Es ist die letzte Saison einer langen Karriere. Ende 2024 macht Simon Geschke Schluss, mit Profiradsport. „Fast alles was ich aktuell mache, ist das letzte Mal. Das letzte Teamtreffen, das letzte Wintertrainingslager. Das ist mir schon sehr bewusst“, sagt Simon Geschke. Er geht in seine 16. Profisaison, feiert im März seinen 38. Geburtstag. „Natürlich denke ich darüber nach, dass es meine letzte Saison als Profi ist. Aber aktuell sind das alles noch Sachen, wo es nicht so schlimm ist, dass ich sie das letzte Mal mache“, sagt Geschke und lacht.

Teamtreffen, Wintertraininsglager, die medizinischen Untersuchungen, Leistungstests. Bis das erste Rennen ansteht, sind es lange Wochen. „Ab November geht es nur noch darum, wie man am schnellsten Radfahren kann. 100% fit sein, das ist die Aufgabenstellung. Mit 80% Leistungsvermögen erreicht man heute im Radsport nichts mehr. Deshalb ist ab November voller Fokus gefragt, da muss man auch wieder aufs Gewicht gucken“, sagt Geschke. „Bei manchen Dingen merkt man das Alter dann schon. Sogar ich hab inzwischen nach der Offseason doch 1-2 Kilo mehr drauf. Ab November denkst du einfach 24h an nix anders mehr, als die anstehende Saison„, so Geschke ruhig.

Der Giro ist einfach die Grand Tour mit dem meisten Charme.

Simon Geschke

Für seine letzte Saison hat sich Geschke viel vorgenommen. Nach dem schwierigen Jahr 2023 will er endlich wieder konstant leistungsfähig sein. Eine Covid-Erkrankung hatte ihn im Frühjahr 2023 weit zurückgeworfen. Dann erwischte ihn auch bei der Tour de France eine Krankheit und er musste das Rennen entkräftet aufgeben. „Über 2023 müssen wir nicht reden. So ein Seuchenjahr, ausgerecht nachdem es 2022 so gut lief.“ Er will lieber nach vorn schauen. „Ich habe dem Team meine Rennwünsche mitgeteilt und ich bin wirklich glücklich, dass mir diese erfüllt werden. Natürlich nur, wenn ich die entsprechende Form habe. Aber im Moment läuft es sehr gut.“ Bei der Tour Down Under will Geschke seine letzte Profisaison einläuten.


Giro statt Ardennen

Das erste ganz große Ziel wird der Giro d’Italia sein. Zuletzt war er 2017 dabei – damals gewann sein Teamkollege Tom Dumoulin das Rennen. Geschke war einer der wichtigsten Helfer, wuchs damals über sich hinaus. „Ich möchte den Giro unbedingt nochmal fahren. Klar, in Sachen Wetter ist das nicht meine Rundfahrt. Sollte es so werden, wie es 2023 war, werde ich den Start sicher bereuen“, sagt Geschke und lacht. Mit Kälte und Regen kann sich der Kletterer auch nach 15 Profijahren nur ganz schwer arrangieren.

„Der Giro ist einfach die Grand Tour mit dem meisten Charme. Ich bin das Rennen drei Mal gefahren und hatte immer gute Erfahrungen. Die Stimmung ist super, aber nicht ganz so verrückt wie bei der Tour“, so Geschke. „Die Tour de France ist die größte Plattform, das Rennen mit dem höchsten Niveau. Wenn du da vorn mitfahren kannst, ist das wie ein Ritterschlag. Aber die Tour ist eben auch ein Riesenstress. Alle sind super nervös, der Druck der Sponsoren ist enorm, alle Teams müssen unbedingt was gewinnen. Dazu die Zuschauer. So schön es ist, aber das ist unterdessen ein gigantisches Spektakel, bei dem auch viele Leute am Straßenrand stehen, die mit Radsport nix zu tun haben. Sie kommen dann mit dem Hund an die Strecke und stellen den Campingstuhl auf die Fahrbahn. Die Tour ist eben größer als der Radsport. Auch deshalb haben wir zuletzt immer mehr Bauern-Streiks und Stör-Aktionen bei der Tour erlebt – die Tour bietet eine riesige Bühne“, so Geschke.

„Es gibt kein Rennen, bei dem ich im Feld so viel Angst habe, wie bei der Tour de France. Die aggressive Fahrweise im Feld, die Motorräder, die Zuschauer – es ist ein Spektakel am Limit. Wunderschön, fordernd, emotional, aber auch extrem gefährlich. Das macht die Tour für mich etwas weniger attraktiv. Da ist der Giro anders.“ Geschke hofft beim Giro zudem auf mehr Ausreißer-Chancen. „Die Chance, bei einer Etappe mal weit vorn zu landen ist sicher da.“

Vor dem Giro möchte er gern Strade Bianche fahren. Auf die Ardennen wird er voraussichtlich verzichten. „Das wird nichts mehr, Bernd, mit dem Ardennen-Triple, was du mir immer andichten wolltest“, sagte Geschke mit einem Lachen und spielt auf einen gemeinsamen Podcast vor einigen Jahren mit Fabian Wegmann an. Würde Geschke bei Lüttich-Bastogne-Lüttich starten, würde er mit Wegmann und Paul Martens gleichziehen. Beide sind die „La Doyenne“ 13 Mal gefahren. Kein deutscher Profi hat mehr Starts beim Ardennen-Monument. „Ich mag die Ardennen, würde da natürlich gern mit Fabian und Paul gleichziehen. Aber mit Blick auf den Giro muss ich sagen, dass ich auch gut darauf verzichten kann“, so Geschke.

Es gibt kein Rennen, bei dem ich im Feld so viel Angst habe, wie bei der Tour de France

Simon Geschke

Keine Tour de France?

„Ich würde schon gern zwei Grand Tours fahren, sehr gern die Tour de France. Aber nur, wenn ich tatsächlich dem Team eine echte Hilfe bin“, so Geschke ruhig. „Wir müssen abwarten, wie die Saison läuft, davon wird der Plan abhängen. Natürlich wäre es sehr bitter, wäre der krankheitsbedingte Einstieg ins Teamauto im letzten Jahr mein Abschied von der Tour de France gewesen. Aber wir haben als Team große Ziele, wollen das bestmögliche Team zur Tour bringen und wieder erfolgreich sein. Für die Tour muss man 100% fit sein, sonst spielt man keine Rolle und fährt nur hinten am Ende des Feldes Wasserski“, sagt Geschke.

Natürlich möchte er auch ein letztes Mal in Deutschland Rennen fahren. Ein Rennen hat er dabei besonders im Auge. „Ich wäre schon gern mal Deutscher Meister geworden. Das fehlt in meinen Palmares“, sagt Geschke und lacht. „Es gibt aber ’ne ganze Menge großer Fahrer, die das auch nicht geschafft haben. Beispielsweise Jens Voigt, Marcel Kittel oder auch John Degenkolb. Gegen Bora war das die letzten Jahre schwer, wird es sicher 2024 erneut werden.“

Die Lombardei-Rundfahrt würde Geschke im Herbst gern fahren, bei der WM wäre er auch gern dabei und vielleicht den Japan Cup, ganz am Ende der Saison. „Die Fans dort sind supercool und ich würde schon gern nochmal nach Japan. Aber das ist alles noch so weit weg„, sagt Geschke.


(noch) keine Abschiedsgedanken

„Der Abschied ist aktuell noch ganz weit weg. Ich bin loyal bis zum letzten Rennen, im Moment genauso motiviert, wie in den vergangenen Jahren. Ich bin genauso fleißig, extrem motiviert. Ich weiß, wenn ich nicht 100% gebe, dann habe ich keine Chance vorn mitzufahren. Aber das ist mein Anspruch, dafür investiere ich viel, ordne mein ganzes Leben unter. Ich spüre den gleichen Druck, den ich immer habe“.

Damit wird am Ende des Jahres Schluss sein. Das ist Geschke durchaus bewusst, eine Abschluss-Saison voller Wehmut wird es nicht werden. „Ich freue mich auf mein Karriereende. Es ist schon so, dass es auch befreiend ist. Es ist gut zu wissen, dass ich nicht mehr aufs Rad muss, wenn im November fünf Grad und Nieselregen sind. Seit über 20 Jahren waren immer die Gedanken da, ist das jetzt gut oder schlecht für meine Leistung. Es wird ein anderes Leben beginnen, ohne ADAMS-Meldung und Leistungsdruck. Ich kann dann nur noch aus Spaß aufs Rad.

Den Spaß auf dem Rad wird er auch nach Karriereende nicht verlieren, ist sich Geschke sicher. Ob er allerdings noch den Wettkampf braucht, muss man abwarten. MTB will er dann noch mehr fahren, das Cape Epic würde ihn reizen. „Da kann ich mir aber später noch Gedanken darüber machen. Ich bin mit meiner Karriere super zufrieden. Ich habe Dinge gemacht, die ich nie gedacht hätte. Erfahrungen gesammelt, Leute kennengelernt – dafür bin ich dankbar. Meine letzte Saison will ich genießen, aber sportlich Vollgas geben.“