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Die Erkenntnisse der Baskenland-Rundfahrt 2022

Baskenland-Rundfahrt 2022

1 Danke, Itzulia

Wer sich ein wenig intensiver mit dem Radsport beschäftigt, dem ist die Bedeutung der Baskenland-Rundfahrt sicher bewusst. In diesem Jahr gelang der Organisation wieder, ein tolles Rennen zu gestalten, das sportlich einen Leckerbissen bot und vor allem auch durch die baskischen Fans zum echten Radsportfest wurde. Die spektakuläre Schlussetappe war wohl das spannendste Rennen in dieser Saison. Die Sprinter machen natürlich einen Bogen um dieses Rennen, aber deren inoffizielle Weltmeisterschaft findet eben auch parallel an der Schelde statt.

Zum 61. Mal wurde die Baskenland-Rundfahrt bereits ausgetragen und nach dem Ausfall 2020 und den schwierigen Bedingungen im vergangenen Jahr, war es in diesem Jahr ein „normales“ Rennen, mit beeindruckender Kulisse und vor allem sportlich sehr interessantem Parcours.

2 Remco macht den nächsten Schritt!?

Bei der Valencia-Rundfahrt musste Remco Evenepoel den Bora-Kapitän Aleksandr Vlasov auf der steilen Schotterstraße zum Ziel der Königsetappe ziehen lassen und verlor das Leadertrikot. Bei der Algarve-Rundfahrt holte er sich den Sieg, doch bei Tirreno-Adriatico brach er auf der Königsetappe erneut ein und rutschte aus den Top 10. Bei der Baskenland-Rundfahrt verlor er am Schlusstag (auf der Königsetappe) erneut das Gelbe Trikot und rutsche vom Podium. Dem Belgier fehlt noch etwas zu den ganz großen Jungs. Vor allem, wenn es ganz steil wird. Doch Remco ist 22 Jahre alt und wird diese Baskenland-Rundfahrt durchaus als Schritt in die richtige Richtung wahrnehmen.

„Ich hoffe, euch Jungs hat gefallen, was ich diese Woche gezeigt hab“, sagte Evenepoel im Interview nach dem Rennen. Er erkannte die Leistung der anderen Top-Fahrer an und schien dennoch zufrieden, mit seiner Leistung. Auch wenn er um seine Enttäuschung keinen Hehl machte. Er ist das große belgische Wunderkind und wurde als dieses gehypt. Das nervt nicht wenige Radsportfans gewaltig, ist aber weniger Schuld von Evenepoel selbst. Am Schlusstag lieferte er einen couragierten Auftritt, gab niemals auf und bewies Charakter. In Sachen Renntaktik fehlen ihm sicher noch ein paar Rennen, um auch dort auf dem Top-Level zu sein, aber seine Leistung bei dieser Baskenland-Rundfahrt lässt sich durchaus als Schritt nach vorn deuten. Ob er tatsächlich das Zeug zum Grand-Tour-Fahrer hat, wird man sehen, doch zumindest für die einwöchigen Rundfahrten ist er, auch dank seiner Zeitfahrqualitäten, künftig stets einer der Top-Favoriten.

3 Ineos Grandiers auf dem Weg zurück zu alter Stärke

Im vergangenen Jahr hat das Team Ineos Grenadiers die Top-Position für die schweren Etappenrennen verloren. Von der alten Sky-Dominanz war nichts mehr zu sehen und man verlor den Anschluss an Jumbo-Visma. Hin und wieder blitzte die Qualität dieses Teams auf, beispielsweise beim Sieg von Egan Bernal beim Giro, aber insgesamt war das zu wenig – für Budget und Fahrerqualität. Einige Experten wähnten das Team bereits auf dem absteigenden Ast, zweifelten an der weiteren Entwicklung.

Diese Baskenland-Rundfahrt lieferte einige Anzeichen, dass man dieses Team nicht abschreiben sollte. Auch nicht für die Tour de France. Daniel Felipe Martinez überzeugte beim Giro 2021 und bewies, dass er künftig auch für die Leaderrolle eine echte Option ist. Das bestätigte er nun im Baskenland eindrucksvoll. Aber auch Geraint Thomas fuhr stark, als Helfer. So stark wie lange nicht mehr. Tao Geoghegan Hart scheint auch immer besser in Form zu kommen und Adam Yates zeigte sich auch solide, auch wenn er am Ende ausstieg. Die jungen Wilden – Carlos Rodríguez, Tom Pidcock, Ben Tulett, Magnus Sheffield, Ben Turner und Luke Plapp liefern überzeugend ab, auf ihrem jeweiligen Terrain. Satte 15 Siege hat man bereits eingefahren, mit 10 unterschiedlichen Fahrern!

Es scheint, als habe Ineos Grandiers den nötigen (sanften) Umbruch (über alle Fahrerkategorien hinweg) vollzogen und macht sich wieder auf den Weg, das stärkste Team der Welt zu werden. Bei der Tour wird es schwer, gegen Pogacar und auch gegen die Jumbo-Visma-Gang, doch in der Breite ist man extrem stark und vor allem mit vielen jungen Fahrern scheinbar zukunftssicher aufgestellt. Beeindruckend.

4 Bora-hansgrohe – den Kritikern die Luft genommen

Das Team Bora-hansgrohe steckt in einer schwierigen Situation. Viele krankheitsbedingte Ausfälle, vor allem bei den Klassikern fehlen die Sieg-Fahrer. Politt, als Mann für die Pflasterrennen, fuhr bislang krankheitsbedingt der Form hinterher. Max Schachmann fällt nun nach Covid und anschließender Virusinfektion bei Paris-Nizza sogar komplett für die Ardennen-Klassiker aus. Bitter, ohne Frage. Doch dafür läuft es an anderer Stelle rund – vor allem mit Aleksandr Vlasov.

Als Bora-hansgrohe die Neuverpflichtungen für 2022 präsentierte, wurde das nicht überall positiv kommentiert. Ein Journalisten-Kollege wollte sogar einen „hastig zusammengestellten Kader“ erkannt haben. Nach Sagans und Ackermanns Abgang habe es an der Strategie gefehlt, würde man hastig und notgedrungen einen Umbruch einleiten. Das Gegenteil war der Fall, wurden doch Verpflichtungen von Fahrern wie Sergio Higuita bereits lange vor der Tour de France eingeleitet. Die Neuverpflichtungen wurden kritisch betrachtet, gerade die der potenziellen GC-Fahrer. Daran ist das Team natürlich nicht unschuldig.

Das Führungsteam um Ralph Denk steckt sich stets hohe Ziele. Man ist auch nicht um Understatement bemüht, sondern formuliert die eigenen Ziele klar. Monumente gewinnen und auf das Podium einen Grand Tour – da will man hin. Klar, nach Rang vier bei der Tour de France, dem Grünen Trikot in Paris, dem Ciclamino, Paris-Roubaix, … was will man als neue Ziele ausgeben?

Die neue Ausrichtung, vor allem bei den Grand Tours angreifen zu wollen, kann man auch an den Neuverpflichtungen ablesen. Doch genau dort erntete das Team Kritik. Man habe keinen Fahrer geholt, der das Zeug hat, eine Grand Tour zu gewinnen – so die Kritik. Für das Jahr 2022 mag das stimmen. Doch welchen Fahrer hätte man verpflichten können, der dazu in der Lage wäre? Pogacar, Bernal, Carapaz, Roglic – sie alle waren nicht auf dem Markt. Selbst die zweite Reihe, mit Martinez, Vingegaard, Gaudu, Yates… sie waren nicht zu bekommen.

Da wählte man den Weg, der zu einem Team im Umbruch perfekt passt: Man verpflichtete hoch talentierte Fahrer, denen der letzte Entwicklungsschritt fehlt, um ganz oben anzuklopfen. Jai Hindley, Sergio Higuita und allen voran Aleksandr Vlasov zählen zu dieser Kategorie. Vor allem Vlasov bringt mit, was es braucht. Körperlich mit den Voraussetzungen um ganz vorn mitzufahren. Aktuell ist er wohl der Fahrer im Team, mit dem größten GC-Potenzial. Aber eben noch nicht mit der Erfahrung, die es braucht. Die will man ihm geben, nach und nach die Schritte gehen.

Doch gerade bei Vlasov war die Skepsis in den (deutschen) Massenmedien groß. Warum, ist schwer nachzuvollziehen. Vermutlich, weil er selten spektakulär agierte und man ihm nicht die großen Siege zutraute. Gerade in Italien schätze man das beispielsweise ganz anders ein.

Doch nun ist Vlasov der Fahrer, der dem Team Bora-hansgrohe das Frühjahr rettet (in Sachen Ergebnisse): Valencia-Rundfahrt gewonnen, Gesamtvierter bei der UAE-Tour und nun im Baskenland auf dem Podium. Klar, bei seiner ersten Tour de France im Sommer wird er noch nicht ganz vorn mitfahren können, aber seine Entwicklung zeigt definitiv in die richtige Richtung. Den Kritikern der Transferpolitik wurde die Luft genommen. Vor allem durch Vlasov, aber auch von Hindley und Higuita. Diese drei (neuen) Jungs zeigen ein super Frühjahr. Und das ist ganz sicher nicht nur ihren vorherigen Teams zuzuschreiben.

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