Team Bora-hansgrohe beim Giro 2023 (Foto: © Roth&Roth / CV)

Mit der Verpflichtung von Primoz Roglic hat sich für das Team Bora-hansgrohe einiges geändert. Man hat nun einen Klassementfahrer der um den Sieg bei der Tour de France kämpfen kann. Klar, mit Jai Hindley hat man den Ex-Girosieger und mit Alex Vlasov einen weiteren Top5-GC-Fahrer – doch Roglic ist ein Level über ihnen. Zumindest noch. Der 34-jährige Roglic ist zum Team Bora-hansgrohe gewechselt, um die letzte große Lücke in den Palmares zu schließen – den Sieg bei der Tour de France. Bei Jumbo-Visma hatte er intern zu viel Konkurrenz, bei Bora-hansgrohe wollte man unbedingt einen potenziellen Toursieger verpflichten – das perfekte Match.

So dürfte recht klar sein, dass Roglic der Mann für die Gesamtwertung bei der Tour de France wird. Der Parcours liegt ihm sehr, so wird man ihm eine superstarke Mannschaft an die Seite stellen wollen. Viele Chancen wird Roglic bei der Tour wohl nicht mehr bekommen, befindet sich bereits im Spätsommer der Karriere. Alles auf die Tour – das könnte bei Bora-hansgrohe die Devise für 2024 sein.

Giro-Kapitän?

Bora-hansgrohe wird sich Gedanken machen, welche Top-Fahrer man zur Tour de France schicken will, wer dann zum Giro oder zur Vuelta antritt. Roglic kann Tour und Vuelta durchaus kombinieren, das hat die Vergangenheit gezeigt. Gedanken wird man sich vor allem bezüglich Giro und Tour machen. Cian Uijtdebroeks war sicher für den Giro vorgesehen, doch er hat das Team nun verlassen.

So stellt sich die Frage, wie man mit den weiteren Optionen plant. Emanuel Buchmann ist nicht mehr in der ersten Reihe der Kapitäne, hat sich aber als Helfer verbessert. Einen Fahrer wie ihn könnte man bei allen Grand Tours auch als Helfer gebrauchen. Jai Hindley hat den Giro bereits gewonnen, schaffte es bei seiner ersten Tour de France im Juli auf Gesamtrang sieben. Hindley ist ein exzellenter Kletterer, im Zeitfahren hat er aber seine Probleme. So ist der Giro-Parcours im Jahr 2024 sicher nicht ideal für ihn. An der Seite von Roglic zur Tour zu fahren, würde ihn sicher in die Rolle des Helfers bringen, doch er könnte einiges lernen, zudem taktisch eine Option sein, läuft es super für ihn.

Der dritte echte GC-Kapitän neben Roglic und Hindley ist Aleks Vlasov. Die Ergebnisse des Russen sind im Vergleich zum Girosieg von Hindley weniger beeindruckend. Doch Vlasov war bei Tour und Vuelta bereits in den Top5 – ist dabei bislang kaum eine Grand Tour ohne Krankheit durchgekommen, so leider auch 2023. Vlasov ist der bessere Zeitfahrer im Vergleich zu Hindley. So würde es in dieser Hinsicht naheliegen, Aleks Vlasov als Kapitän zum Giro zu schicken, während Hindley und Roglic zur Tour fahren. Doch es gibt auch gute Argumente für einen Tourstart von Vlasov.

Dreizack

Die Frankreich-Rundfahrt wird wohl in der brutal schweren letzten Woche entschieden. Es geht dann um Zähigkeit, Regenerationsfähigkeit und mentale Stärke. Genau diese Dinge zeichnen Vlasov aus. Im Tourkader könnte er die Rolle des Co-Leaders bekommen, dann in die Rolle des Helfers schlüpfen, sollte Roglic tatsächlich um den Sieg fahren. Dabei sind aus Sicht von Vlasov durchaus Gedanken erlaubt, dass er zum Leader wird, sollte Roglic ausscheiden. Schon mehrfach musste der Slowene eine Grand Tour vorzeitig verlassen.

Entscheidet man sich für Roglic und Vlasov als Tour-Leader – würde man dann Hindley doch zum Giro schicken? Oder gar mit einem Dreizack nach Frankreich reisen? Kehrt man an dieser Stelle zu den Überlegungen vom Beginn zurück – dem neuen Top-Star, der berechtigte Chancen auf einen Toursieg hat, aber dem wohl nur sehr wenige Chancen bleiben – wird der Gedanke „alles für die Tour“ sehr interessant. Würde man tatsächlich mit Roglic, Hindley und Vlasov zur Tour fahren, wäre man in den Bergen auf dem Level der Top-Teams. Klar, die Fahrer müssen sich diesem Plan unterwerfen und Vlasov und Hindley auf eigene Ambitionen gegebenenfalls verzichten – doch was wären individuell die Alternativen? Wer von den beiden sieht sich aktuell gegen Pogacar und Vingegaard in der Lage um den Sieg zu fahren? Auch langfristig kann es sinnvoll sein, sich jetzt unterzuordnen, für ein höheres Ziel, dann in wenigen Jahren selbst die komplette Unterstützung einzufordern. Roglic wird vermutlich höchstens zwei Jahre im Bora-Trikot Anlauf bei der Tour nehmen. Gelingt es auf Anhieb, beendet er vielleicht sogar in Nizza direkt die Karriere? Kommt es zum geplanten Einstieg von Red Bull beim deutschen Team, wird die Equipe ganz sicher auch in Sachen Budget wachsen. Dass Bora-hansgrohe vielleicht in 1-2 Jahren dann mit den absoluten Top-Teams in allen Bereichen auf Augenhöhe sein könnte, beeinflusst ganz sicher die Zukunftsgedanken der Fahrer.

Spielt man die Gedanken des Dreizack weiter, wären drei Plätze im Tourkader vergeben. Daniel Felipe Martínez hat man als Edelhelfer für die Berge geholt – er wäre sicher bei solch Tour gesetzt, sollte er Form haben. Einen, besser zwei Fahrer „fürs Grobe“ lassen sich ebenso schnell finden, die eine Tourmannschaft sinnvoll verstärken. „Tretvieh“ und stets loyaler Helfer Nico Denz kann herausragend Kapitäne bei den Flachetappen in Position halten und ist dazu auch auf hügeligem Terrain stark. Der erfahrene „Lenker“ Bob Jungels ist ein echter Allrounder und bringt auch Tempohärte mit. In Top-Form kann er eine sehr wichtige Stütze sein. Blieben noch zwei Plätze im Tourkader offen, bei denen man zwischen Allroundern und Kletterern entscheiden kann. Buchmann wird vielleicht sein letztes Jahr bei Bora bestreiten – das würde ihn aber nicht zwangsläufig aus dem Touraufgebot streichen. Lennard Kämna, Danny van Poppel, Ben Zwiehoff, Sergio Higuita, Matteo Sobrero, Jonas Koch, Giovanni Aleotti, Max Schachmann …. der Bora-Kader gibt einiges her. Hier wird dann sicher genau geschaut, wer im Sommer in entsprechender Form ist.

Giro-Pläne

Schickt man tatsächlich die drei Top-Jungs zur Tour de France, ergeben sich auch für den Giro verschiedene interessante Optionen. Das GC-Projekt von Lennard Kämna könnte in die zweite Runde gehen, Emanuel Buchmann wäre trotz Zeitfahrschwächen sicher eine gute Platzierung zuzutrauen, sollte er wieder zu alter Stärke finden. Zudem gibt es beim Giro wenige mittelschwere, aber viele Sprint- und Berg-Etappen. So könnte man auch Sam Welsford zum Giro schicken, der mit 1-2 Anfahrern auf Etappenjagd geht. Ben Zwiehoff könnte als starker Bergfahrer neue Freiheiten bekommen, Aleotti seine Chance für den nächsten Schritt sehen und vielleicht sogar ein Florian Lipowitz vorsichtig Grand-Tour-Luft schnuppern.

Dann wäre die Stoßrichtung für den Giro um Etappensiege zu kämpfen, aber den Kletterern und GC-Fahrern der zweite Reihe Optionen einzuräumen. Der Druck wäre gering, was für die Entwicklung von Fahrern sehr gut sein kann!

Vuelta-Optionen

Mit welchem GC-Fahrer man zur Vuelta geht, wird man nach der Tour sehen. Als Primoz Roglic 2021 die Tour vorzeitig verlassen musste, holte er sich dann wenig später den Vuelta-Sieg. Im Jahr zuvor war er Zweiter bei der Tour – damals knapp von Pogacar geschlagen – triumphierte dann aber bei der Vuelta. In diesem Jahr sind es aber vielleicht auch eher Hindley und Vlasov, die anschließen zur Vuelta wollen. Sergio Higuita und Neuzugang Roger Adrià wären ebenfalls prädestiniert für einen Vuelta-Start. Nachdem die Strecke der Spanien-Rundfahrt 2024 doch sehr, sehr anspruchsvoll ist, würde man diese vielleicht doch eher nicht als erste Grand Tour für Florian Lipowitz planen. Emanuel Buchmann hingegen könnte der Parcours auch gefallen.

Kompakt

Zum Giro mit einem Mixed-Kader mit Etappenjägern und künftigen GC-Hoffnungen. Vlasov, Hindley und Roglic zur Tour – mit einem absoluten Top-Kader. All In für die Tour. Die Vuelta könnte dann wieder ein Mix-Team aus GC-Hoffnungen, aber vielleicht auch Tour/Giro-Startern sein.