Seit fast zwei Wochen ist die mögliche Fusion der Teams Jumbo-Visma und Soudal-QuickStep das Thema im Radsport. Seit der Meldung über die Verhandlungen der Teameigner nahm die gesamte Geschichte gleich mehrere Wendungen. Die Gerüchteküche brodelt, offizielle Infos gibt es kaum. So wie es scheint, wird erst in einigen Tagen Klarheit herrschen, wie es denn nun weitergeht, mit Jumbo-Visma und Soudal-QuickStep. Wir haben die Geschichte des Fusionskrimis kurz zusammengefasst.
Ineos + Soudal-Quickstep
Die Geschichte der möglichen Fusion von Jumbo-Visma und Soudal-QuickStep beginnt bereits vor dem Sommer. Denn in der Radsportwelt galt es als sicher, dass Soudal-QuickStep-Mehrheitseigner und Sponsor Zdenek Bakala gern seine Anteile abgeben möchte. Teamboss Patrick Lefevere wohl schon länger an einem Rückzug aus der vordersten Linie des Radteams interessiert wäre. Schon vor zwei Jahren scheiterten offenbar Gespräche mit Bora-Teamboss Ralph Denk, weil dieser „nur“ an Remco Evenepoel interessiert war, Lefevere eher an einer Fusion. So wrikte es zumindest.
Durch die Radsportwelt waberte in diesem Jahr das Gerücht, dass möglicherweise mit Ineos Grenadiers ein Interessent gefunden ist und die britische Equipe mit Soudal-QuickStep fusionieren könnte. Der Hintergrund bei Ineos ist, dass sie sich mit dem Merger die Dienste von Remco Evenepoel sichern würden, der deutlich mehr Chancen auf einen Toursieg hat, als die aktuellen Kapitäne im Team. Evenepoel hat noch Vertrag, einfach rauskaufen schien nicht so leicht – die Fusion wirkte für alle Beteiligten als gute Lösung. Geld ist bei den Briten ausreichend vorhanden.
So begaben sich Journalisten auf Spurensuche und schienen einige Indizien für eine Fusion zu finden. Die sehr zurückhaltenden Vertragsverlängerungen von Ineos ließ sich durch Agenten bestätigen, auch das Thema Fahrzeugflotte und Ausrüster-Entwicklung schien zu passen. Noch im August gingen einige Fahrer & Experten davon aus, dass diese Fusion tatsächlich kommen würde. Interessenten für die frei werdende WorldTour-Lizenz waren auch gefunden. Doch plötzlich war die Fusion vom Tisch. Warum? Es gab schnell Gerüchte, aber wirklich klar scheint dies noch nicht. Auch dort wird vermutlich noch Licht ins Dunkel kommen, früher oder später. Für diesen Text ist das aber eine Nebengeschichte – die offenbar gescheiterte Fusion aber Voraussetzung für dien Super-Merger.
Das Jumbo-Beben
Am Tag der Europameisterschaft veröffentlichte dann der stets gut informierte Journalist Raymond Kerckhoffs seinen Artikel über die Fusionspläne von Jumbo-Visma und Soudal-QuickStep. Es ging ein Beben durch die Radsportwelt. Denn bei einer Fusion werden ohnehin meist einige Personen arbeitslos, fusionieren zwei der besten Mannschaften der Welt, ist dies für den Sport von großer Bedeutung. Denn plötzlich steht auch der Transfermarkt still, weil andere Teams auf die Verpflichtung von Top-Fahrern hoffen, die es nicht in den neuen Super-Kader schaffen, oder sich durch die Fusion anderweitig umsehen können und nun als Verpflichtung in Frage kommen. Für Personal, Ausrüsterfirmen und beteiligte Sponsoren ist es möglicherweise auch ein dickes Brett.
Helle Aufregung herrschte vor allem, weil sich diese Geschichte nicht angekündigt hatte. Normalerweise gibt es im Vorfeld Gerüchte, sickert immer mal etwas durch, lässt sich auch für Journalisten in Gesprächen mit Teambossen, Agenten und Fahrern etwas raushören oder erahnen. In diesem Falle war dies anders. Kerckhoffs hatte die Geschichte exklusiv – über welchen Weg auch immer er an die Info kam, ein super Job! Die Klickzahlen von www.wielerflits.nl/ dürften beeindruckend sein.
Dass in diesem Fall die Eruption nicht von kleinen Vorbeben ankündigte wurde, spricht wohl dafür, dass es keine Angelegenheit ist, die bereits ewig geplant war. Oder eben nur zwischen sehr wenigen Menschen besprochen wurde.
Dabei sind die Argumente für diesen Zusammenschluss durchaus nachvollziehbar. Denn das Ende des Sponsoren-Engagementes der Supermarktkette Jumbo kommende Saison gilt auf Seiten der Jumbo-Visma-Teamleitung um Richard Plugge als große Motivation für die Fusion. Soudal als Partner würde die Lücke füllen, so die Spekulation. Die Hintergründe beim Team von Patrick Lefevere wurden oben beschrieben.
Klar, eine solche Fusion ist bei komplexen Gebilden wie Radsportteams nicht ganz leicht umzusetzen, doch wo ein Wille ist, da scheint ein Weg – selbst im Radsport. Die UCI machte per Pressemitteilung klar, dass es dann eben nur 17 WorldTeams gibt, sollte ein Team keine neue Lizenz beantragen oder sich auflösen. Die Pressemitteilung wurde nicht allgemein gehalten, sondern von der „möglichen Fusion von Jumbo-Visma und Soudal-QuickStep“ geschrieben. Explizit. Zudem wurde bekannt, dass die involvierten Parteien bereits mit der UCI Kontakt aufgenommen hatte. Es wäre wenig verwunderlich, müssten eventuell Papiere nachgereicht werden, würde man nicht alle Unterlagen bis zum Abgabetermin 15.10. fertig bekommen.
So wirkte es, als würde die Fusion dieser beiden Teams, die weder in Sachen Teamkultur, noch im Bereich wissenschaftlicher Arbeit besonders nahe scheinen, ihren Lauf nehmen. Doch dann, kam die nächste Wendung.
Amazon = Wendung
Plötzlich tauchte das Gerücht auf, Amazon würde als neuer Partner dem Team Jumbo-Visma beitreten. Soudal hingegen bekräftigte, das sie gern Namens-Sponsor wären, Visma will ohnehin in der ersten Reihe bleiben. Doch wie passt da dann Amazon dazu? In Belgien machte die Runde, dass Patrick Lefevere nichts vom Interesse Amazons wusste. Die Gesamtsituation schien sich zu ändern.
An dieser Stelle ist es ohne verifizierte Informationen der Beteiligten Spekulation, was die HIntergründe dieser Entwicklung sind. Spricht man mit Insidern, wären mehrere Szenarien denkbar, wie es nun dazu kam und was dies bedeuten könnte. Bei Jumbo-Visma ist seit Monaten klar, dass Jumbo als Sponsor Ende 2024 verschwindet. Richard Plugge führte einige Gespräche mit interessierten Geldgebern, auch aus Fernost. Es hieß vor Monaten, mit dem Projekt NEOM City wäre ein finanzielles Schwergewicht gefunden, das Interesse zeigte. Doch offenbar kam keine Einigung zustande. Es wäre vorstellbar, dass Plugge nach Kenntnisnahme der gescheiterten Fusion von Ineos und Soudal-QuickStep mal vorsichtig anklopfte, um die Möglichkeiten bezüglich Soudal auszuloten. Parallel wird der Teamchef natürlich weiter an potenziellen Sponsoren gearbeitet haben. Vermutlich auch Amazon. Mehrgleisig die Optionen für die Sicherung des Teams auszuloten, gehört zur Arbeitsbeschreibung von Radsport-Teamchefs. Die Abhängigkeit der Mannschaften von den Hauptsponsoren ist weitreichend und bekannt.
Hat Plugge mehrere Optionen, verbessert dies natürlich seine Verhandlungsposition. Auch gegenüber Soudal und Mehrheitseigner Bakala. Ein kniffliger Punkt bei der Fusion dürfte die Frage der Team-Zusammensetzung sein. Denn nur 30 Fahrer haben Platz, in der neuen Mannschaft. Die Verträge der sich auflösenden Mannschaft haben bestand – bieten aber nur ökonomisch Sicherheit. Ohne Team kann man das vertraglich vereinbarte Gehalt einstreichen, aber eben keine Rennen fahren. Zudem können Fahrer wohl recht problemlos wechseln, zieht sich die Betreibergesellschaft aus dem Rennbetrieb zurück.
Wie das neue Team zusammengesetzt sein könnte, blieb im Gerüchtestrudel ein heißes Thema, aber zunächst komplett offen. Sicher ist nur, dass Primoz Roglic nicht Teil der alten/neuen Equipe sein wird – der Slowene verlässt die Mannschaft am Saisonende. Mehrere Quellen legen nahe, dass eine Einigung mit dem deutschen Team Bora-hansgrohe zumindest bevorsteht.
QuickStep-Zukunft
Die nächste Wendung im Fusions-Krimi brachte die Meldung, Jumbo-Visma würde sechs Fahrer aus dem Team Soudal-QuickStep übernehmen. Der Rest müsste sich anderweitig umsehen. Gleichzeitig machten auf Seiten von Soudal-QuickStep zumindest einige Fahrer klar, dass sie lieber als Wolfpack weitermachen würden, als mit dem niederländischen Überteam zu fusionieren. Beispielsweise Ilan van Wilder nach seinem Sieg bei Tre Valli Varesine am Dienstag.
— Cycling out of context (@OutOfCycling) October 3, 2023
Da es keine offiziellen Infos gibt, brodelt die Gerüchteküche weiter. Am Mittwoch sorgte eine Meldung für hochgezogene Augenbrauen, in der Patrick Lefevere das Bemühen um eine Auffangmannschaft für die nicht übernommen Fahrer zugeschrieben wurde. Wenn Lefevere an einer Fortsetzung der QuickStep-Story arbeitet, dann stehen Fragen im Raum. Nicht nur die offensichtliche: Warum strebt Bakala die Fusion an, wenn Lefevere doch weitermachen will? Sollte Lefevere mit der WorldTour-Lizenz weitermachen, wie betrifft das die bestehenden Verträge von beispielsweise Mikel Landa und Kasper Asgreen? Oder haben diese längst neue Verträge unterschrieben?
Oder kommt zum Vorschein, wenn sich der Fusionsnebel endgültig hebt, dass vor allem Sponsor Soudal und Ausrüster Specialized mit Evenepoel im Gepäck wechselten, während Bakala Kasse machte und aus der „Fusion“ eine „Sponsoren-Übernahme“ wurde? Was bleibt dann für Lefevere, abgesehen vom Anteilsverkauf? Hier ließen sich noch locker 3-4 weitere Fragen anschließen, für die es unterschiedliche Gerüchte als Antwort gibt.
Klarheit
Nur die Beteiligten Personen kennen alle Details. Für den Rest bleibt vieles Spekulation. Im Radsport gibt es Verflechtungen, die nur Insidern bekannt sind, passierten in der Vergangenheit teils absurde Geschichten. Da geben Ausrüster Zusagen für Equipment und Sponsoring, tauchen dann beim Termin für die technische Umsetzung nicht auf und zogen zurück, obwohl alles klar schien. Oder es drehten Teameigner hart an der Kostenschraube, um vor dem Rückzug und Verkauf des Unternehmens die Tasche noch zu füllen. Alles Geschichten anderer Teams. Was genau bei diesem speziellen Fusions-Krimi im Hintergrund passiert, wird man vielleicht erst in einigen Jahren erfahren, oder nie.
Zumindest scheint es so, dass bereits in wenigen Tagen über die wichtigsten Eckpunkte der Fusion Klarheit herrscht. Denn die UCI-Unterlagen werden eingereicht, die Fahrer und ihre Agenten drängen auf Klarheit. Doch bis mindestens zum traditionellen Saisonfinale in der Lombardei bleibt etwas Zeit für Gerüchte und Spekulation. Vielleicht auch für eine weitere Wendung im „Fusionskrimi des Jahrzehnts“ – ob sich mit diesem verfilmt wohl bei Amazon Prime Kasse machen lassen würde?