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Bora-hansgrohe – überraschend konsequent

Der Tourkader von Bora-hansgrohe ist bärenstark. Doch man hat fast nur potenzielle Kapitäne zum Start nach Kopenhagen gebracht. Konrad, Kämna, Politt haben alle bereits Touretappen gewonnen und das Potenzial, dies wieder zu tun. Vlasov ist der GC-Leader und Van Poppel soll sprinten. Schachmann stand auf dem Podium eines Monumentes, ebenfalls bereits Grand-Tour-Etappensieger und Doppel-Champion bei Paris-Nizza. Auch Felix Großschartner besitzt die Qualität, eigene Ansprüche anmelden zu dürfen. Der kritische Blick von außen drängt die Frage auf: Wer fährt da für wen? Wer macht die Arbeit, opfert seine eigenen Ambitionen? Die Antwort hat das Team gegeben – alle für Vlasov, alles für den Erfolg.

Teamsport und Hierarchien sind ein kniffliges Thema, vor allem im Radsport. Denn, haust du deine Körner für den Kapitän raus, kannst du keine eigenen Ergebnisse einfahren. Oft werden Fahrer als Helfer genutzt, bekommen für andere Rennen dann eine freie Rolle. Manchmal werden Erwartungen enttäuscht, müssen Versprechen gebrochen werden, weil an anderer Stelle Erfolg in Aussicht ist. Nicht jeder fährt gern für jeden. Da geht es um Charaktere, Umgang, Persönlichkeiten.

Manche Leader sind natürliche Autoritäten. Manche sind wegen ihrer Leistungsfähigkeit Kapitäne. Für manche Kapitäne wird gern gefahren, weil sie selbst alles für die anderen geben. Für manche, weil sie wertschätzen, wissen die Helfer zu behandeln. Manche sind einfach keine Leader, weil sie zu wenig Empathie besitzen, oder aus zu großem Ehrgeiz nur an sich denken, was als Bumerang zurückkommt. Man könnte Bücher mit Leader-Anekdoten füllen.

Das Interesse eines Teams ist klar – sie wollen ein Gefüge, was den maximalen Erfolg bringt. Das zu erreichen, gibt es verschiedene Strategien. Welche passt, hängt wohl stark mit den Charakteren zusammen. Manchmal ist der Einfluss der Teamleitung auch begrenzt, wird gestört von den Interessen der Fahrer und ihrer Agenten. Auch die Medien spielen eine Rolle.

Bei Bora-hansgrohe war in den ersten neun Renntagen dieser Tour zu beobachten, dass auch die potenziellen Kapitäne bereit sind, die eigenen Ambitionen zu opfern. Beispielsweise Maximilian Schachmann, der sich auf der Kopfsteinpflaster-Etappe und auch beim Finale in Longwy für Kapitän Aleksander Vlasov voll verausgabte. Und auf der Etappe zu den Planche des Belles Filles für Lennard Kämna arbeitete. Auch Patrick Konrad war einer der Fahrer, die nach dem Sturz Vlasovs auf dem Weg nach Longwy warteten und Tempo machten. Auch beim Finale in Lausanne klemmte er sich vor das Feld, für Kapitän Vlasov. Haller und Politt waren für die Positionsarbeit zuständig, oder halfen den Kollegen in die Gruppe. Beim Giro arbeitete das ganze Team komplett für Hindley. Bei der Tour wirkt es nun auch so, als würde man sich vor allem auf Vlasov konzentrieren.

Wenn sich die Helfer für den Kapitän verschleißen, dieser dann eine Grand Tour gewinnt, sind alle happy und haben alles richtig gemacht. Stürzt aber der Leader und kann nicht liefern, muss man Kritik aushalten. Bora-hansgrohe hat den Etappensieg an den Planche des Belles Filles ganz knapp verpasst. Dieser Erfolg hätte Ruhe gegeben, es hätte keine schlechte Tour mehr werden können. Hätte. Sollte Aleksandr Vlasov seine Rückenprobleme nicht überwinden können, die gestürzten Großschartner und Schachmann sich nicht erholen, wird man darüber diskutieren, ob man taktisch den richtigen Weg wählte. Im Team wird man neben der kurzfristigen auch die langfristige Perspektive sehen. Man will noch mehr zum GC-Team werden, dafür ist das Gefüge in der Mannschaft von besonderer Bedeutung. Wenn man sieht, wie sich Fahrer wie Schachmann aufopfern, wird man die reine Ergebnisliste vielleicht anders bewerten.

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