Die erste offizielle UCI Gravel Weltmeisterschaft liegt hinter mir. Ich habe ein paar Tage benötigt, um das Format und meine persönliche Leistung für mich einordnen zu können. Mittlerweile sehe ich die Veranstaltung immer noch kritisch, habe aber akzeptiert, dass die UCI sehr wahrscheinlich etwas anderes mit Gravel vorhat, als ich mir das vielleicht wünschen würden. Ich habe mir etwas Zeit genommen darüber nachzudenken, was ich sehr gut fand und wo ich gerne Veränderungen sehen würde.

Was Gravel (bis jetzt) von anderen Disziplinen im Radsport unterscheidet ist, dass egal wie alt man ist, oder welches Geschlecht man hat, wir dieselbe Distanz und Strecke absolvieren. So ist das bei vielen der Rennen in den USA, aber durchaus auch in Europa. Das war leider bei der WM nicht der Fall. Die UCI setzt auf die alten Muster, sodass beispielsweise die Frauen eine kürzere Distanz gefahren sind. Zudem ist es eine Besonderheit des Gravel-Sports, dass alle zusammen starten und man die Chance als AmateurIn hat, sich mit den besten FahrerInnen der Welt zu messen. Bei der UCI-WM war auch das nicht gegeben, es wurde je nach Altersklasse in verschiedenen Blöcken mit zeitlichem Abstand gestartet.

Im Gelände ohne Probleme – Ex-Crosser

Das Thema Startaufstellung war in meinen Augen eine Farce. Zunächst wollte man vorn die StraßenfahrerInnen aufstellen und dahinter die GravelfahrerInnen, die sich zum Beispiel über die World Series Rennen qualifiziert haben. Nach etwas Druck von außen hat die UCI sich aber entschieden es zu mischen, was immer noch keine faire Handhabung war, aber besser als das eigentliche Konzept. Man sollte berücksichtigen, dass die Startaufstellung bei solch langem Rennen normalerweise nicht relevant ist, aber wir hatten direkt vom Start weg einen 1,4 km langen harten Anstieg, nach dem es direkt in eine sehr technische Abfahrt ging. Die Position am Start war hier durchaus von Bedeutung.

Schaut man sich den Parcours der WM genauer an, so kann man sagen, dass der Streckenverlauf den StraßenfahrerInnen auf jeden Fall mehr entgegen kam. Dennoch würde ich aber sagen, dass das Ergebnis – zumindest im Rennen der Elite-Männer – auch mit einer anderen Strecke wohl nicht sonderlich anders ausgefallen wäre.

Dass Straßenfahrern dieser Parcours mehr liegt, hängt auch damit zusammen, dass sie im Vergleich zum Gravel-Sportler einfach einen anderen Speed in den Beinen haben. Auch weil unsere Rennen, die wir sonst über das Jahr hinweg fahren, komplett anders ablaufen. Diese Explosivität benötigen wir nicht, fahren zudem auch sonst sehr selten mit 50km/h über Singletrails. Andererseits sind unsere (Gravel)Rennen in Sachen Watt konstanter am Gas, daher ist auch die reine Watt-Durchschnittsleistung höher. Bei der UCI-Weltmeisterschaft haben wir viel mehr Zeit im roten Bereich verbracht, durchaus konträr zum Rest des Jahres.

Man muss allerdings auch sagen, dass die Strecke nicht so straßen-lastig war, wie es bei der Übertragung rüberkam. Es gab schon einen hohen Asphaltanteil und sicherlich war die Strecke in Bezug auf den vorgegebenen prozentualen Anteil an Asphalt mit heißer Nadel gestrickt, aber so ist es nun mal. Man muss auch mit den örtlichen Gegebenheiten arbeiten und nicht überall kann man eine schöne und perfekte Gravelstrecke bauen. Wobei „schön“ durchaus im Auge des Betrachters liegt.

An diesem Punkt kommt man unweigerlich zur Frage, was genau Gravel ist und wie man es definiert. Für mich muss eine Strecke bei einem Gravelrennen so gemacht sein, dass die Option ein Gravelrad zu fahren nicht in Frage steht. Die Strecke bei der Weltmeisterschaft konnte man offensichtlich mit einem Straßenrad fahren und gewinnen.

Vielleicht sollte man auch über eine Regel nachdenken, was das Mindestmaß für die Reifenbreite anbetrifft. Im Cross gibt es dies beispielsweise. Für den Gravel-Sport könnte man 38 oder 40mm als Mindestmaß einführen. Doch gerade dieser Sport steht eher nicht für ein ausuferndes Reglement, sondern eher für einen leichten Zugang und eher puristischen Ansatz. Doch vielleicht sind hier gerade deshalb ein paar Überlegungen angebracht. Denn Gravel soll ja zugänglich sein für Jedermann/Frau sein und bleiben. Das ist es sicher nicht, wenn man beispielsweise zur Weltmeisterschaft mit mehreren Rädern anreisen muss, weil man nicht genau weiß, ob ein Straßenrad möglicherweise einen klaren Vorteil bietet.

Man sollte auf jeden Fall im Auge behalten, dass dieser Sport von den Leuten getragen wird, die es nicht als Beruf ausüben. Sie haben ganz sicher nicht immer die Ressourcen, um aus einer Fülle von Material zu wählen. Man kann als Gegenargument anführen, dass es bei einer Elite-WM um Top-Sport geht und dort die Athleten eben auch das beste Material zur Verfügung haben und selbst entscheiden können, was sie nutzen. Genau dort gilt es die Frage zu beantworten, wie nah und vergleichbar man im Gravel-Sport die Elite bei der breiten Masse der Sportler haben will. Auf einer anderen Ebene stelle ich mir zudem die Frage, wie glücklich die Radhersteller sind, wenn man Gravel-Weltmeisterschaften auf Straßenrädern gewinnt. Mit einer anderen Strecke hätte es diese Diskussionen vielleicht nicht gegeben, aber nun sollte sich der Sport und der Verband mit diesen Fragen auseinandersetzen.

Blick zurück – Paul im Verfolgerfeld

Eine tolle WM

Nun aber zu den positiven Dingen! Ich glaube, dass sich auch hier in Europa der Sport entwickeln wird. Auch die WM hat für viel Aufmerksamkeit gesorgt und ich bin mir sicher, dass der Aufwärtstrend anhält. Gut möglich, dass wir viele verschiedene Formen von Gravel sehen werden. Ich gehe dabei davon aus, dass es für alle Geschmäcker und Vorlieben etwas geben wird. Man muss sich dann vielleicht damit abfinden, dass es für einige eben nicht die UCI Gravel Weltmeisterschaft ist, die die Herzen höher schlagen lässt, sondern SportlerInnen eher von Unbound oder Badlands träumen. Aus meiner Sicht muss das für die Entwicklung des Sports im Allgemeinen gar kein Nachteil sein, wenn sich unterschiedliche Strömungen entwickeln. Geht es nach meinen Wünschen, wäre mir wichtig, dass sich der Sport vor allem den oben erwähnten leichten Zugang und den Community-Gedanken bewahrt. Dazu gehört für mich eben auch, dass alle gemeinsam starten, egal welches Leistungsniveau sie haben.

Mein Rennen

Mein sportliches Fazit zur Weltmeisterschaft ist positiv. Ich konnte die Woche vor dem Rennen drei Tage nicht trainieren und lag nur rum, weil ich schon seit Wochen angeschlagen bin – hatte sogar schon mit dem Gedanken gespielt die Weltmeisterschaft abzusagen. Dafür lief es im Rennen sehr gut. Ich war in der Lage die ersten 3-3,5h mit den WorldTour-Jungs mitzuspielen. Konnte Attacken kontern oder auch Fahrern wie Mathieu van der Poel folgen.

Zum Teil waren wir nur noch acht Fahrer, wobei ich der einzige nicht WorldTour-Fahrer war. Das mir nach 4,5h der Akku aus geht, war mir irgendwann klar, weil wir ein intensives Rennen gefahren sind, auf das ich mich wohl gar nicht hätte optimal vorbereiten können, ohne harte Straßenrennen und Rundfahrten. Ich habe solang Vollgas gegeben, wie es ging und habe das Rennen tatsächlich lange genießen können.

In Sachen Taktik muss man sagen, dass eigentlich nur die Italiener zusammengefahren sind. Und ja, die anderen Nationen sind zum Teil gegeneinander gefahren – bei einer Weltmeisterschaft im Nationaltrikot. Durch die taktische Konstellation war irgendwann auch klar, dass die Gruppe mit Gianni Vermeersch und Daniel Oss durchkommen wird, weil die Italiener dahinter alles geschickt blockiert haben.
Auch wenn mein 27. Platz in der Ergebnisliste nicht wirklich mein Rennen widerspiegelt, bin ich damit zufrieden.

Erkenntnis

Meine Erkenntnis aus dem Rennen ist: Wollen wir reinen GravelfahrerInnen bei so einem Rennen vorne mitfahren, müssen wir umdenken. Wir müssen anders trainieren, eine andere Vorbereitung wählen. 90% des Jahres ist die Intensität der Rennen eine andere und auch die Fahrweise. Für die UCI Weltmeisterschaft wird man sich wohl aber sehr wahrscheinlich auch in Zukunft anders aufstellen müssen, wenn man nicht nur „Statist“ sein will. Ich möchte darüber nicht meckern, sehe es für mich eher als Herausforderung. Am Ende sollte immer der/die Beste gewinnen und ob der/die von der Straße, MTB, Gravel oder Cyclocross kommt ist dabei irrelevant. Will man WeltmeisterIn werden, muss man sich mit den Besten messen.

Ich gehe jetzt in meine Offseason und möchte zunächst erstmal wieder 100% gesund werden, denn nach der WM habe ich gemerkt, dass mir nicht nur paar Trainingstage vor der WM gefehlt haben. Wo und wie ich in die Saison 2023 starte, weiß ich jetzt noch nicht, aber ich kann wohl bereits jetzt versichern, dass ich im kommenden Jahr wieder Bock darauf haben werde, an meine Grenzen zu gehen. Eventuell kommt da schon was im Februar auf mich zu, aber dazu in einem anderen Blogbeitrag mehr.

Bis dahin, genießt die Zeit (auch auf dem Rad) und alles Gute!

Paul.