Home Analyse 5 Erkenntnisse nach Lüttich-Bastogne-Lüttich 2023

5 Erkenntnisse nach Lüttich-Bastogne-Lüttich 2023

Remco Evenepoel

1 Remco der Retter



Die Klassiker-Saison 2023 war für das belgische Team Soudal-QuickStep eine Katastrophe. Doch mit dem Sieg beim letzten Klassiker, dem großen Ardennen-Monument, rettete Remco Evenepoel seinem Team das Frühjahr – wie bereits im vergangenen Jahr.

Was der Pflaster-Fraktion des Teams nicht gelang, lieferte die Ardennen-Truppe der belgischen Mannschaft am Sonntag – sie kontrollierte das Rennen von Beginn an, trat dominant auf. Die Helfer opferten sich auf, sorgten dafür, dass Evenepoel an der Redoute seine Attacke setzen konnte und damit das Rennen entschied.

Im Weltmeistertrikot beim heimischen Ardennen-Monument nach einem beeindruckenden und souveränen Solo solch einen Sieg einzufahren – Evenepoel hat endgültig die alleinige Kapitänsrolle in seiner Mannschaft übernommen. Er ist der große Star, die Identifikationsfigur und das Aushängeschild seines Teams – vermutlich für einige Jahre. Nach Bettini & Co, der großen Zeit mit Tom Boonen folgt nun die Evenepoel-Epoche. Vielleicht wird dies sogar die erfolgreichste Zeit des Teams.

Bereits in zwei Wochen startet der Giro d’Italia, wo man den nächsten großen Triumph einfahren will. Mit dem überragenden Sieg in Lüttich, der starken Teamleistung, hat man extrem Selbstbewusstsein getankt. Remco Evenepoel ist nun der Top-Favorit auf den Girosieg. Es macht nicht den Eindruck, als würde ihn das nervös machen.

2 Pogacar – Rückschlag mit Folgen?

Tadej Pogacar

Die Karriere von Tadej Pogacar verlief bislang nahezu perfekt. Zwei Toursiege, drei der fünf Monumente gewonnen, Amstel Gold Race, Fleche Wallonne, Paris-Nizza, Tirreno-Adriatico, Strade Bianche …. die Palmares des 24-Jährigen haben kaum Lücken. Er eilte von Sieg zu Sieg, ohne große Rückschläge. Auch durch die Pandemie ist er gut gekommen. Doch nun erwischte es ihn – Handgelenkbruch nach einem unglücklichen Sturz bei Lüttich-Bastogne-Lüttich. Die OP scheint geglückt, verläuft die anschließende Reha ebenso perfekt, wird der Sturz den Slowenen vermutlich nicht lange am Training hindern. Dennoch, fünf bis sechs Wochen wird er wohl kein Rennen bestreiten können.

Solche Rückschläge gehören zum Leben eines Radprofis dazu, dennoch muss man sie überwinden. Früher oder später trifft es eigentlich jeden Profi mal – selbst Pogacar. Durch den Sturz verpasste er die große Chance, Geschichte zu schreiben – der dritte Fahrer überhaupt zu sein, dem das Ardennen-Triple gelingt. Statt als König der Ardennen in die Pause zu gehen, muss er nun mit operierter Hand in die Reha.

Es mag schlimmere Stürze und Verletzungen geben, wie beispielsweise die von Remco Evenepoel nach seinem Horror-Crash bei der Lombardei-Rundfahrt, doch nicht grundlos schob Evenepoel im Ziel in Lüttich nach Genesungswünschen an Pogacar nach, dass er wisse, was Rückschläge bedeuten.

Bei einigen Fahrern, die lange mit Selbstverständlichkeit siegten und dann einen Rückschlag erlitten, wirken diese nach. Einige kehren mit noch mehr Bewusstsein für Erfolge zurück – haben vielleicht etwas an Leichtigkeit verloren, aber an Ehrgeiz und Durchsetzungswillen gewonnen. Bei Tadej Pogacar gab es bislang kaum Rückschläge, so muss man abwarten, wie er dies verarbeitet. Es ist ihm aber zuzutrauen, dass er mindestens genauso stark zurück kommt, vielleicht sogar noch ein bisschen stärker. Und hungriger.

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3 Die Ardennen-Entdeckung

Ben Healy

Ben Healy ist die Entdeckung des Frühjahrs. Der Ire verpasste in Lüttich knapp das Podium, war aber völlig zurecht stolz auf seine Leistung. Zweiter beim Pfeil von Brabant, Zweiter beim Amstel Gold Race und nun Rang vier in Lüttich. Seinen Sprint hat er am Ende etwas früh angezogen, vielleicht wäre sogar das Podium drin gewesen. Doch nach der Leistung der vergangenen zwei Wochen kann man festhalten, dass er zu diesen Rennen als Favorit zurückkehren wird, wenn er mit mehr Erfahrung am Start steht. Denn wie bereits nach dem Amstel Gold Race geschrieben, mit einer Grand Tour in den Beinen und einem kleinen Entwicklungsschritt, kann er zu den allerbesten Fahrern für diese hügeligen Rennen zählen. Seinen Marktwert hat er in jedem Fall extrem gesteigert und ganz sicher gibt es einige Teams, die den 22-Jährigen gern in ihren Reihen sehen würden. Ineos Grenadiers hatte sein Potenzial wohl unterschätzt, vielleicht ist auch bei ihnen das Interesse am Iren nun gewaltig gestiegen.

4 Tom Pidcock – kluge Entscheidung & Blick in die Zukunft

Tom Pidcock direkt neben Remco Evenepoel

An der Redoute war er nur wenige Meter hinter Evenepoel. Dann konnte er in der Abfahrt die Lücke schließen. Evenepoel schaute sich um, bat Pidcock zur Führungsarbeit – dieser schüttelte den Kopf. Wenig später nahm Pidcock raus und ließ Evenepoel ziehen. Eine kluge Entscheidung, denn es gab nur zwei Optionen. Vollgas auf Biegen und Brechen an Evenepoels Rad zu bleiben und dabei Gefahr zu laufen, komplett zu explodieren – oder rausnehmen, erholen und um Rang zwei fahren. „Ich bin zweiter geworden, denke es war eine gute Entscheidung“, sagte Pidcock im Ziel.

Bei den ganz langen, extrem schweren Rennen scheint es Pidcock noch ein wenig zu fehlen. Evenepoel war deutlich stärker, das war auch Pidcock klar. Und wenige Kilometer später stand noch ein Anstieg an, an dem er vermutlich ohnehin abgehängt worden wäre. Wie auch immer – Rang zwei war für Pidcock die maximale Ausbeute und ganz sicher ein Erfolg. Er hat das erste Podium bei einem Monument in seiner noch jungen Straßen-Karriere eingefahren und zudem gesehen, dass ihm auch dieses Rennen liegt, er nicht viel schwächer ist, als der Überflieger im Regenbogentrikot.

Tom Pidcock ist 23 Jahre alt, hat bei Ineos Grenadiers Vertrag bis 2027 – das war das erste, aber mit sehr, sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht das letzte Mal, dass er bei einem Monument auf dem Podium steht. Und irgendwann vermutlich sogar noch eine Stufe weiter oben.

5 Bora-hansgrohe – Klassiker abhaken

Jai Hindley, Aleks Vlasov, Sergio Higuita (v.r.n.l.)

Bei den Pflaster-Klassikern lief es für das deutsche Team gar nicht gut. Für die Ardennen war man personell deutlich besser aufgestellt – die Ergebnisse waren dennoch nicht zufriedenstellend. Immerhin Rang 12 beim Amstel Gold Race mit Jai Hindley. Beim Felche Wallonne war man weit weg von den Top10 – Helfer Nico Denz der beste Bora-Fahrer. So ist Rang acht bei Lüttich-Bastogne-Lüttich durch Patrick Konrad das beste Ardennen-Ergebnis. Klassiker schnell abhaken, nach vorn blicken – so wohl die Devise bei Bora-hansgrohe.

Die Ergebnisse in den Ardennen spiegeln nicht unbedingt die Qualität des Teams wieder, machen im Detail vielleicht sogar Hoffnung für die anstehenden Rennen. Denn mit Max Schachmann fiel erneut krankheitsbedingt der beste Ardennen-Fahrer aus. Schachmann kommt nach unzähligen gesundheitlichen Rückschlägen einfach nicht wieder in die Position, seine Qualitäten auszuspielen. Zudem stürzte Aleksandr Vlasov im Finale von Lüttich-Bastogne-Lüttich und verpasste eine Chance auf ein Top10-Ergebnis.

Patrick Konrad, der zuvor bereits viel gearbeitet hatte, rückte nach Vlasovs Sturz in die Leaderrolle und holte Rang acht – durchaus achtbar. Der Österreicher wird in rund eineinhalb Wochen beim Giro d’Italia starten und dort eine wichtige Helferrolle bekommen. Sein Auftritt bei der Tour of the Alps und nun auch in Lüttich gibt Hoffnung, dass er diese Rolle gut erfüllen kann.

Auch Giovanni Aleotti wirkte beim Ardennen-Monument am Sonntag deutlich stärker, als in den Rennen zuvor. Auch er wird einer der wichtigen Helfer von Vlasov und Lennard Kämna beim Giro sein. Gleiches gilt für Matteo Fabbro, der zwar nicht in den Ardennen startete, aber bei der Tour of the Alps so stark wie lange nicht mehr auftrat.

Es gibt also durchaus positive Vorzeichen für den Giro, doch mit dem klaren Fokus auf die Gesamtwertung hängt es an den Kapitänen, ob man dort erfolgreich ist. Gegen Evenepoel und Roglic scheint die „Mission Titelverteidigung“ eine zu schwere Aufgabe, doch das Podium wäre ein großer Erfolg.

Das Klassiker-Fazit im Team wird wenig positiv ausfallen und man wird die Probleme deutlich ansprechen und versuchen, die Lehren daraus zu ziehen. Allerdings bekommt man bereits am kommenden Montag in Frankfurt und dann in Italien wieder Gelegenheit, sich zu zeigen. Der Druck ist nicht geringer geworden, doch auch das ist für Bora-hansgrohe nicht neu. Abhaken, Vollgas zum Giro – doch spätestens im Winter wird das Thema Frühjahrsklassiker wohl wieder auf den Tisch kommen, denn mit der Klassiker-Kampagne 2023 wird man sicher nicht zufrieden sein.

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