Paris-Roubaix 2022: Strecke, Sektoren, Startliste & Favoriten | Vorschau

Paris-Roubaix führt 2022 über 257,5 km von Compiegne nach Roubaix. Satte 54,8 Kilometer geht es dabei über Kopfsteinpflaster.

„Wer behauptet, dass er es liebt, erzählt Schwachsinn“, sagte einst Rolf Aldag, aktuell Sportdirektor beim Team Bora-hansgrohe. So manche große Radlegende hasste es, gewann aber dennoch. Paris-Roubaix hat einen ganz eigenen Charakter, ist unvergleichlich, anachronistisch. Legendär ist das Zitat von Theo de Rooy aus dem Jahr 1985, das den Mythos Roubaix ganz gut beschreibt. „Dieses Rennen ist Schwachsinn. Du arbeitest wie ein Tier, du hast keine Zeit zum Pinkeln, machst dir in die Hose. Es ist ein Haufen Scheiße”, sagte er nach dem Rennen. Als der Reporter fragte, ob er denn jemals wieder starten würde, antwortete de Rooy sofort: „Natürlich, es ist das schönste Rennen der Welt“. 

Das Pflaster von Roubaix übt eine magische Anziehungskraft aus. Es ist ein Rennen, bei dem alles passen muss, will man am Ende den Stein in den Himmel recken. „Mindestens 50% sind die Beine. Du musst top drauf sein, um dabei bleiben zu können. Aber der Kopf ist extrem wichtig. An sich zu glauben, nicht aufzugeben, sich nicht verrückt machen lassen, an sein Konzept zu glauben“, erklärte John Degenkolb das Erfolgsrezept für Roubaix. Dem Sieger von 2015 wurde ein Abschnitt gewidmet, nachdem er sich für den Erhalt des Nachwuchsrennens eingesetzt hatte und dies gemeinsam mit Fans rettete. Im vergangenen Jahr war er nach einem Sturz bei der WM chancenlos, in diesem Jahr will er wieder um den Sieg mitkämpfen. So auch Nils Politt, der nach gesundheitlichen Rückschlägen in diesem Frühjahr bei der „Hölle des Nordens“ angreifen will.

Knifflige Vorbereitung, auch wegen des veränderten Termins

Wegen der französischen Präsidentschaftswahlen tauschte Paris-Roubaix mit dem Amstel Gold Race den Platz im Rennkalender. Dadurch verlängerte sich für die Pflaster-Spezialisten die ohnehin schon lange Klassiker-Kampagne um eine Woche. „Das spielt in der Vorbereitung schon eine Rolle“, sagt Sebastian Deckert, Trainer beim Team DSM. „Grundsätzlich gibt es mehrere Wege, sich auf dieses Rennen vorzubereiten. Man muss die Form sowohl physisch, als auch psychisch darauf ausrichten. Vom Opening Weekend bis zu Roubaix wird es schwierig, auf Top-Level bleiben, ohne die Batterien zwischendrin wieder aufzuladen. Vor allem mental“, erklärt Deckert.

Dass Paris-Roubaix nun eine Woche später ist, kann auch ein Vorteil sein. „Es ist vielleicht so, dass es für einige Fahrer weniger nachteilig ist. Fahrer, die sich besonders gut kennen, vor allem auch in Sachen mentaler Erschöpfung, dazu eine sehr große Basis haben, sind gegenüber unerfahrenen Fahrern vielleicht im Vorteil“, so Deckert.

Doch eine „normale“ Klassikersaison hatte ohnehin kaum ein Fahrer. Vielen fingen sich Corona ein, dazu grassierte bei Paris-Nizza ein anderes Virus, das viele der Top-Fahrer außer Gefecht setzte. So darf man bei einer ganzen Reihe von Top-Fahrern ein Fragezeichen hinter die aktuelle Form setzen.

Die Strecke

Hochauflösend gibt es die Karte hier

Die Strecke unterscheidet sich ein wenig von der aus dem Vorjahr. Der Charakter des Rennens bleibt unverändert. Zurück im Parcours ist der Vertain-Sektor (Nr. 26) in der langen Variante, dazu der nicht ganz so schwere Saulzoir-Sektor (Nr. 24). Die letzten 22 der 30 Sektoren sind wie 2021. Allerdings hat sich der Hem-Sektor (Nr. 2) verändert, denn er wurde kürzlich renoviert.

Vor rund zwei Jahren hatte man die Passage im Wald von Arenberg neu vermessen und sie nun als 100 Meter kürzer, also nur noch 2300 Meter lang ins Roadbook aufgenommen. Leichter ist der brutale Pflaster-Abschnitt aber nicht geworden, auch wenn er renoviert wurde.

Das erste ganz schwere Stück ist dieser Wald von Arenberg, eine Roubaix-Legende, auch wenn er erst seit Ende der 60er Jahre im Programm ist. Schon vor diesem Pflaster wird es extrem schnell, denn alle wollen vorn aufs Pflaster, um nicht von Stürzen aufgehalten zu werden. Es gibt regelrecht einen Sprint bis zum Beginn des Sektors. Vor Jahren stürzte hier Johan Museeuw und brach sich die Kniescheibe

Nach “dem Wald” wird geschaut, wer noch dabei ist. Von hier aus sind es noch rund 95 Kilometer bis ins Velodrom. Man muss nicht in den ersten 3-4 Positionen aus dem Wald kommen, um am Ende eine Chance zu haben, aber auch wenn nach dem Arenberg eine taktische Phase beginnt, sollte man in Reichweite der anderen Favoriten sein.

Rund 48 Kilometer vor dem Ziel kommt die nächste Schlüsselstelle – der Sektor Mons-en-Pévèle. Sektor für Sektor schwinden die Kräfte und der Tritt wird immer schwerer. Es schleichen sich kleine Fehler ein, die schwerwiegende Folgen haben können. Ein Schlagloch falsch erwischt kann zu einem Platten führen. Die Positionen vor den Pflasterstücken werden immer wichtiger, denn verlassen die Fahrer davor die Kräfte, ist es schwer vorbeizufahren und die Lücke nach vorn zu schließen.

Der legendäre Le Carrefour de l’Arbre ist eines der schwersten Pflasterstücke. Es sind nur noch 17 Kilometer bis zum Ziel, der ideale Moment, für die Vorentscheidung zu sorgen. Hier muss man auch mental stark sein, die Grenzen verschieben. Im schmalen Spalier der Fans wird jedes Korn auf die Straße geworfen. Vorn geht es um die Podiumsplätze, hinten nur noch darum, auf dem Rad zu bleiben. Am Carrefour de l’Arbre lässt sich für die Fans hautnah erleben, was dieses Rennen mit den Fahrern macht. Leere Blicke, Schmerz-Grimassen, kaum noch Spannung im Oberkörper – sie wollen, aber der Körper kann nicht mehr.

Die letzten eineinhalb Runden auf der Radrennbahn sind der passende Abschluss für dieses epische Rennen. Kommt es zum Sprint einer kleinen Gruppe, gilt es aufmerksam zu sein und sich nicht einbauen zu lassen.

Die 30 Sektoren:

30 : Troisvilles to Inchy (km 96,3 – 2,2 km) ***

29 : Viesly to Quiévy (km 102,8 – 1,8 km) ***

28 : Quiévy to Saint-Python (km 105,4 – 3,7 km) ****

27 : Saint-Python (km 110,1 – 1,5 km) **

26 : Vertain to Saint-Martin-sur-Écaillon (km 117,9 – 2,3 km) ***

25 : Haussy (km 123,7 – 0,8 km) **

24 : Saulzoir to Verchain-Maugré (km 130,6 – 1,2 km) ** 

23 : Verchain-Maugré to Quérénaing (km 134,9 – 1,6 km) ***

22 : Quérénaing to Maing (km 137,6 – 2,5 km) ***

21 : Maing to Monchaux-sur-Ecaillon (km 140,7 – 1,6 km) ***

20 : Haveluy to Wallers (km 153,7 – 2,5 km) ****

19 : Trouée d’Arenberg (km 161,9 – 2,3 km) *****

18 : Wallers to Hélesmes (km 167,9 – 1,6 km) ***

17 : Hornaing to Wandignies (km 174,7 – 3,7 km) **** 
(first sector of Paris-Roubaix Femmes avec Zwift)

16 : Warlaing to Brillon (km 182,2 – 2,4 km) ***

15 : Tilloy to Sars-et-Rosières (km 185,6 – 2,4 km) ****

14 : Beuvry-la-Forêt to Orchies (km 192 – 1,4 km) ***

13 : Orchies (km 197 – 1,7 km) ***

12 : Auchy-lez-Orchies to Bersée (km 203,1 – 2,7 km) ****

11 : Mons-en-Pévèle (km 208,6 – 3 km) *****

10 : Mérignies to Avelin (km 214,6 – 0,7 km) **

9 : Pont-Thibault to Ennevelin (km 218 – 1,4 km) ***

8 : Templeuve – L’Epinette (km 223,4 – 0,2 km) *

8 : Templeuve – Moulin-de-Vertain (km 223,9 – 0,5 km) **

7 : Cysoing to Bourghelles (km 230,3 – 1,3 km) ***

6 : Bourghelles to Wannehain (km 232,8 – 1,1 km) ***

5 : Camphin-en-Pévèle (km 237,3 – 1,8 km) ****

4 : Carrefour de l’Arbre (km 240 – 2,1 km) *****

3 : Gruson (km 242,3 – 1,1 km) **

2 : Willems to Hem (km 249 – 1,4 km) **

1 : Roubaix – Espace Charles Crupelandt (km 255,8 – 0,3 km) *

Die Favoriten

Für Paris-Roubaix ist die Favoritenliste sicher etwas länger, als für die Flandern-Rundfahrt. Es ist vor allem Power gefragt, Höhenmeter hat dieses Rennen kaum. Zudem soll es in diesem Jahr trocken bleiben und ein wenig Rückenwind geben. Das dürfte bedeuten, dass viele Fahrer in die Gruppe des Tages wollen. Das wiederum könnte dazu führen, dass sich erst kurz vor dem ersten Pflaster-Sektor überhaupt eine Gruppe formiert. Oder zumindest der Vorsprung der Ausreißer recht klein ist, wenn die Pflasterpassagen beginnen. Es wird vermutlich erneut ein Aussscheidungsfahren geben, sobald die Pflasterstücken erreicht sind. Nach und nach wird die Gruppe der Favoriten immer kleiner werden. Ehe dann im Finale die Entscheidung fällt.

Einer der Top-Favoriten ist sicher Rondesieger Mathieu van der Poel. Kasper Asgreen, Stefan Küng und Mads Pedersen zählen ebenso zu den Favoriten. Bei Yves Lampaert muss man abwarten, ob er seine Top-Form doch noch erreicht hat. Filippo Ganna hat 2016 die Junioren-Austragung gewonnen und will nun auch bei den Männern angreifen.

Wout van Aert kommt nach Covid-Pause zurück und wird sicher nicht bei 100% sein. Seine Teamkollegen Christophe Laporte und vor allem Mike Teunissen haben dennoch gute Chancen auf eine Top-Platzierung. Auch bei Nils Politt und John Degenkolb bleibt abzuwarten, wie gut die Form nach gesundheitlichen Rückschlägen in diesem Frühjahr ist. Das gilt auch für Jonas Rutsch. Alexander Kristoff, Jasper Stuyven, Anthony Turgis, Guillaume Boivin, Stefan Bissegger, Matteo Trentin und Iván García Cortina zählen sicher auch zum erweiterten Favoritenkreis.

Sehr stark präsentierte sich zuletzt das Team Ineos Grenadiers. Mit Dylan van Baarle, Ben Turner und Luke Rowe hat man neben Ganna noch weitere Optionen.

***** Mathieu van der Poel
**** Stefan Küng, Dylan van Baarle
*** Mike Teunissen, Kasper Asgreen
** Mads Pedersen, Christophe Laporte
* Filippo Ganna, Jasper Stuyven, Wout van Aert, John Degenkolb, Nils Politt

Start: 11 Uhr
Ziel: ~17:40 Uhr

Die Startliste bei Firstcycling


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Bernard Hinault – Paris-Roubaix 1981

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