Der bärtige Mann im Bergtrikot – ein Held mit Punkten
Es gibt ganz unterschiedliche Menschen in einem Tour-Peloton. Alle eint, dass sie großes Talent haben, fleißig trainieren und sich gegen einige Widerstände durchsetzen mussten, um es dort hin zu schaffen, wo sie jetzt sind – beim größten und schwersten Radrennen der Welt. Doch auf die rund 180 Fahrer der Tour verteilt sich auch die Bandbreite der menschlichen Charaktere. Extrovertierte und introvertierte, verbissene und eher lockere Typen, witzige und ernste Charaktere. Die Medien wirken wie Brennglas, Verstärker oder Filter – die Menschen daheim finden einige Fahrer sympathisch, andere weniger. Die Überflieger sind selten die großen Sympathieträger, vor allem, sind sie zu dominant.
Für Journalisten sind Sportler ein wichtiger Teil für die Geschichten, die sie erzählen. Zitate belegen eine These, oder widerlegen sie. Zielinterviews transportieren Emotionen, bestenfalls. Lernt man die Fahrer näher kennen, erlebt sie nach Enttäuschungen im Rennen, oder nach Erfolgen. Man wertet Aussagen (vor allem nach dem Rennen) anders, als wenn man sie nicht kennt. Nicht immer versteht man, warum der eine Fahrer beliebt ist, der andere nicht. Und im Falle von Chris Froome, der stets freundlich und höflich war, aber als Tour-Dominator höchst unbeliebt, dem nun aber nach der schweren Zeit für seinen Kampf nach Alpe de Huez die Sympathien zufliegen, lässt sich gut ablesen, welch Schwankungen auf dem Beliebtheitsbarometer möglich sind.
Bei Simon Geschke gibt es zumindest eine Idee, warum er zu den beliebtesten Fahrern der Fans zählt. Er ist, wie er ist. Simon Geschke ist kein quirliger Selbstdarsteller, der die Medien geschickt zu nutzen weiß. Natürlich rollt er stets top gestylt zum Einschreiben! Sonnenbrille, Haare, Bart – das alles sitzt. Gehört zu ihm. Doch fragt man Geschke nach dem Kampf um die Bergpunkte nach einer Etappe, bekommt man keine perfekt zusammengesetzte Heldengeschichte präsentiert, sondern einen Abriss seines Tages. Hat er schlechte Beine, sagt er das. Sieht er sich als Außenseiter für das Rennen, wird er es genau so formulieren. Geschke ist eher der ruhige, gelassene Typ. Er weiß um seine Qualitäten, er weiß ebenso um seine Position in der Radsportwelt. Er haut alles raus was er hat, macht sich nur im Sattel größer, als er ist. Vor zwei Jahren stand seine Karriere auf der Kippe. Er bekam bei Cofidis die Chance und nutzte sie. Er hat alles erlebt im Radsport – das gibt ihm noch mehr Gelassenheit.
Simon Geschke ist kein Überflieger, hat sich die großen Momente seiner Karriere hart erarbeitet. „Jede Tour könnte meine letzte sein, also bin ich gern wieder dabei“, antwortete Simon Geschke, als ich ihn fragte, ob er wieder das Twitter-Tagebuch machen möchte. Was manchmal sehr nüchtern wirkt, ist oft einfach ehrlich und direkt. Was die Fans im Fernsehen sehen und im Netz lesen, das ist Simon Geschke. Die Abgeklärtheit, der eigene Anspruch, der Umgang mit Fehlern und Enttäuschung, die Emotionen im Erfolg – er lässt die Fans teilhaben, das macht ihn nahbar. Und für viele Menschen sympathisch.