Marco Brenner

Marco Brenner gilt als eines der ganz großen deutschen Radtalente. In den Junioren war er Weltspitze, wechselte 2021 mit 18 direkt in die WorldTour, zum Team DSM. Der Hype war groß, die Vergleiche mit Jan Ullrich ließen nicht auf sich warten. Brenner schlug sich von Beginn an ordentlich, musste viel lernen, fand sich „zwischen Hype und Lektionen“ aber gut zurecht. Sein Team achtet darauf, dass Brenner kleine Schritte macht, nicht verheizt wird. Er fuhr als Neo-Profi gut, aber eher bei kleinen Rennen und nicht so überragend, dass die Massenmedien sich auf ihn stürzen. So verschwand der Hype, was dem wenig erfahrenen Talent scheinbar gut tut.

Im ersten Profijahr standen mit der Tour de Romandie und dem Critérium du Dauphiné zwar schon zwei WorldTour-Etappenrennen an, doch es waren am Ende „nur“ 42 Renntage und sonst eher kleinere Rennen. Im zweiten Profijahr wurde das Programm schon deutlich anspruchsvoller. Die Katalonien-Rundfahrt kam hinzu, im Sommer die Polen-Rundfahrt und auch einige Klassiker, wie Amstel Gold Race oder Strade Binache. Im August stand für den damals 19-Jährigen die erste Grand Tour an – die Vuelta.

„Der Start in Utrecht war Wahnsinn. Sowas habe ich noch nicht erlebt“, sagt Brenner rückblickend. Seiner Stimme ist zu entnehmen, wie stark ihn der Grand Depart beeindruck hat. „Das war einfach megageil, mit den vielen Zuschauern, Wahnsinn“, fährt Brenner fort.

Sportlich lief es für DSM bei der Vuelta gut. Das Team konnte mit Thymen Arensman eine Etappe gewinnen und am Ende Gesamtrang sechs einfahren. „Damit können wir wirklich zufrieden sein„, sagt Brenner und ist auch mit seiner eigenen Leistung zufrieden. „Für mich persönlich war es gut zu sehen, dass ich über die drei Wochen Leistung bringen konnte und etwas beigetragen habe“.

Höhen und Tiefen

Für Brenner ging es darum, zu sehen, wie sein Körper eine Grand Tour wegsteckt. Ob er sich gut erholt, wie leistungsfähig sein Körper in der dritten Woche noch ist. „Ich denke, ich bin die drei Wochen auf einem recht konstanten Niveau gefahren. Ich hatte vorher schon gehofft, dass es so ist, aber nicht unbedingt erwartet, dass so gut wird“, formuliert Brenner zurückhaltend. Er bekam Freiheiten, war in Fluchtgruppen dabei und holte auf Etappe 12, bei der schweren Bergankunft in Peñas Blancas, aus einer stark besetzten Gruppe Rang fünf. Mehr als beachtlich.

Doch auch Brenner erlebte schwere Tage. In der ersten Woche war er zunächst in einer Fluchtgruppe dabei, doch dann erkältete er sich. „Auf der neunten Etappe fühlte ich mich gar nicht gut, ich dachte, ich muss aussteigen. Ich bin gefahren, wie ein Bumerang – abgehängt, wieder zurückgekommen, wieder abgehängt. An dem Tag haben mir meine Abfahrtskünste den Arsch gerettet“, sagt Brenner.

Es war wichtig für ihn, diese Krise zu überstehen, im Rennen zu bleiben. „Als ich das Etappenziel erreichte, wusste ich, dass ich durchkommen kann, bis Madrid. Ich war so erleichtert, als es dann besser wurde“, so Brenner. Er erholte sich am folgenden Ruhetag, konnte dann im Zeitfahren dosiert die Kräfte einsetzen und sparte auch in der anschließenden Flachetappe, wo er konnte. „Das waren fast drei Ruhetage am Stück„, sagt Brenner mit einem Lachen. Die leichte Erkältung überstanden, fasste er neuen Mut und holte sich dann seine Top5-Platzierung.

Marco Brenner an der Seite von Kapitän Thymen Arensman

Lernprozess

Für Brenner war die Vuelta ein weiterer Schritt, auf dem Weg in die Weltspitze. Es galt Lektionen zu lernen, sich Dinge abzuschauen. „An dem Tag, wo ich Fünfter wurde, habe ich meine beste Performance bisher abgeliefert. Aber es ging auch darum, zu merken, wo ich fahre und wie ich fahre“, sagt Brenner. „Ich habe immer gut zugehört, versucht die Vorgaben des Teams umzusetzen. Wann lohnt es in die Gruppe zu gehen, wann lässt man lieber weg und spart die Kraft, solche Sachen. Während einer Grand Tour gibt es so viele Dinge, die man lernen kann„.

Mit John Degenkolb hatte er einen sehr erfahrenen Zimmerkollegen. „John ist sehr aufgeschlossen, ein lockerer Typ. Ich habe gesehen, wie viel es bringen kann, wenn man richtig motiviert. Beispielsweise, als ich in die Gruppe wollte, aber das zunächst nicht klappte. Ich dachte schon, es ist vorbei, die Chance vertan. Aber John sagte: Nee, das ist noch nicht vorbei! Er fuhr mich dann in die Gruppe und ich war tatsächlich mit dabei“, erzählt Brenner.

Zu lernen, wie ein Teamgefüge bei einer Grand Tour funktioniert, wie Leader agieren – auch darum ging es für Brenner. „Man muss abschätzen können, wie man mit Menschen umgeht. Unser Team legt großen Wert darauf, wie das Miteinander funktioniert, das mal bei einer Grand Tour mitzuerleben war wichtig. Denn drei Wochen sind eine lange Zeit, da muss das Gefüge intakt bleiben. Es war gut, die Erfahrungen zu sammeln, die Unterschiede zwischen den Leadern wahrzunehmen“, fasst er zusammen. Schlüpft er bald selbst in die Leaderrolle, wird er von diesen Erfahrungen profitieren können, ist er sich sicher.

Das Vuelta-Team – Marco Brenner ganz links

Die Erkenntnisse

Auf die Frage, was ihm denn während der Vuelta am meisten Spaß gemacht hat, folgt eine unerwartete Antwort: „Die Sprints mit John„, sagt Brenner. „Vorn da reinzuhalten, dass hat richtig richtig Spaß gemacht“, so das Rundfahrten-Talent. Er fasst Vertrauen, fühlt sich sicher, saugt alles auf und lernt dazu. „Ich bin drei Wochen ein solides Niveau gefahren. Generell gut, Zeitfahren gut, Berg auch gut und im Sprintzug auch nicht schlecht“, fällt sein durchweg positives Fazit aus.

Doch die viellicht wichtigsten Erkenntnisse waren andere. „Letztes Jahr habe ich mir mehr Stress gemacht, auch was die Rennen und Ergebnisse angeht. Ich habe gemerkt, dass jeder Fahrer und jeder Körper anders ist. Ich glaube, dass es bei mir etwas länger braucht. Man muss sehen, was in 2-3 Jahren ist“, sagt Brenner ruhig. Worte, aus dem Munde eines 20-Jährigen kommen, der bereits eine Grand Tour absolviert hat. Noch vor Jahren hätte man gestutzt, doch in der aktuellen Radsportwelt, mit vielen extrem jungen Überfliegern, wirkt es fast normal, wenn ein 20-Jährige eine Grand Tour durchfährt.

Nur ein Fahrer bei der Vuelta war jünger als Brenner – Wunderkind Juan Ayuso, der Gesamtdritter wurde. Doch mit Ayuso, oder gar Sieger Evenepoel will sich Brenner nicht vergleichen. „Wenn ich konstant Schritte mache, bin ich zufrieden. Das ist der Grund, warum ich auch mit der Vuelta zufrieden bin. Wenn ich beispielsweise sehe, wie ich mich in der dritten Woche im Feld bewegt habe, das war richtig richtig gut.“

Marco Brenner hat von seinem Selbstvertrauen nichts eingebüßt, doch er hat etwas Gelassenheit hinzugewonnen, so scheint es. Die erste Grand Tour in der Karriere ist ein wichtiger Schritt, vor allem für einen potenziellen Klassementfahrer. Mit dem italienischen Herbst-Monument Il Lombardia will er seine zweite Profi-Saison ausklingen lassen. Man darf schon jetzt gespannt sein, welchen Schritt er 2023 machen wird.