An der Spitze des WorldRankings steht das Team Jumbo-Visma. Absolut verdient. Satte 48 Siege fuhr man ein, kein Team hat mehr. Davon 24 auf WorldTour-Level – das ist Spitze. Doch es ist ein Sieg, der für die Beurteilung der Saison von ganz besonderer Bedeutung ist – der von Jonas Vingegaard bei der Tour de France.
Die niederländische Mannschaft ist seit Jahren eines des besten Teams. Man hat große Siege gefeiert, bei Klassikern und bei Grand Tours – doch nun wurde endlich der Traum vom Toursieg erfüllt. Dazu noch sechs (!) Etappensiege bei der Grande Boucle eingefahren und das Rennen dominiert. Wäre man sonst bei allen Rennen des Jahres hinterher gefahren, allein der Auftritt im Juli hätte dazu gereicht, die Saison 2022 als großen Erfolg zu sehen.
Team, Talent und Wout van Aert
Die Mannschaft hatte sich vor der Saison erneut verstärkt, wollte bei der Tour endlich den Sieg holen. Die Doppelspitze Primoz Roglic und Jonas Vingegaard bekam ein Top-Team für die Tour an die Seite gestellt. Mit Kruijswijk, Kuss und Van Hooydonck etablierte Kräfte, aber mit Benoot und Laporte starke Neuzugänge. Die erfolgreiche Tourmannschaft steht als Beispiel für die gelungene Kaderplanung.
Christophe Laporte wurde im Alter von 29 Jahren geholt, fügte sich perfekt ein. Legendär, der Auftritt beim Paris-Nizza, als man die gesamte Konkurrenz versenkte. Mal der treue Helfer, dann aber auch ein starker Kapitän. Arm in Arm beim E3-Prijs mit Sieger Wout Van Aert über die Linie, Podium bei Gent-Wevelgem, dazu Siege in Dänemark, bei Binche-Chimay-Binche und eben der beeindruckende Etappensieg bei der Tour. Laporte lieferte das, was man sich erhofft hatte.
Ähnlich Tiesj Benoot. Podium beim Amstel, Dwars door Vlaanderen und Calsica San Sebastian – aber eben auch wertvoller Helfer bei den Klassikern und anderen Rennen. Neben Benoot und Laporte zeigten auch die jungen Fahrer, die aus dem Devo-Team nach oben kamen, welch Potenzial sie besitzen. Michel Heßmann, Tim van Dijke und vor allem der bereits im Sommer zuvor in die WorldTour geholte Olav Kooij. Vor wenigen Tagen erst hat der Sprinter seinen 21. Geburtstag gefeiert. Zwölf Saisonsiege holte der junge Niederländer, einen auf WorldTour-Level. Beeindruckend!
Auch andere Fahrer trugen zur super Saisonbilanz bei. Wie beispielsweise Koen Bouwman, der beim Giro zwei Etappen und das Bergtrikot holte. Doch ein Fahrer macht aus dem sehr guten Team Jumbo-Visma ein Superteam – Wout van Aert.
Der Belgier ist aktuell wohl der kompletteste Fahrer der Welt. Extrem tempohart, technisch exzellent, bergauf extrem gut, endschnell, verlässlich, konstant und mit einem „Motor“ ausgestattet, wie ihn wohl kein zweiter Fahrer im gesamten Peloton hat. Van Aert hatte großen Anteil an Vingegaards Toursieg, er holte selbst Etappensiege, gewann dazu souverän das Grüne Trikot bei der Tour. Er stand in Roubaix und Lüttich auf dem Podium, nachdem er Omloop und E3-Prijs gewann und dann die Ronde wegen einer Covid-Infektion auslassen musste. Wout van Aert ist eine Ausnahmeerscheinung und immer mehr das Gesicht seines Teams – mit Vertrag bis 2026.
Goldene Zukunft?
Der Druck auf das Team wird vor allem bei der Tour de France 2023 groß sein. Den Titel zu verteidigen wird nicht einfach, die Konkurrenz ist extrem stark. Doch das Team wird im kommenden Jahr nicht schwächer sein und kann die Abgänge von Tom Dumoulin, Chris Harper, Mike Teunissen, David Dekker und Pascal Eenkhoorn sicher kompensieren. Mit Dylan van Baarle kommt ein exzellenter Klassikerfahrer und tempofester Mann. Mit Wilco Kelderman ein starker Berghelfer. Dazu Klettertalent Attila Valter, Tempomaschine Jan Tratnik und Talent Thomas Gloag.
Exzellent aufgestellt für die Klassiker, dazu ein Top-Team für die Grand Tours. Man darf auch 2023 eine sehr erfolgreiche Saison erwarten. Spannend wird es, zu sehen, welche Rolle Primoz Roglic bekommen wird. Der Giro 2023 hat viele Zeitfahrkilometer, doch das ganz große Karriereziel des Slowenen bleibt sicher die Tour de France. Roglic wird Ende Oktober 33 Jahre alt, drei Jahre läuft noch sein Vertrag. Sollte die Tourstrecke 2023 Vingegaard liegen, wird man wohl vor allem auf den Dänen setzen. Was wird dann aus Roglic? Erst zum Giro, dann Helfer bei der Tour 2023 und 2024 dann noch einmal Tour-Kapitän? Oder wieder eine Doppelspitze für die Tour? Wo werden Tobias Foss und Sepp Kuss in die Leader-Rolle schlüpfen? Diese Fragen muss die Teamleitung beantworten – es gibt ganz sicher unangenehmere Themen, mit denen sich Teamchefs beschäftigen müssen.