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Gefahr und Menschlichkeit

Auf der Tour de Suisse 2023 wird für immer ein Schatten liegen. Der sportliche Wettkampf trat nach dem tragischen Tod von Gino Mäder in den Hintergrund. Ein dunkler Tag des Radsports, der nachwirkt. Der Tod des jungen Schweizers hat allen wieder vor Augen geführt, wie gefährlich dieser Sport ist. Ein kleiner Fehler, eine Unachtsamkeit oder einfach Pech können schlimmste Folgen haben. Es gibt viele Abfahrten, die gefährlicher und komplizierter sind, als die vom Albula. Ja, Risiken abschätzen gehört zum Radsport dazu, wie bei vielen anderen Sportarten auch. Für Mäder ging es weder um den Tagessieg, noch um einen Platz auf dem Podium – was in der kniffligen Kurve ganz genau passierte, ist unklar, spielt so kurz nach der Tragödie kaum eine Rolle. Man wird versuchen es aufzuarbeiten, schauen, ob man Lehren ziehen kann und vielleicht in Sachen Sicherheit für die Zukunft etwas verbessern – doch das spendet wenig Trost.

Die Geschichte des Radsports zeigt, dass ein Risiko immer bleiben wird. Der junge Belgier Bjorg Lambrecht war bei der Polen-Rundfahrt 2019 verstorben, kam wohl durch einen kleinen Straßen-Reflektor auf gerader Strecke zu Fall. Wäre das wenige Sekunden vorher, oder später passiert, er wäre wohl aufgestanden und weitergefahren. Doch genau an dieser Stelle war eine Betonkonstruktion, gegen die er prallte und sich tödlich verletzte. Solche Dinge passieren glücklicherweise sehr selten, aber das Risiko fährt stets mit.

Radsport ist ein saugefährlicher Sport, bei dem die Athleten genau das wohl manchmal ausblenden müssen, wollen sie auf höchstem Niveau erfolgreich sein. „Gesund“ ist Profisport an vielen Stellen nicht, das ist sicher vielen bewusst, doch nach schlimmen Tragödien, wie der von Gino Mäder, werden einige Profis beim Nachhause kommen die Kinder etwas fester in den Arm nehmen.

Doch es kam in der Schweiz auch eine andere Seite des Radsports zum Vorschein, die vielleicht manchmal etwas zu kurz kommt. Die Bilder der Gedenkfahrt nach Oberwil-Lieli waren bewegend. Mäders Mutter umarmte im Ziel Fahrer wie Stefan Bissegger, Stefan Küng oder auch Remco Evenepoel. Die Zuschauer hatten Plakate gebastelt, standen dem Poloton Spalier. An der Bergwertung waren unzählige Fans mit Rosen in der Hand – bewegend, fast erdrückend. „Mir sind einfach nur die Tränen gekommen“, berichtet der Fahrer eines Juryfahrzeugs.

Bei all der sportlichen Rivalität, hat die kleine Welt des Radsports Menschlichkeit gezeigt. Nationen, Teams – alles egal! Der gesamte Profi-Radsport drückte seine Anteilnahme aus. Der Veranstalter hat nach der Absage der sechsten Etappe und der Gedenkfahrt am siebten Tag dem Peloton ermöglicht, selbst zu entscheiden, ob man Rennen fahren möchte. Einige Teams sind vor der Etappe ausgestiegen, mehr als verständlich. Neutralisiert ging es bis zum letzten Berg, die Gesamtwertung wurde 25 Kilometer vor dem Ende genommen & veränderte sich nicht, dann konnte Rennen um den Tagessieg fahren, wer eben mochte.

Es gewann der Weltmeister, der ohne zu jubeln mit klarer Geste den Sieg Mäder widmete. Auch das ein bewegender Moment. Die Anteilnahme war groß, nicht nur im Peloton. Ärgerlich, wenn Menschen solch Drama zur Selbstdarstellung nutzen, doch insgesamt betrachtet war es auch in den sozialen Medien eine enorme Welle der Anteilnahme und Wertschätzung.

Nichts bringt Gino Mäder zurück, doch das Gedenken lässt ihn Teil der Radsportwelt bleiben – mit seinem Wesen, seiner Passion und seinen Werten.


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