Die Saison begann für das Team Ineos mit einem Schock – Top-Star Egan Bernal fuhr im Training mit hohem Tempo auf einen Bus und verletzte sich schwer. Lange Zeit war nicht klar, ob der Kolumbianer überhaupt wieder Rennrad fahren könne. Im August gab er sein Comeback, ein großer Erfolg für ihn! Ob er wieder zu seiner alten Leistungsfähigkeit findet, muss man abwarten.
Den Ausfall eines früheren Giro- und Toursiegers zu kompensieren, ist für kein Team der Welt eine einfache Aufgabe. Doch dem Team Ineos gelang eine sehr gute Saison, mit großen Erfolgen. Dylan van Baarle gewann das Monument Paris-Roubaix, Daniel Felipe Martinez gewann die Baskenland-Rundfahrt, Michal Kwiatkowski das Amstel Gold Race, Geraint Thomas die Tour de Suisse, Ethan Hayter die Polen-Rundfahrt, Tom Pidcock die Touretappe in L’Alpe d’Huez und Richard Carapaz drei Etappen bei der Vuelta. Eine sehr beeindruckende Liste!
Insgesamt 39 Siege feierte man, allein 16 auf WorldTour-Level. Zudem stand man beim Giro d’Italia mit Carapaz (Zweiter) und der Tour de France mit Thomas (Dritter) auf dem Podium. Und auch bei der Vuelta lief es gut, landete der junge Spanier Carlos Rodríguez am Ende trotz Sturzpech auf Rang sieben.
Ziele und Zukunft
Die Bilanz des Teams kann sich sehen lassen! Die allermeisten Teams würden sich solche Erfolge wünschen. Doch Ineos hat als Team die Tour de France einige Male gewonnen, der Anspruch ist nicht nur groß, sondern riesig. Die Tour ist das wichtigste Rennen, dort will man um den Sieg mitfahren, in jedem Jahr. Doch im Kader von Ineos wäre nur ein Egan Bernal in Top-Form in der Lage gewesen, mit Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar mitzuhalten. Wenn überhaupt. Insofern hat man das Beste rausgeholt, was möglich war.
Spannend ist bei der britischen Mannschaft mit dem großen Budget der Blick in die Zukunft. Denn mit Richie Porte, Dylan van Baarle, Adam Yates, Richard Carapaz und auch Andrey Amador verlassen erfahrene Männer das Team, die eine feste Stütze waren und für einige Siege verantwortlich. Auch Eddie Dunbar verlässt das Team nach fast fünf Jahren. Sie machen Platz für die nächste Generation im Team. Pidcock und Martinez haben bereits den Sprung in die Riege der Leistungsträger geschafft, auch Carlos Rodríguez hat gezeigt, dass er trotz seines Alters (21 Jahre) bereit für eine Leaderrolle ist. Magnus Sheffield ist auf einem guten Weg, Kim Heiduk ebenfalls und Ben Tulett sogar schon einen Schritt weiter.
Nun kommen noch Thymen Arensman, Connor Swift und das Super-Talent Leo Hayter ins Team. Dazu die beiden 18-Jährigen Joshua Tarling (Junioren-TT-Weltmeister) und Michael Leonard. Der Kanadier Leonard ist bereits in den Junioren in Europa für das Team Franco Ballerini gefahren und hat eine ganze Reihe von Siegen geholt. Auch er gilt als großes Talent.
Schaut man auf den Ineos-Kader für 2023 wird die Verjüngung der Mannschaft deutlich. Ben Zwift (34), Geraint Thomas (36) und Jonathan Castroviejo (35) bleiben im Kader, dennoch wird man nach aktuellem Stand zu den drei Teams mit dem geringsten Durchschnittsalter in der WorldTour gehören. Mehr als die Hälfte des Kaders ist 25 Jahre alt oder jünger. Allein elf sind maximal 23 Jahre alt!
Doch es ist kein harter Umbruch, der vollzogen wird. Es ist eine schrittweise Anpassung des Kaders, wie sie in den vergangenen Jahren bei Ineos bereits geschehen ist. Mit dem Unterschied, dass sich auch bei Ineos der allgemeine Trend der jungen Talente fortsetzt. Man hat sich nach dem Ende der Sky-Ära um Froome insgesamt breiter aufgestellt, ist auf jedem Terrain stark, weniger konzentriert auf den Toursieg. Das setzte sich auch 2022 fort und wird wohl auch im kommenden Jahr so sein. Zudem scheint es, als habe man den Verlust von Sportdirektor Nicolas Portal, der im Frühjahr 2020 überraschend verstarb, nach und nach kompensieren können.
Durch die Siege bei der Tour de France sind UAE und Jumbo-Visma etwas mehr in den Fokus gerückt, doch das Ineos-Team hat große Erfolge gefeiert und einen exzellenten Kader, auch ohne Carapaz, Porte und Van Baarle. Viele der Talente sind noch lange nicht am Ende ihres Entwicklungsprozesses angekommen. Findet Egan Bernal zurück zu alter Stärke, wäre er ein großer Gewinn für das Team. Doch auch ohne ihn ist man sehr gut aufgestellt.