Home Analyse Tour de France 2022: 6 Erkenntnisse nach dem Grand Depart in Dänemark

Tour de France 2022: 6 Erkenntnisse nach dem Grand Depart in Dänemark

Nach drei Etappen verlegt der Tourtross nach Frankreich. Hier die Erkenntnisse des Grand Depart in Dänemark.

1 Beeindruckende Kulisse

Magnus Cort genießt die Kulisse

Egal welcher Fahrer gefragt wurde, alle zeigten sich von der Kulisse in Dänemark beeindruckt. Etwas Wetter-Pech beim Auftaktzeitfahren, sonst wäre es wohl auch in Kopenhagen die perfekte Radsport-Party geworden. Auf den ersten Etappen gab es kaum einen Meter Strecke ohne Zuschauer, außer natürlich an den Stellen wo sie nicht erlaubt waren, wie auf der Brücke über den Großen Belt. Beeindruckend, nach den Corona-Jahren für die Fahrer ein besonderes Erlebnis. Das Publikum feierte die Tour, aber nicht alle Teams und Fahrer. Es gab Pfiffe für Bahrain-Victorious bei der Teampräsentation, und auch gegen Matej Mohoric beim Zeitfahren. Man kann vermuten, dass das die Folgen der Doping-Untersuchungen gegen das Team sind.

Der Grand Depart war ein Erfolg, zumindest aus dem Blickwinkel der Fans und Fahrer. Dass Magnus Cort das Bergtrikot eroberte und dann am dritten Tag allein vor dem Feld fuhr und den Massen zuwinkte, war ein Teil der Dänischen Tourparty. Man darf gespannt sein, ob der Grand Depart nachwirkt, vielleicht sogar wieder mehr Sponsoren in den Sport kommen.

2 Ohne Wind

Keine Panik – das Gemetzel auf der Brücke über den Großen Belt blieb aus

Monatelang wurde diskutiert, welch Gefahren von den windanfälligen Etappen in Dänemark ausgehen. Ein Gemetzel hatte man erwartet, die Organisation für die Streckenwahl kritisiert. Doch der starke Wind blieb aus. Es gab keine großen Stürze, keine Winkanten, kein Favoritensterben. Ein Zeitfahren und zwei Sprints – kein einziger Fahrer musste aufgeben. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird, lautet ein altes Sprichwort – bei der Tour gehört die Zubereitung des 21-Gänge-Menüs zur Show. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern, dafür ist der Hunger nach Spektakel zu groß.

3 Emotionale Geschichten

Überwältigt – Yves Lampaert

Die Tour de France ist das Rennen für die emotionalen Geschichten. Die ersten drei Etappen boten direkt die komplette Bandbreite. Zum Auftakt siegte durchaus überraschend Yves Lampaert und brach in Tränen aus. Der „Bauernsohn aus Belgien“ holte das erste Gelbe Trikot und erfüllte sich unerwartet einen großen Traum. Lampaert ist der typische Helfer im Klassikerteam QuickStep. Bärenstark, aber selten in der Leaderrolle. Nach und nach hat er sich hochgearbeitet, durch beeindruckende Leistungen. Auch bei der Tour ist er Helfer, doch beim Zeitfahren kann eben „jeder so hart treten, wie er kann“, sagte Lampaert. Er holte den Sieg und konnte es kaum glauben.

Emotional wurde es auch am zweiten Tag. Fabio Jakobsen, vor zwei Jahren schwer gestürzt, als ihn Dylan Groenewegen bei der Polen-Rundfahrt in die Bande drückte. Er verlor fast alle Zähne, erlitt zahlreiche Brüche und musste sich zurück kämpfen. Nun ist er bei seiner ersten Tour und gewinnt direkt den ersten Sprint. „Es schließt sich ein Kreis“, sagte Jakobsen.

Der dritte Sieg ging an Dylan Groenewegen, auch er war überwältigt. Verständlich, denn auch hinter dem Niederländer liegt eine schwere Zeit. Nach dem Manöver gegen Jakobsen bekam er Drohungen, stand unter Polizeischutz. Bei seinem Sohn traten nach der Geburt Probleme auf, er musste in Krankenhaus. Der Niederländer wechselte das Team, kommt zurück zur Tour und holte den ersten Tour-Etappensieg seit 2019. Kein Wunder, dass er sich im Ziel kurz auf den Bordstein setzte und überwältigt war.

4 Van Aert muss um Grün kämpfen

Sagan fühlte sich im Sprint am dritten Tag von Van Aert behindert

Wout van Aert hat bei dieser Tour zwei Rollen. Zum einen ist er ein wichtiger Helfer für die beiden Klassementfahrer Primoz Roglic und Jonas Vingegaard, zum anderen kämpft er um Grün und Etappensiege. Satte 107 Zähler hat Van Aert bereits im Kampf um Grün gesammelt. Wurde bei allen drei Etappen Zweiter. Mit der satten Ausbeute ist er der große Favorit auf Grün. Doch es deutet sich an, dass er das Trikot nicht im Vorbeigehen einsammeln kann. Denn Peter Sagan hat zur Tour ganz offensichtlich zu alter Stärker gefunden und wird Van Aert die Stirn bieten. Klar, Van Aert hat ein großes Polster, doch er wird bald für seine Kapitäne fahren müssen, kann sich dann weniger aufs Punktesammeln konzentrieren. Man darf gespannt sein, ob hier vielleicht doch ein packendes Duell entsteht. Dass Sagan und Van Aert im Finale der dritten Etappe etwas aneinander geraten sind, bringt vielleicht zusätzlich Würze rein. Den Machern der Netflix-Doku wäre es sicher genehm, bliebe etwas Feuer im Duell.

5 Pogacar – Ausrufezeichen und Artistik

Pogacar: Der Mann mit der 1 ist in Top-Form!

Was Tadej Pogacar beim Auftaktzeitfahren ablieferte war beeindruckend. Im strömenden Regen ließ er es flott angehen, nahm auch in den Kurven Risiko, wenn offenbar auch richtig kalkuliert. Er war der schnellste Klassementfahrer, brummte Roglic direkt 9 Sekunden auf. Geraint Thomas verlor fast 20 Sekunden und Aleksandr Vlasov fast eine halbe Minute. Das war ein Ausrufezeichen des Titelverteidigers. Er ist bereit, den Hattrick zu holen, so die Botschaft an die Konkurrenz.

Doch auch er muss gesund bleiben, um die Stürze der Tour drumrumkommen. Wie knapp es werden kann, sah man am zweiten Tag. Artistisch wich er aus, fuhr dennoch mit der Hand in die Gitter und die Reifen platt – konnte aber den Sturz verhindern. Das war nicht nur Glück. Drei Tage der kniffligen ersten Woche hat er geschafft, mehr als ordentlich hinter sich gebracht. Doch es warten nach dem Ruhetag noch zwei weitere knifflige Etappen. Dort wird er besonders gefordert sein, ehe es in das Terrain geht, was ihm liegt, und er wohl der Beste ist.

6 Corona – der Endgegner der Tour?

Bloß nicht anstecken – Van Aert und Roglic

Vor der Tour war es das große Thema – Corona. Fahrer mussten kurz vor dem Start noch ersetzt werden, Teams bangten um den Start kürzlich genesener. Doch seit die Tour rollt, ist der Fokus verschoben, das dominante Thema tatsächlich in den Hintergrund gerückt. Auch, weil es bislang keinen Fahrer erwischt hat. Oder weiß man es nur nicht? Die Begeisterung während des Grand Depart hat ein wenig davon abgelenkt. Es gab andere große Geschichten, die in den Medien dominierten. Doch die Angst vor einer Krankheitswelle im Peloton bleibt. Beim QuickStep-Team erwischte es einige aus dem Staff. Als Tom Steels (mit Maske) nach dem Zeitfahren im Interview „sorry, ich hab meine Stimme verloren“ sagte, gingen Augenbrauen nach oben. Tatsächlich musste er wenig später die Tour verlassen.
Einige sprachen bezüglich Corona vom „Endgegner dieser Tour“, denn es kann wohl jeden treffen. Auch Pogacar. Teams, Fahrer, Fans – die Hoffnung bleibt, dass die Straße die Entscheidung bringt, nicht das Virus.

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