Remco Evenepoel herzt Teamboss Patrick Lefevere

Es war keine leichte Saison für das belgische Team von Patrick Lefevere. Kapitän Julian Alaphilippe hatte ein schwieriges Jahr, vor allem die Folgen des Sturzes bei Lüttich-Bastogne-Lüttich machten ihm zu schaffen. Dazu waren nahezu alle Klassiker-Kapitäne zu Beginn des Jahres von Erkrankungen ausgebremst und nicht in Top-Verfassung. Das Frühjahr war, gemessen an den Erfolgen der Vergangenheit, lange eine Katastrophe. Umso wichtiger war der Erfolg von Fabio Jakobsen bei Kuurne-Brüssel-Kuurne. Doch davon abgesehen gelang vor allem bei den Pflaster-Rennen wenig – Top10-Platzierungen, mehr nicht. Das Podium von Kasper Asgreen bei der Strade Bianche war da schon eines der Highlights.

Team Remco

Doch die Bilanz des Frühjahrs wurde am letzten Klassiker-Tag auf eindrucksvolle Weise gerettet. Remco Evenepoel holte sich den Sieg bei Lüttich-Bastogne-Lüttich und stieß mit dem Sieg beim belgischen Monument in die Reihe der absoluten Top-Fahrer vor. Wunderkind Remco, der neue Diamant des QuickStep-Teams überdeckte mit dem Sieg das schwache Frühjahr. Ein Sieg, der am Ende dieser Saison noch bedeutungsvoller erscheint, als zum Zeitpunkt des Triumphes. Evenepoel ist die Zukunft des Teams, die von der Klassikerequipe zur GrandTour-Mannschaft wachsen will. Denn spätestens beim Triumph von Evenepoel bei der Vuelta ist klar, wohin die QuickStep-Reisepläne gehen.

Der Druck auf Evenepoel war groß, vor allem nach dem schwierigen Giro 2021, doch das Wunderkind ist erwachsen geworden. Er hat sich durchgekämpft und abgeliefert. Der Weltmeistertitel obendrauf machte dieses Jahr 2022 – mit Monument, GrandTour + WM-Titel – zu einer unfassbar erfolgreichen Saison. Das gibt auch Patrick Lefevere Recht, der Evenepoel den Rücken stärkte, ihn dosiert und gezielt einsetzte, die Erwartungen dämpfte und die Blicke auf sich zog, als es nicht gut lief und sich vor das Team stellte. Die markigen Sprüche und sein teils exzentrisches Auftreten haben Lefevere viele Sympathien gekostet, doch der Erfolg gibt ihm (und seinem Team) in Sachen Teamleitung Recht. Ein ganz großes Ziel dürfte Lefevere noch haben – die Tour de France. Mit Remco hat er die Chance, sich diesen Traum zu erfüllen. Soudal als neuer Partner dürfte das begrüßen. Doch vermutlich wird er sich treu bleiben, das Team für 2024 gezielt für dieses Projekt verstärken und erst dann den großen Angriff wagen. Doch wer weiß schon, was 2023 passiert.

Nicht nur Remco

Remco Evenepoel war 2022 der Star des Teams, doch am Ende der Saison stehen bei der belgischen Equipe satte 47 Siege zu buch. „Nur“ 15 hat Evenepoel beigesteuert! Die Erfolge verteilen sich auf mehr als 10 Fahrer und auch ohne Remco am Start war man sehr erfolgreich. Beispielsweise bei der Tour de France, mit Yves Lampaert und Fabio Jakobsen. Zwei sehr bedeutungsvolle Etappensiege, mit großer Medienwirkung. Lampaert, der Überraschungs-Auftaktsieger, emotional bewegt sagte er im Siegerinterview „Ich bin nur ein Bauernsohn aus Belgien“ und lieferte damit eines der Zitate dieser Tour de France. Jakobsen, der sich nach dem schlimmen Unfall vor zwei Jahren zurückgekämpft hatte und sich dann den Traum vom Tour-Etappensieg erfüllte, lieferte so das perfekte Ende einer außergewöhnlichen Comeback-Story.

Typisch QuickStep

Das Team musste 2022 durch eine schwierige Phase, behielt die Ruhe und steht am Ende des Jahres als eines der erfolgreichsten Team da. Dank Remco, aber nicht nur. Man wird sich in Zukunft etwas verändern müssen, um den Toursieg mit Remco anzupeilen – mehr GC-Team, weniger Klassiker-Equipe. Doch es deutet wenig darauf hin, dass die Mannschaft ihre Identität verändert. Das zeigt sich auch bei den Verpflichtungen. Jan Hirt und Tim Merlier wurden geholt, dazu Casper Pedersen mit Perspektive. Pedersen soll sich zum neuen Top-Anfahrer entwickeln. In der Saison 2023 wird er von Michael Morkov lernen können, danach wird er wohl mehr in dessen Rolle schlüpfen. Auch in der Sportlichen Leitung stehen Veränderungen an – so wird Brian Holm das Team verlassen und „in Rente“ gehen, einen ganz großen Umbruch wird es aber nicht geben.

Man darf gespannt sein, welchen Plan man für Evenepoel ausgibt. Die wenigen Zeitfahrkilometer der Tour machen sie für den Belgier nicht ganz so attraktiv, der Giro liegt als großes GC-Ziel 2023 eher auf der Hand. Viel verändern wird sich beim „Wolfpack“ 2023 sonst nicht. Für die Sprints hat man mit Merlier und Jakobsen zwei starke Fahrer. Bei den Klassikern wird man auf weniger Pech hoffen, dann sind sicher auch 2023 wieder mehr Erfolge drin. Doch der mediale Fokus, vor allem in Belgien, wird auf dem neuen Weltmeister liegen. Mal abwarten, wie gut Evenepoel dies nach der Super-Saison 2022 wegsteckt.


Die Saisonbilanzen der anderen Mannschaften sind hier gesammelt