der Konkurrenz äußerten, was bedeutet das für die nächsten Rennen? Müssen sie nun fürchten, dass die anderen Fahrer ihnen die komplette Verantwortung übertragen? Kann vielleicht davon einer der Konkurrenten profitieren? Versuchen werden sie es! Doch am Samstag machten Van der Poel und Van Aert nicht den Eindruck, als würden sie nur auf sich schauen. Eher im Gegenteil! Dazu kommt spätestens bei der Ronde ein Pogacar ins Spiel, dem alles zuzutrauen ist. Und bei QuickStep und Bora wird sich der Krankenstand hoffentlich auch bald bessern. Die Fans würde es freuen, gewinnt der Favoritenkreis an Größe.

Man darf gespannt sein, wie das Duell von Van Aert und Van der Poel weiter geht. Andreas Klier sagte einmal, dass bei einem Rennen wie der Flandern-Rundfahrt ein Fahrer stets verliert, wenn er nicht sein Rennen fährt, sondern nur auf die Favoriten schaut. Wir werden es beobachten.

5 Wenn das Motorrad zwei Mal hupt

Mohoric in der Abfahrt vom Poggio hinter dem TV-Motorrad

Matej Mohoric hat Mailand-Sanremo verdient gewonnen, das sei hier erwähnt. Doch er profitierte von den Motorrädern. Gleich mehrfach war er am Ausgang einer engen Kurve direkt hinter dem Krad und konnte ganz sicher vom Sog profitieren, als das Motorrad beschleunigte. Diese Diskussion ist nicht neu, ganz im Gegenteil. Sie wird auch bleiben, denn gänzlich ohne die (Kamera) Motorräder wird man das Rennen nicht verfolgen können, was natürlich keine Option ist. Dennoch ist es für Fans und Fahrer unbefriedigend, wenn auf diese Art Einfluss auf das Rennen genommen wird. Dass gerade ein Michael Matthews nach dem Rennen das Wort erhebt, überrascht nicht. Er spricht gern solche Dinge an, vor allem wenn es bei ihm nicht 100%ig läuft.

Doch im Falle von Mailand-Sanremo kann man vielleicht schon diskutieren, ob nicht vielleicht die Perspektive aus dem Hubschrauber reicht, zusätzlich zur Kamera in der Kurve am Beginn der Abfahrt. Das Rennen war ganz sicher eine Mahnung für die Veranstalter der nächsten Rennen, und es ist davon auszugehen, dass bei der Sitzung vor den Rennen das Thema deutlich angesprochen wird.

Dem Fahrer kann man keinen Vorwurf machen, und auch die ohnehin bereits reduzierte Zahl an Foto-Motorrädern hat aktuell weit weniger Einfluss auf die Rennen, als noch vor Jahren. Schließlich ist es auch eine Frage der Sicherheit. Dennoch bleibt es ein sensibles Thema, bei dem schnell Absicht unterstellt wird, sollte die Nationalität des Sportlers zum Land des Rennens passen. Ganz sicher wird man bei den Rennen in Belgien nun besser darauf achten – oder andersrum, als Fahrer sollte man nicht auf all zu viel Unterstützung des Kamera-Motorrads hoffen.

6 Anthony Turgis – bereit für das große Ding

So nah am Sieg – Anthony Turgis ärgert sich

Abgesehen von einer Etappe bei der Luxemburg-Rundfahrt hat Anthony Turgis bislang „nur“ 1 Rennen gewonnen. Das verwundert, denn der Franzose fährt seit mehreren Jahren extrem stark! Vor allem bei den Klassikern, besonders bei denen mit Kopfsteinpflaster, ist der inzwischen 27-Jährige meist weit vorn. Ronde, Dwars, Wevelgem – bei nahezu allen großen Klassikern war er bereits in den Top10. Rang vier bei der Ronde 2020, nun auf dem Podium in Sanremo.

Die Fans mögen seine offensive Fahrweise und es scheint, als habe er nun noch einmal einen Sprung gemacht. Er ist sicher noch in der Außenseiter-Rolle, doch seine Vorbereitung auf die Klassiker lief gut und er scheint bereit für eine Überraschung. Vielleicht steht er bei einem weiteren ganz großen Rennen auf dem Podium, oder gewinnt sogar einen der Halbklassiker? Man darf gespannt sein und sollte ihn nicht aus den Augen lassen.

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