Darüber zu spekulieren, wer den Giro d’Italia als Kapitän für Soudal-Quick Step, fährt, braucht man nicht mehr. Remco Evenepoel wird die unumstrittene Nummer eins des belgischen Rennstalls sein. Und das ist auch gut so. Nicht, dass der junge Belgier mangelnde Leistungsfähigkeit besäße, um bei der Tour de France vorne mitzufahren. Aber der Erwartungsdruck durch Fans und Medien gepaart mit der Hektik des Grand Bouclé ist doch schon etwas sehr Spezielles. Schon jetzt wird Evenepoel mit den ganz Großen der Zunft aus fast vergessenen Zeiten verglichen.
Deshalb erscheint ein behutsamer Aufbau der richtige Weg zu sein. Nicht nur für ihn ist vieles neu, auch für das Team, das ja in den vergangenen Jahren nicht bewusst und bedingungslos bei großen Landesrundfahrten um die Gesamtwertung kämpfte. Erst mit der Entwicklung von Evenepoel und letztendlich seinem Auftritt bei der Spanien-Rundfahrt im Herbst 2022 scheint die Entscheidung endgültig gefallen zu sein, nicht nur Eintages-Rennen sowie Etappen bei Rundfahrten im Blick zu haben.
Doch zurück zum Corsa Rosa. Hier wäre es sinnvoll, wenn Evenepoel die volle Unterstützung erhalten würde und sich alle auf das Ziel Gesamtwertung einschwören würden. Gestandene Profis wie der Italiener Fausto Masnada oder Neuzugang Jan Hirt könnten ihm zur Seite stehen. Sie sind in der Lage nicht nur am Berg lange an seiner Seite zu bleiben, sondern im Fall der Fälle – bei einem Ausstieg oder Rückschlag von Evenepoel – auch selbst für eine gute Platzierung im Gesamtklassement sowie Etappensiege sorgen.
Masnada fuhr schon 2021 beim Giro an der Seite des Belgiers, gewann 2019 eine Etappe und wurde 2020 Gesamt-Neunter. Jan Hirt siegte im Trikot von Intermarché-Wanty-Gobert 2022 am Ende der schwere Bergetappe nach Aprica und belegte in der Endabrechnung der Italien-Rundfahrt Rang sechs. Erstmals an der Seite von Evenepoel wird der Tscheche aller Voraussicht bei der Vuelta a San Juan in Argentinien Ende Januar 2023 starten. Bessere und stärkere Flügelmänner kann sich der Belgier für solch ein Vorhaben kaum wünschen. Ein weiterer Kletterer im Team besitzt ebenfalls den unbedingten Willen Evenepoel zu unterstützen – der Brite James Knox. Nach einer Saison, die nicht ganz nach seinem Geschmack verlief, ist der Brite heiß darauf, zu einer erfolgreichen GrandTour-Squad zu zählen und sich dafür aufzuopfern.
Die Bergfraktion komplettieren, könnten die drei Profis, die auch schon beim Vuelta-Sieg an der Seite von Evenepoel fuhren: Louis Vervaeke, Dries Devenyns und Peter Serry. Als Workhorse für die Ebene könnte Remi Cavagna in Frage kommen. Ebenfalls in Spanien mit dabei war der junge Belgier Ilan van Wilder. Er könnte sozusagen im Schatten des gleichaltrigen Evenepoel weiter Erfahrungen sammeln – ohne dass gleich alle Welt auf ihn schaut – dafür müsste aber dann einer der drei zuvor genannten Bergfahrer zuhause bleiben. Für Sprinter oder Puncheure bleibt in dieser Formation keinerlei Platz, will man Remco die bestmögliche Unterstützung zukommen lassen.
Tour-Plan
Diese Fahrer haben dafür dann ihren großen Auftritt bei der Tour de France im Juli. Julian Alaphilippe hat schon erklärt, dass er die Frankreich-Rundfahrt fahren will und gerade die ersten Etappen im Baskenland sowie die moderaten Bergetappen in den Pyrenäen liegen dem zweimaligen Weltmeister. Er könnte nicht nur seinen siebten Tour-Etappensieg feiern, sondern in der ersten Woche auch das Gelbe Trikot anvisieren. Und wer weiß, wie diese im Vergleich zu Giro unkonventionell orchestrierte Tour verläuft – man denke nur an die kurze schnelle Bergetappe zum Abschluss in den Vogesen.
An der Seite Alaphilippes in den Bergen sind die Kletterer Mattia Cattaneo und Andrea Bagioli gut vorstellbar. Sie könnten auch im weiteren Verlauf aus einer Ausreißergruppe heraus im alpinen Gelände für Erfolge sorgen
Für die bis zu acht möglichen Massensprints wird Teammanager Patrick Lefevere aller Voraussicht nicht am erfolgreichsten Fahrer dieses Genre der Saison 2022 vorbeikommen: Fabio Jakobsen. Der Niederländer überquerte in der abgelaufenen Saison die Ziellinie insgesamt 13-mal als Erster und rechtfertigte seine Tour-Nominierung gleich mit einem Sieg auf der zweiten Etappe.
Um ihn zu unterstützen ist Michael Morkov gesetzt und auch Florian Senechal eine wichtige Stütze im Sprintzug. Vielleicht könnte sogar Neuzugang Casper Pedersen die Formation ergänzen. Der von DSM zu Soudal-Quick Step gewechselte Sprinter kann sich in der hektischen Schlussphase eines Rennens behaupten.
Komplettiert werden könnte das Oktett mit sogenanntem Tretviechern wie Kasper Asgreen und Yves Lampaert, die auch auf mittelschweren Etappen mit Klassikerprofil ihren Erfolg in der Flucht suchen können. Genauso wie auch der antrittsstarke Davide Ballerini.
So wird die Devise für den Giro heißen „alles für die Gesamtwertung“ und bei der Tour „was zählt sind Etappensiege“. Aber das eine muss das andere ja nicht zwingend ausschließen.
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