Home Analyse 6 Erkenntnisse nach der Tour de France 2023

6 Erkenntnisse nach der Tour de France 2023

Philipsen, Vingegaard, Pogacar, Ciccone

1 Stärkste Fahrer + stärkste Team = verdiente Sieg

Jonas Vingegaard hat seinen Titel souverän verteidigt. Er war der stärkste Fahrer im Rennen und hatte zudem das stärkste Team an seiner Seite. Jumbo-Visma hatte das Rennen nahezu die gesamten drei Wochen unter Kontrolle, konnte dem Leader stets die nötige Sicherheit bieten. Auf den entscheidenden Etappen war Vingegaard mit Abstand der stärkste Fahrer – gewann das Zeitfahren überragend und machte dann auf der Königsetappe den Sack zu.

Das Team wusste vor dem Start der Tour, in welch Verfassung Vingegaard war. Man kannte die Daten, wusste, dass er die Tour gewinnen kann, kommt er ohne Probleme durch. Sturz, Krankheit, ein taktischer Fehler – all diese Dinge galt es auszuschließen. Das geht natürlich nicht zu 100%, aber Jumbo-Visma schöpfte alles aus, um für maximale Sicherheit zu sorgen. Das bärenstarke Team war da natürlich enorm wertvoll. Man agierte von Beginn an als das Team des Top-Favoriten – zog das konsequent durch.

Am Ende steht eine souveräne Titelverteidigung, mit der Frage, ob ein solch nahezu perfektes Rennen auch im kommenden Jahr gelingen kann. Wenn ja, ist Vingegaard dann erneut der Top-Favorit.

2 Ein Lob an die Streckenplaner

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Es war eine spannende Tour de France, auch wenn bereits mehrere Tage vor dem Ende der Sieger feststand. Diese Tour bot direkt zu Beginn viel Action, blieb in der zweiten Woche auch im Kampf um Gelb offen und endete mit einer Mixtur aus Sprint-, Berg- und Ausreißer-Etappen. Insgesamt betrachtet war es eine der spannendsten und interessantesten Frankreichrundfahrten der vergangenen 20 Jahre. Daran haben auch die Streckenplaner einen Anteil. Denn der Auftakt im Baskenland sorgte für Spannung und Dramatik, die frühen Pyrenäen für einen interessanten Kampf um Gelb und der Puy de Dôme am Ende der ersten Woche für ein Highlight mit ganz viel Tourgeschichte und Emotion.

Den Planern in die Karten spielte sicher auch die nicht optimale Vorbereitung von Tadej Pogacar. Denn Jumbo-Visma ging früh in die Offensive, hängte ihn bereits am fünften Tag ab. So wurde der Kampf um Gelb früh eröffnet und blieb lange spannend. Inklusive der überraschenden Wendung am sechsten Renntag über den Tourmalet.

Es war eine Tour mit wenigen epischen Anstiegen, ohne Kopfsteinpflaster und Windkanten-Spektakel. Aber es war eine packende und abwechslungsreiche Tour. Es heißt korrekterweise „die Fahrer machen das Rennen“ – doch der richtige Parcours für eine tolle Tour wurde ihnen zur Verfügung gestellt – ein Lob an die Planer.

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3 UAE 2024 – Fokus auf die Tour?

Jonas Vingegaard betonte, dass Tadej Pogacar aktuell der beste Fahrer der Welt ist. Doch die Tour gewann er selbst. Erneut. Es gibt tatsächlich aktuell keinen Fahrer auf der Welt, der bei einer Grand Tour auf das Podium fährt, die Flandern-Rundfahrt gewinnt und auch in den Ardennen triumphiert. Tadej Pogacar ist extrem vielseitig, gewinnt von Februar bis in den Oktober große und bedeutende Radrennen. Das ist außergewöhnlich. Doch bei der Tour de France wurde er nun zum zweiten Mal in Folge geschlagen.

Klar, die Vorbereitung von Pogacar war durch den Kahnbeinbruch im April beeinträchtigt, aber dennoch drängt sich die Frage auf, ob man beim Team UAE ein wenig umstellen muss – den Fokus mehr auf die Tour de France legen, im Frühjahr Pogacar etwas kürzer treten lassen. Jonas Vingegaard hat es vorgemacht – sein Aufbau zur Tour verlief nahezu perfekt. Als er am Sonntag in Gelb über den Champs Élysées rollte, war die heftige Niederlage gegen Pogacar im März bei Paris-Nizza vergessen. Der Fokus bei Jumbo-Visma lag auf der Tour, zumindest bei Vingegaard.

Bei UAE wird man sich vielleicht entscheiden müssen, ob auch Pogacar umstellt, will man die Tour ein drittes Mal gewinnen. Viele Radsportfans hingegen werden sich wünschen, dass der Slowene weiter auch im Frühjahr die Rennen animiert und sich mit den besten Klassikerfahrern der Welt um die Siege bei den Monumenten streitet.

Tadej Pogacar ist ein außergewöhnlicher Radsportler, mal schauen, ob er sich für die kommende Saison dem einfachsten „Radsportgesetz“ unterwerfen muss: Die Tour steht über allem.

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4 Der beste Sprinter trägt Grün, der Superstar taucht unter

Vier Etappensiege, dazu das Grüne Trikot – Japser Philipsen hat seinem Team Alpecin-Deceuninck eine erfolgreiche Tour de France beschert. Zurecht kann sich das Team feiern lassen, hat ohne Klassementfahrer dort abgeräumt, wo man es konnte. An drei der vier Erfolgen klebt ein wenig der Makel der rüden Gangart im Sprint – am Ende wird sich aber bereits in kurzer Zeit niemand mehr an den Schlenker gegen Girmay in Bordeaux, das Manöver gegen van Aert beim ersten Massensprint, oder die Strafe gegen Van der Poel in Nogaro erinnern.

Die vier Siege und das Sprint-Trikot sind ein großer Erfolg, den sich das Team auch verdient hat. Ein paar Fragezeichen bleiben dennoch. Superstar Mathieu van der Poel war im Leadout für Philipsen stark, blieb sonst aber blass. Es war nicht der gleiche Van der Poel, der noch im Frühjahr zwei Monumente gewann. Auch von der Giro-Form von 2022 war der Niederländer weit entfernt. Woran das lag, wird man im Team sicher genau analysieren und die Schlüsse für die Zukunft daraus ziehen.

Solange Philipsen so abliefert, wie bei dieser Tour, wird man es auch verkraften können, wenn der Superstar sich mal nicht so in Szene setzten kann. Vielleicht hat sich Van der Poel in Frankreich auch ein wenig eingerollt, für das WM-Rennen am 6. August in Glasgow.

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5 Mattias Skjelmose – der Top-Helfer

Der 22-Jährige Däne Mattias Skjelmose ist im UCI-Weltranking in den Top10. Völlig zurecht! Sieg bei der Tour du Suisse, Top10 bei allen drei Ardennen-Klassikern und drei weiteren Eintagesrennen, Sieg Etoile de Bessèges, Rang fünf Tour des Alpes Maritimes et du Var. Das sind allein die diesjährigen Resultate von Mattias Skjelmose. Beeindruckend.

Bei der Tour de France war er sehr aktiv, mehrfach in Gruppen dabei. Doch sehr oft als Helfer. Er opferte sich vor allem für Giulio Ciccone auf, der das Bergtrikot der Tour am Ende tatsächlich gewinnen konnte. Skjelmose rackerte bei den Bergetappen, war stets aktiv und offensiv. Und dies über die gesamten drei Wochen.

Er agierte als exzellenter Helfer und lieferte eine starke erste Tour de France. Man darf gespannt sein, wo es für den jungen Dänen in Zukunft hingehen wird. Nach diesem (erneut) starken Auftritt scheint ihm eine super Zukunft bevorzustehen – ganz sicher nicht nur als Helfer.

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6 Bora-hansgrohe – Gelb +2, aber …

Jai Hindley hat schon am fünften Renntag der Tour de France dafür gesorgt, dass es eine erfolgreiche Rundfahrt war. Nach dem Etappensieg und einem Tag in Gelb hatte man die Minimalziele übertroffen. Hindley fuhr lange ums Podium, bis er dann stürzte und trotz Rückenschmerzen immerhin Gesamtrang sieben einfuhr. Für die große Überraschung und überschwänglichen Jubel sorgte am Schlusstag Jordi Meeus mit seinem Etappensieg in Paris. Ein beeindruckender Sieg, den so kaum jemand kommen sah.

Die Bilanz des Teams kann sich sehen lassen, doch es wurden auch Defizite deutlich. Emanuel Buchmann war an einigen Tagen als Helfer für Hindley wertvoll, konnte aber nicht komplett die Rolle des Edeldomestiken ausfüllen. Wohl auch durch einen Sturz wurde er vor allem auch auf der Königsetappe im Finale vermisst. Bob Jungels und Patrick Konrad hatten den Giro in den Beinen, dort mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Bei der Tour waren sie ganz offensichtlich nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte.
Man hatte bei der Tour eine Doppelstrategie, die durch den Etappensieg von Meeus aufging. An der Berg-Unterstützung mangelte es aber in weiten Teilen.

Klar, man hatte sich auf den Giro d’Italia in Sachen Gesamtwertung konzentriert, für dieses Rennen die Top-Helfer nominiert. Kämna, Aleotti, Jungels, Denz, Konrad hatten ihre Vorbereitung auf die Italien-Rundfahrt ausgerichtet und waren dort auch im Einsatz. Doch will Bora-hansgrohe zum GC-Team werden, das vielleicht auch bei mehreren Grand Tours ein Wörtchen in der Gesamtwertung mitreden möchte, muss man in Sachen Bergfahrer dringend nachlegen.

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