Home Analyse 5 Erkenntnisse nach der Flandern-Rundfahrt 2022

5 Erkenntnisse nach der Flandern-Rundfahrt 2022

1 Ein verdienter Sieger

Mathieu van der Poel ist der verdiente Sieger der Flandern-Rundfahrt 2022. Er konnte die Attacken von Tadej Pogacar mitgehen, fuhr sein Rennen clever und abgezockt und hatte auch im Sprint (wie erwartet) die nötigen Reserven und die Cleverness, um sich den Sieg zu holen. Er war neben Pogacar klar der stärkste Mann im Rennen, auch wenn er am Paterberg komplett am Limit schien. Doch wer war das nicht?

Hätte Pogacar am Paterberg schneller gekonnt, er wäre schneller gefahren! Kurz bevor Pogacar oben links abbog, schaute er über die Schulter – ist er da? Ja, Van der Poel war da, nachdem er zwischendrin mal die Spur verlor, dann aber zurück ans Rad von Pogacar kam. Wenn man nach 260 Kilometern am Paterberg aus Mangel an Kräften eine Lücke bekommt, geht diese nicht von allein wieder zu. Pogacar war zumindest nicht genügend stärker, um Van der Poel abzuhängen. Wenn er es überhaupt war.

Auch wenn die Taktik bei der Ronde eine Rolle spielt, dazu die Qualität des Teams, die Konstellationen in den Gruppen – es ist ein so brutal schweres Rennen, dass nach und nach durchs Sieb fällt, was an diesem Tag nicht zur absoluten Weltspitze gehört. Bei der Ronde gibt es keine Überraschungssieger, heißt es. Diese 106. Auflage darf durchaus als Beleg gelten. Bleibt Van der Poel gesund, wird er auch an den beiden kommenden Wochenenden zu den Favoriten zählen.

2 Auch ein Wunderkind stößt an Grenzen

Man darf es Tadej Pogacar durchaus zugute halten, dass er auch bei den Pflaster-Rennen antritt und Vollgas gibt. Als Toursieger könnte er sich locker auch die Tortur über das flämische Pflaster sparen. Doch das slowenische Wunderkind hat Spaß am Rennen fahren und sucht die Herausforderung. Doch während Pogacar bei Strade Bianche scheinbar mühelos bei seinem Debüt den Sieg einsackte, stieß er auf dem flämischen Kopfsteinpflaster an seine Grenzen. Bei Dwars Door Vlaanderen geriet er taktisch ins Hintertreffen, verpasste dann die Konterattacke und musste sich am Ende geschlagen geben. Eine seiner Erkenntnisse dieses Tages in Waregem war sicher, dass bei den flämischen Rennen andere Gesetze gelten, als in den Alpen oder Pyrenäen. Wenn Trettiere wie Küng, Campenaerts, Van der Poel und Politt kreiseln, ist es ohne langen Anstieg selbst für den besten Fahrer der Welt unmöglich, die Lücke zu schließen.

Bei der Flandern-Rundfahrt geriet Pogacar nicht ins Hintertreffen. Er fuhr ein sehr gutes Rennen, war neben Van der Poel der stärkste Fahrer. Doch er wurde Van der Poel eben nicht los, musste in den ungeliebten Sprint gegen den Niederländer. Pogacar versuchte den Poker, wollte früh nicht mehr in die Führung und hoffte so auf seine Chance gegen Van der Poel. Ganz anders, als es Asgreen im Jahr zuvor machte, der dann im Sprint Van der Poel tatsächlich besiegte. Am Sonntag schlossen die Verfolger durch das Geplänkel auf und Pogacar verzockte das Podium. Wie groß die Enttäuschung war, konnte man am Tempo ablesen, mit dem er wortlos durch die MixedZone zum Bus rauschte.

Tadej Pogacar ist ein Phänomen. Der beste Radfahrer der Welt, vielleicht auf Jahre. Er kann alles, selbst Pflasterrennen. Doch in diesem Frühjahr ist das Wunderkind an Grenzen gestoßen. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird er wieder zur Ronde kommen und um den Sieg fahren. Mit Mathieu van der Poel und Wout van Aert wird er vermutlich auf Gegner auf Augenhöhe treffen. Bei vielen anderen Rennen gibt es das nicht, Fahrer auf seinem Niveau. Das flämische Monument ist speziell – nur Wunderkind reicht da eben nicht. Selbst für Pogi.

3 Bora-hansgrohe – man tut, was man kann

Am Start stellte ich Nils Politt die Frage, bei viel Prozent seiner Leistungsfähigkeit er denn nun nach mehreren überstandenen Virus-Infektionen angekommen sei. Er überlegte einige Sekunden und sagte dann: „90%„. Er schob nach: „Für ganz vorne reicht es noch nicht“. Politts Rennen bestätigte diese Einschätzung. Er fuhr gut, aber bei der Ronde bedeuten selbst für einen Ausnahme-Klassiker-Spezialisten wie Politt fehlende 10% eine Welt. Um das Podium kann selbst ein Politt mit 90% nicht mitfahren. Doch man darf bei Bora-hansgrohe durchaus zufrieden sein, mit der gezeigten Ronde.

Marco Haller, selbst im Frühjahr durch Covid ausgebremst zeigte ein beherztes Rennen. Auch Jonas Koch fuhr offensiv. Dazu verpasste Danny van Poppel nur knapp einen Top15-Platz. Arg gebeutelt tut man, was man kann – mehr kann man nicht erwarten, in der aktuellen Situation. Größer darf auch der Anspruch nur sein, wenn man physisch dazu in der Lage ist.

Das Team Bora-hansgrohe wird durch diesem Auftritt Selbstvertrauen tranken und Politt sieht, dass er für Roubaix auf dem Weg ist. Bleibt er nun gesund, darf man mit ihm bei Paris-Roubaix rechnen. Wie sehr man sich bei der Klassiker-Fraktion des Teams dort ein gutes Resultat wünscht, kann man sich nach dem verkorksten Frühjahr (der Klassiker-Fraktion) leicht vorstellen.

4 QuickStep – nicht gut genug, dennoch beeindruckende Ruhe

Auch das Team QuickStep AlphaVinyl musste in diesem Frühjahr viele gesundheitliche Rückschläge wegstecken. Dazu kamen Stürze. Die Top-Fahrer für die Klassiker kamen für die so wichtigen Rennen nicht in Top-Form. Der Anspruch dieses Teams ist enorm, gerade in Sachen heimische Pflaster-Rennen. Das Frühjahr 2022 ist bislang fast katastrophal. Der Sieg von Fabio Jakobsen bei Kuurne-Brüssel-Kuurne war der einzige bei den so wichtigen flämischen Rennen. Bei der Ronde, dem heimischen Monument, schaffte man es nicht in die Top20.

Er war nicht gut genug, sagte Leader Kasper Asgreen nach dem Rennen. Er hatte zudem Defekt am Koppenberg, wollte das aber nicht als Ausrede hernehmen. Er hätte auch ohne dieses Pech nicht vorn mitfahren können, sagte er nach dem Rennen. Das ganze Team war nicht dominant, auch wenn man mit Steimle und Stybar offensiv agierte. Sie sind nach all den Infekten schlicht nicht stark genug um ganz vorn mitzufahren. In der Heimat wird das genau so eingeordnet und Teamboss Patrick Lefevere stellt sich demonstrativ vor sein Team und will dabei auch nicht jammern. Andere Teams würde es noch härter treffen, und für die Ardennen sei er zuversichtlich. Beim sonst so polternden Teamchef ist dies bemerkenswert.

Der Ehrgeiz im Team ist sicher ungebrochen und man darf gespannt sein, wie sie versuchen, Revanche für dieses Frühjahr zu nehmen. Spätestens wenn dies gelingt, wird man auch von Teamchef Patrick Lefevere wieder ein paar medienwirksame Aussagen zu hören bekommen.

5 Endlich wieder Ronde

Die Ronde lebt von ihrem sportlichen Wert, der Historie, aber eben auch vor allem von der tollen Stimmung. Ohne Fans war es komisch. Wie sehr sie fehlten, merkt man erst, wenn die wieder da sind. Die Präsentation, die Stimmung am Kwaremont, am Paterberg … immer wieder toll. Aber es sind auch kleinen Momente, die gefehlt haben. Beispielsweise wie die Frauen auf dem Weg vom Einschreiben durch Oudenaarde zurück zu den Bussen fahren und ihnen aus den vollbesetzten Kneipen ein „Ooohhhheeeiiijjjjjj“ entgegenschallt, wenn sie vorüber rollen. Erst mit den Fans ist die Ronde wieder Ronde.

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