Tadej Pogacar – in Gelb bei der Tour 2022

Die Mannschaft UAE hat in den vergangenen Jahren eine beeindruckende Entwicklung genommen. Aus den Überresten des Teams Lampre-Medrida geformt, ging es 2017 mit viel Engagement, aber einem mittelprächtigen Kader los. Finanzielle Mittel waren reichlich vorhanden, so gelang es in den ersten Jahren vor allem ältere Stars zu locken. Doch nach und nach verjüngte und verbesserte man das Team. Die Verpflichtung des Wunderknaben Tadej Pogacar half natürlich auch dabei, sich vom kleinen Team mit großer Finanzkraft zu einer Top-Mannschaft zu entwickeln.

Der große Star ist weiterhin Pogacar, doch das Team hat für jedes Terrain Top-Fahrer und gleich mehrere Optionen für Top-GC-Platzierungen bei Grand Tours. Neben Pogacar sind mit Joao Almeida und Adam Yates zwei Fahrer im Team, die mehrfach Grand Tours in den Top5 beendet haben. Dazu das spanische Supertalent Juan Ayuso, der bei seiner Grand-Tour-Premiere direkt aufs Podium der Vuelta fuhr.

Bei Marc Soler, der bereits Gesamtneunter der Vuelta war, wartet man seit Jahren auf den Durchbruch in Sachen Gesamtwertung. Doch der inzwischen 29-Jährige scheint sich mit der Rolle des Edelhelfers abfinden zu müssen. Anders könnte das beim US-Amerikaner Brandon McNulty sein. Erst 24 Jahre alt und inzwischen auf einem Leistungsniveau, dass er durchaus bei einer Grand Tour eine Chancen bekommen könnte. So sind es am Ende mindestens vier Klassementfahrer, die man bei den Grand Tours ins Rennen schicken kann, oder könnte.

Die Tour ist die Tour

Sicher scheint, dass Tadej Pogacar im Jahr 2023 bei der Tour de France angreifen wird, und nach Rang zwei wieder zurück auf die oberste Stufe des Treppchen will und soll. Der Parcours der Tour de France scheint ihm zu liegen. Doch wie soll überhaupt eine Tour aussehen, die dem Alleskönner nicht liegt? Ausreichend Berg-Helfer hat man im Team – Soler, Majka, Formolo, Bennett – dazu die neu verpflichteten Jay Vine und Felix Großschartner. Adam Yates kann sicher eine Grand Tour auf Gesamtwertung fahren, dazu eine weitere als Helfer. Das Tour-Team bei UAE wird sicher mit Perspektive, langfristiger Planung und Höhentrainingslager-Ketten optimal vorbereitet. So dürfte der Kader früh eine klare Struktur haben. Dass für einen Sprinter wie Pascal Ackermann Platz im Team sein wird, ist eher nicht zu erwarten. Einen zweiten Kapitän wird man vermutlich auch nicht mitnehmen – „Alles für Pogi“ dürfte das UAE-Konzept für die Tour sein. Beim Giro sieht das anders aus.

Stellvertretend in Weiß bei der Vuelta – Supertalent Juan Ayuso

Wer wird Giro-Kapitän?

So klar der Leader für die Tour de France zu sein scheint, so knifflig ist die Frage nach dem Giro-Kapitän. Schaut man auf den Parcours des Giro, wäre Joao Almeida sicher ein Kandidat für die Leader-Rolle. Der starke Zeitfahrer hat drei seiner vier Grand Tours beendet – schlechter als Gesamtsechster war er nie. Als er beim Giro 2022 wegen Covid raus musste, lag er auf Rang vier. Doch der Portugiese hat teamintern heftig Konkurrenz bekommen. Der damals 19-jährige Juan Ayuso war bei der Vuelta besser als Almeida – kletterte am Ende aufs Podium in Madrid. Ayuso hat sich die Leaderrolle für eine Grand Tour ganz sicher verdient. Mit einem Vertrag bis 2028 ausgestattet könnte man meinen, er habe reichlich Zeit – doch es würde nicht zum Team UAE passen, würde man Ayuso nicht schnellstmöglich zum Grand-Tour-Champion formen wollen.

Teamintern würde man sich wohl keinen Gefallen tun, Ayuso und Almeida zum Giro zu schicken. Almeida gilt nicht als Typ, der bereitwillig auf seine Leaderansprüche verzichtet. Eher im Gegenteil. So wäre es durchaus eine gute Option, Ayuso im Frühjahr ein schönes Programm zu bieten, ihn dann für die Vuelta als Leader aufzubauen. Geht man von einem typischen Vuelta-Parcours aus, wäre Ayuso bei seiner Heim-Rundfahrt sicher am richtigen Platz. Doch auch im Zeitfahren ist er ähnlich stark wie Almeida.

Würde man Ayuso für die Vuelta planen, könnte man Top-Zeitfahrer Brandon McNulty als Co-Kapitän mit zum Giro nehmen. Der US-Amerikaner ist stabil genug, den Giro als Kapitän zu bestreiten und dann bei der Tour noch als Helfer für Pogacar zu fahren. McNulty scheint bereit, für einen GT-GC-Test. An der Seite von Almeida wäre der Druck sicher eher auf dessen Schultern.

Was offen bleibt, ist die Frage nach der Rolle von Neuzugang Adam Yates. Will man als Team bei der Tour gegen die extrem starke Jumbo-Visma-Mannschaft bestehen, kann Pogacar einen bärenstarken Edelhelfer sicher gut gebrauchen. In Top-Form kann Yates auch die Rolle des Co-Kapitäns einnehmen und dem Team taktisch eine Option bieten. Yates findet im Frühjahr sicher einige Rennen, bei denen er gern auf eigene Rechnung fahren möchte. Danach kann sich dann für das Team-Highlight im Juli vorbereiten. Ob er nach der Tour vielleicht noch die Vuelta fahren möchte, oder lieber ein Programm mit vielen Eintagesrennen, könnte man abwarten. In der Vergangenheit war er sowohl bei der Spanien-Rundfahrt, als auch bei den italienischen Herbstklassikern sehr erfolgreich. Dazu gewann er 2022 im August die Deutschland Tour. Dass er 2023 dann auf eine echte Kapitänsrolle bei einer Grand Tour verzichten muss, dürfte für ihn wohl verkraftbar sein. Gewinnt Pogacar unter Mithilfe von Yates die Tour, wird sich das für ihn sicher auch auszahlen.