Home Analyse 7 Erkenntnisse nach der Flandern-Rundfahrt 2023

7 Erkenntnisse nach der Flandern-Rundfahrt 2023

1 Tadej Pogacar – Haken an die Ronde

Tadej Pogacar wollte diesen Sieg unbedingt, er hat ihn voll verdient eingefahren. Schon 2022 war er der stärkste Fahrer im Rennen, stand sich dann im Finale selbst im Weg, als er sich am Ende einbauen ließ und das Podium verpasste. In diesem Jahr war Pogacar erneut der Stärkste, vielleicht noch etwas stärker als vor 12 Monaten. Er hängte die besten der Welt ab, auf deren Lieblingsterrain.

Tadej Pogacar ist eine Ausnahmeerscheinung, das unterstreicht er mit diesem Sieg noch einmal fett. Zuvor gab es in der Geschichte des Radsports nur zwei Männer, die in der Liste ihrer Erfolge sowohl die Tour de France, als auch die Flandern-Rundfahrt haben. Pogacar kann einfach alles, bringt eine Mischung aus Fähigkeiten mit, die außergewöhnlich ist. Ausdauer, Spritzigkeit, Biss und auch exzellentes Bikehandling.

Was ihm selbst dieser Erfolg bedeutet, war im Ziel an seiner Freude abzulesen. Wie er diesen eingefahren hat, war beeindruckend. Er griff dort an, wo es alle erwartet hatten. Doch selbst Mathieu van der Poel und Wout van Aert hatten keine Chance, sein Hinterrad zu halten. Dabei fuhr Pogacar nicht nur stark, sondern auch taktisch ein exzellentes Rennen. Er stets aufmerksam, an den Schlüsselstellen immer in guter Position und nutzt seine Chancen – voll fokussiert lieferte er eine nahezu perfekte Ronde!

Die Tour de France hat Tadej Pogacar zwei Mal gewonnen, die Monumente Lütich-Bastogne-Lüttich und Il Lombardia hat er ebenfalls in der Tasche. Nun machte er einen Haken an die Flandern-Rundfahrt. Es scheint wenige Rennen zu geben, die dieser Mann nicht gewinnen kann. Pogacar will jedes Rennen gewinnen, egal ob kleines Rennen oder Monument. Wenn er diese Gier behält, sich dabei seine Leichtigkeit bewahrt, scheint es kaum Grenzen zu geben. Selbst Paris-Roubaix scheint nicht unmöglich.

2 Die Fehler des Mathieu van der Poel

Bei der Ronde gilt: Stets Obacht!

Mit Tadej Pogacar hat der stärkste Fahrer die Ronde gewonnen. Doch so war es auch im vergangenen Jahr, doch da triumphierte Mathieu van der Poel. Das wäre auch in diesem Jahr möglich gewesen, denn viel fehlte dem Niederländer nicht, um das Hinterrad zu halten und so die Chance auf einen erneuten Sprint gegen Pogacar zu haben.

Hätte, wäre, wenn … dies ist schwierig, aber diese Art von Texten ist auch genau dafür da. Das Rennen des Mathieu van der Poel lief bei weitem nicht perfekt. Zunächst fuhr er zu weit hinten, war dann in einer abgehängte Gruppe und musste rund 200 Kilometer vor dem Ziel schon Helfer opfern, um überhaupt wieder ins Feld zu kommen. Vielleicht musste er selbst nicht exorbitant Kräfte investieren, hatte aber ganz sicher einen Stress-Moment. Stress ist etwas, was man bei einem 273 Kilometer langen Rennen vor allem zu Beginn möglichst vermeiden will.

Später legte Van der Poel in der Anfahrt zum Kortekeer einen Toilettenstopp ein – kein günstiger Moment. Denn so war er ganz am Ende des Feldes, auf der schmalen Straße. Ineos Greandiers und DSM verlangsamten das Tempo, dann beschleunigten sie – Van der Poel war abgehängt, verschliss die nächsten Helfer beim Kampf zurück an die Spitze. Kein Wunder, dass sich Van der Poel nach dem Rennen sarkastisch via Social Media in Richtung DSM äußerte – für ihn war dies ein schwieriger Moment. Für seine Helfer noch mehr, sie mussten ihren Leader, der zuvor herausragend positioniert war, wieder ranbringen.

Als es dann in den Kwaremont ging, musste sich Mathieu van der Poel selbst positionieren. Hier mal ein wenig im Wind, dort ein paar Tritte mehr – das sind die Folgen. Hätte er mit mehr Helfern und ohne diese Fehler vielleicht am Rad von Pogacar bleiben können? Vielleicht, vielleicht nicht. Sicher ist nur, dass er es so nicht konnte.

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3 Mads Pedersen – beeindruckend stark und clever

Mads Pedersen – verdient auf dem Poidum (rechts)

Wenn die ganz großen Rennen anstehen, scheint Mads Pedersen immer noch eine Schippe drauflegen zu können. Er hat bei der Ronde van Vlaanderen ein exzellentes Rennen abgeliefert und sich verdient den Platz auf dem Treppchen gesichert. Für ihn galt, wie für viele andere im Feld auch – warten bis die großen Drei losfahren, ist keine Option. So ging er früh in die Offensive, gemeinsam mit Kasper Asgreen und weiteren starken Fahrern. Er behauptete sich lange an der Spitze, musste dann nur Pogacar und Van der Poel passieren lassen. Im Sprint setzte er sich gegen Wout van Aert durch – keine Selbstverständlichkeit.

Zum zweiten Mal steht Pedersen bei der Ronde auf dem Podium. Auf die Frage, ob ihm der Tag denn Zuversicht gäbe, dieses Rennen irgendwann gewinnen zu können, antwortete er etwas ausweichend. Verständlich. Er hat erneut seine Karten perfekt ausgespielt, musste sich am Ende aber einem stärkeren Fahrer geschlagen geben. Doch das muss in Zukunft nicht immer so sein. Gut möglich, dass Pedersen die Ronde noch einige Male auf dem Podium beendet, aber nie gewinnt. Kann aber auch sein, dass es diesen einen Tag gibt, wo andere ihre Karten nicht perfekt spielen, dann wird Pedersen bereit stehen.

4 Der Plan der anderen

Mads Pedersen – der Stärkste abseits der Großen Drei

Es wurde vor der Ronde viel über Taktiken gesprochen und geschrieben – so auch beim CyclingMagazine. Es war offensichtlich, dass der Rest des Feldes gegen Tadej Pogacar, Wout van Aert und Mathieu Van der Poel nur eine Chance hat, wenn sie früh offensiv agieren. Genau das passiert, mit der Konterattacke am Molenberg.

Kasper Asgreen, Mads Pedersen, Stefan Küng, Neilson Powless – die Leader ihrer Teams setzten sich ab und suchten ihre Chance. Es reichte am Ende nicht, aber es sah zwischenzeitlich sehr positiv aus. Fast drei Minuten wurde ihr Vorsprung in einem Moment angegeben. Ein Defekt bei Pogacar, ein weiterer Sturz im Feld …. es hätte nicht viel gebraucht, dann hätte diese Gruppe eine Chance bekommen, um den Sieg zu fahren.

Diese „Taktik der anderen“ hat gezeigt, wie wichtig dieses Rennen ist. Die Teams wollen nicht „hoffen“ und warten, sie entwerfen ihren eigenen Plan, suchen ihre Chance, wollen mit allen Mitteln das Maximum rausholen. Das gilt für Trek-Segafredo ebenso, wie für DSM & Bora-hansgrohe, die bei der Asgreen-Attacke knapp nicht dabei waren.

Bei der Ronde werden keine Geschenke gemacht, wird mit Haken und Ösen gekämpft, egal wie stark die Konkurrenz ist. Der Druck ist enorm, die Stimmung gigantisch, der Fight im Peloton brutal – genau das macht dieses Rennen auch aus, und zu einem der härtesten des ganzen Jahres.

5 Zwei starke Debütanten

Powless (rechts) vor Asgreen & Van Aert

In der kleinen Gruppe, die am Ende ums Podium sprintete, steckten zwei Ronde-Neulinge. Die beiden US-Amerikaner Matteo Jorgenson und Neilson Powless. Beide gingen top motiviert und in super Form an den Ronde-Start. Sie lieferten ein super Rennen ab und übertrafen die Erwartungen.

„Fahr ohne Emotionen“, gab Andreas Klier (Sportlicher Leiter EF Education EasyPost) Neilson Powless mit auf den Weg. Ruhig und kalkulierend bleiben, sich nicht mitreißen lassen oder überschwänglich Energier verschwenden. Powless fuhr ein starkes Rennen, war bei der Konter-Attacke dabei und lieferte ab. Am Ende darf er mit Rang fünf mehr als zufrieden sein. Eigentlich ist der US-Amerikaner eher ein Mann für Ardennen-Klassiker, oder die längeren Berge – doch sein Debüt bei der Ronde war sehr beeindruckend. Mit etwas mehr Erfahrung ist er im kommenden Jahr vielleicht sogar zu noch mehr im Stande.

Matteo Jorgenson war auch in der Verfolgergruppe, wurde am Ende Neunter. Er war völlig platt und nicht mehr im Stande, im Sprint mehr rauszuholen. Er hatte die Konter-Attacke am Molenberg zunächst verpasst, wollte aber unbedingt dort dabei sein. Er ballerte anschließend den Berendries All Out hinauf und schaffte gemeinsam mit Benoît Cosnefroy tatsächlich noch den Anschluss. Dabei verballerte er aber so viel Energie, dass ihm am Ende der Saft ausging. Doch ganz sicher zieht auch er eine Menge Motivation aus diesem Auftritt. Erst 23 Jahre ist Jorgenson alt, hat noch einige Rennen in Flandern vor sich. Gut möglich, dass er irgendwann selbst ums Podium fährt. Viel scheint dafür schon jetzt nicht mehr zu fehlen.

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6 Jumbo-Visma – Alles für Wout geht nicht auf

Mathieu van der Poel drückt drauf, Van Aert ist abgehängt

Am Kruisberg konnte Wout van Aert die Attacke von Mathieu van der Poel nicht parieren. Er fiel zurück und war so aus dem Rennen um den Sieg. Zuvor war er im Rennen gestürzt, wenn auch nicht sehr schwer. Dort fehlte ihm die Kraft, Van der Poel und Pogacar zu folgen. Dass er im Sprint um Platz drei noch das Podium verpasste, wird ihn schmerzen.

Das Team Jumbo-Visma hatte die Pflasterrennen bislang dominiert. Die holten einen Sieg nach dem anderen und so waren sie die ganz großen Favoriten für die Ronde. Doch dort agierte man nun anders, als in den Rennen zuvor. Stets bestimmte das Team die Rennen. Sie gingen mit mehreren Fahrern in die Offensive, setzten die Konkurrenz unter Druck. Bei der Ronde agierten sie so, als gäbe es nur einen Plan: Alles für Wout van Aert.

Ein kluger Move war der Sprung von Laporte zu Pogacar, nach der zweiten Kwaremont-Passage. Das setzte Van der Poel unter Druck. Auch hatte Jumbo-Visma mit Nathan Van Hooydonck einen Mann in der Konter-Attacke um Pedersen, Küng und Powless. Doch dieser agierte eher als Absicherung. Es gelang ihnen nicht, wie bei den vielen Siegen zuvor, offensiv und aggressiv der Konkurrenz ihr Rennen aufzudrängen.

So gab es für Jumbo-Visma und einen möglichen Ronde-Erfolg nur eine Frage: Ist Wout stark genug, im direkten Kampf gegen Van der Poel und Pogacar zu bestehen? Die Antwort ist nein. Er war es nicht und so verpasste Jumbo-Visma beim größten flämischen Klassiker den Sieg, nachdem man bislang alle Pflasterrennen dominiert hatte. Bitter, vor allem für Wout van Aert, dessen Sieg gefühlt halb Flandern schon fest eingeplant hatte.

7 Brügge und die Ronde – eine echte Liebesbeziehung

Tolle Kulisse in Brügge

Viele Jahre war der Start der Ronde in Brügge, dann wechselte man nach Antwerpen. Auch dort gab man sich große Mühe, eine tolle Präsentation zu inszenieren, den Fans eine Show zu bieten. Es war auch dort eine schöne Stimmung, doch in Brügge hat man wieder gemerkt, was Antwerpen nicht bieten konnte.

Klar, die Kulisse in der historischen Innenstadt ist etwas ganz besonderes, der Marktplatz in Brügge scheint perfekt für die Präsentation der Ronde-Starter. Man hat die Auffahrt zur Bühne schon vor Jahren erhöht, man sieht die Fahrer also nicht nur beim Stopp auf der Bühne. Doch das ganz besondere in Brügge ist der einige hundert Meter lange Weg vom Teamparkplatz zum Markt. Eine schmale Gasse mit Kopfsteinplaster, gesäumt von Menschen. Die Fahrer werden von Applaus, Namensrufen und Gejohle begleitet. So zieht sich ein Sound durch durch die Gasse, der beeindruckt. Für die Fahrer ist es ein Spalier zur großen Bühne. Die Fans am Gitter hören bei einem nahenden Fahrer den Sound der anderen Fans immer näher kommen, ehe sie ihren Helden direkt vor sich sehen.

Die Flamen sind radsportverrückt, nirgendwo auf der Welt wird der Radsport so zelebriert, geliebt und ausgelebt, wie in Belgien. Die Ronde ist ingesamt ein großes Erlebnis und eine Reise Wert, der Start in Brügge ganz bestimmt auch.

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