Eigentlich beginnt die Transferzeit erst am 1. August. Offiziell, denn dies wurde vom Weltradsportverband so vorgeschrieben. Warum es diesen Stichtag gibt, hatten wir schon vor einiger Zeit an anderer Stelle beleuchtet. Doch auch wenn vor August offiziell keine neuen Verträge bei anderen Teams unterschrieben werden dürfen – beim aktuellen Team darf hingegen jederzeit verlängert werden – arbeiten die Mannschaften natürlich bereits ab dem Frühjahr am Kader für die neue Saison. Manchmal werden sogar Neuverpflichtungen schon weit vor dem Wechsel angebahnt. So gilt die Verpflichtung des prominenten Bergfahrers bei Bora-hansgrohe zur Saison 2024 bereits seit Monaten als fix. Selbst wenn keine Verträge unterschrieben werden, mit Absichtserklärungen oder eben auch per Handschlag werden die Wechsel fixiert.
Doch während bei vielen Klassementfahrern oder Kletterern die Zukunft bereits geregelt ist – viele der Leader ohnehin sehr langfristige Verträge haben – sind viele Sprinter auf dem Markt verfügbar. Doch das Sprinter-Transferkarussell ist ins Stocken geraten. Olav Kooij, Fabio Jakobsen, Arnaud Demare, Pascal Ackermann, Nacer Bouhanni, Sam Bennett, Fernando Gaviria, Jonathan Milan, Sam Welsford, aber auch Hugo Hofstetter, Cees Bol und Alberto Dainese haben auslaufende Verträge – glaubt man den einschlägigen Statistik-Websites. Mag man Fahrer wie Clément Venturini, Niccolò Bonifazio, Jakub Mareczko, Max Walscheid oder Simone Consonni mit aufführen, wird die Liste noch länger. Nun, nicht bei allen ist die Zukunft ungewiss, so machte die Verbindung von Jonathan Milan und Trek-Segafredo bereits während des Giro die Runde. Doch bei vielen Fahrern ist die Zukunft tatsächlich noch unklar.
Dass Mitte Juni das Transferkarussell immer noch sehr langsam dreht, liegt auch an Fabio Jakobsen und Olav Kooij. Beide zögerten lange, welchen Zukunftsweg sie einschlagen wollen. Wobei das natürlich nicht nur an den Sportlern, sondern auch an den Agenten liegt. Öffentlich äußern wollen sich nur wenige Agenten, doch die Theorie von der „Sprinter-Transfer-Blockade“ durch die unklare Zukunft des Top-Duos bestätigten mehrere Agenten gegenüber CyclingMagazine. Erst wenn die Top-Fahrer sich mit einem Team für die Zukunft geeinigt haben, wird sich auch „der Rest“ zusammenfinden.
Optionen und Wünsche
Interessenten für Jakobsen und vor allem Kooij gibt es einige! Bora-hansgrohe hatte sich die Rückkehr von Sam Bennett sicher anders vorgestellt – da wäre man wohl offen für einen neuen endschnellen Mann. Wenn dieser dann auch noch auf Klassiker-Terrain erfolgreich sein könnte, wäre man wohl noch mehr interessiert. Bei DSM scheint man auch nach einem Sprinter zu suchen – vor allem dann, wenn Sam Welsford geht. Soudal-QuickStep würde einen Ersatz für Jakobsen brauchen, will dieser tatsächlich die Mannschaft wechseln, oder man sich finanziell nicht einigen kann.
Warum bleiben die Sprinter nicht einfach bei ihren Teams, könnte man fragen. Angebot und Nachfrage regeln den Preis – Erfolgsgaranten verdienen üppig. Zudem sind bei einigen Teams Sprinter besonders gewünscht, bei anderen weniger – daran orientiert sich dann meist auch die Bereitschaft ein horrendes Gehalt zu zahlen. Mannschaften, die in der Dreijahreswertung der UCI weit unten stehen und einen Abstieg fürchten, können mit einem Top-Sprinter bei kleineren Rennen wertvolle Punkte holen.
Doch auch das Interesse der Sponsoren muss berücksichtigt werden. So ist bei der neuen Ausrichtung von Bora-hansgrohe wohl im Budget eher für Berg-Helfer ein größerer Posten reserviert. All diese Dinge beeinflussen, neben den sportlichen Überlegungen, die Geschehnisse auf dem Markt. Bora-hansgrohe hat den Vertrag mit Danny van Poppel offenbar bereits verlängert. Einen solchen Top-Leadout-Mann vorweisen zu können, erhöht in Gesprächen mit Top-Sprintern natürlich die Chancen auf eine Einigung. Doch wie groß ist der finanzielle Spielraum für einen möglichen Top-Transfer, dem man dann vielleicht auch noch einen Platz im Tourkader zusichern muss?
Große Talente sind begehrt
Fabio Jakobsen galt früh als sehr großes Sprint-Talent. Nach seinem schlimmen Unfall ist er schnell in die Weltspitze zurückgekehrt, hat eine Etappe bei der Tour de France 2022 gewonnen und kommt mit 26 Jahren erst in den beste Radsportalter. 13 Saisonsiege 2022 – darunter der EM-Titel – das kann sich sehen lassen. In diesem Jahr waren es erst drei Siege, aber einige Top-Platzierungen. Jakobsen weckt berechtigt Interesse und wird neben den kolpertierten Teams QuickStep, DSM und Bora-hansgrohe wohl noch weitere Interessenten gehabt haben.
Ein ganz heißes Eisen ist Olav Kooij – vermutlich eines der größten Sprinttalente überhaupt. Auch wenn er vielleicht am Ende doch bei Jumbo-Visma bleibt – sein Marktwert dürfte extrem hoch sein – er und sein Management werden ihn nun genau kennen und das künftige Gehalt dementsprechend sein. Ist die Zukunft von Jakobsen und Kooij geklärt, wird auch für die anderen Sprinter klar, bei welchen Teams die Rolle des Top-Sprinters zu besetzen ist. Dann nimmt das Transferkarussell Fahrt auf – oder es bleiben eben doch einige Fahrer bei den aktuellen Teams. Auch das ist nicht auszuschließen.
Extra-Schwung kann das Karussell vielleicht auch wegen Fahrern bekommen, die für das kommende Jahr noch Vertrag haben. So ist wohl Lotto-Dstny stark daran interessiert, den 2024 auslaufenden Vertrag von Megatalent Arnaud De Lie vorzeitig zu verlängern, bevor dieser möglicherweise bei anderen Teams ganz oben auf den Wunschzettel rückt. Doch das nötige Kleingeld für solch üppigen Gehaltsposten muss man auch erstmal haben – vor allem als Zweitligateam. Neben De Lie hat auch der zweite Lotto-Sprinter Caleb Ewan für 2024 noch Vertrag. Würde dieser vielleicht bei anderen Mannschaften großes Interesse wecken, würde man vielleicht schon vorzeitig auseinandergehen? Nicht undenkbar!
„Das kann durchaus noch etwas dauern“, heißt es von Agenten, fragt man, wann denn nun das Sprinter-Transfer-Karussell zu Ende gedreht ist. Offiziell wird es sowieso frühestens im August soweit sein. Während der Tour de France achten Journalisten vor allem an den Ruhetagen sehr genau darauf, welche Agenten in welchen Teamhotels auftauchen. Nicht selten lässt sich da ein anbahnender Wechsel erahnen. Manche Gerüchte werden gern absichtlich gestreut, um die eigene Verhandlungsposition zu verbessern – von beiden Seiten!
Wer sich mit dieser Welt des Radsport neu beschäftigt, runzelt möglicherweise hin und wieder die Stirn und schüttelt vielleicht auch den Kopf – Radsport ist speziell und komplex, auch in Sachen Transfers und Transferpolitik. Die nächsten Wochen werden sehr spannend und sicher wird die Gerüchteküche weiter brodeln – vielleicht geben die Tour-Kader-Nominierungen der Teams Hinweise, sollte bis dahin wenig durchsickern. Bis zu den offiziellen Verkündungen müssen sich die Fans aber noch eine Weile gedulden – denn der 1. August ist der UCI-Stichtag für Wechselbekanntgaben.