Routinier Simon Geschke hat sich auf den Giro d’Italia gezielt vorbereitet. Im eigenen Höhenhotel in Freiburg den letzten Schliff für die letzte Italien-Rundfahrt seiner Karriere geholt. Wie er im Giro-Tagebuch mit CyclingMagazine verriet, brauchte er ein paar Tage, bis sein Körper auf Betriebstemperatur war. Doch die Form passt, das war auf den schweren Etappen offensichtlich.
Am Dienstag war Geschke auf der 10. Etappe erneut in einer Ausreißergruppe, sammelte reichlich Bergpunkte und startet seit Mittwoch täglich im blauen Bergtrikot des Giro. Er trägt es stellvertretend für Leader Tadej Pogacar. Sehr gern würde Geschke das Trikot auch täglich bei der Siegerehrung als Führender der Bergwertung überreicht bekommen, doch Pogacar hat reichlich Vorsprung und profitiert vom Reglement für die Bergwertung. Denn bei Bergankünften (Bergwertung = Ziellinie der Etappe) gibt es mehr Zähler, als bei Bergen der gleichen Kategorie irgendwo im Verlauf der Etappe. Doch chancenlos ist Geschke keinesfalls!
Ausgangssituation
Tadej Pogacar hat vor der 15. Etappe 104 Bergpunkte, Geschke 59. Ein satter Vorsprung, doch schaut man auf den weiteren Verlauf des Rennens, sind 46 Zähler so gut wie nichts. Am Sonntag werden insgesamt maximal 157 Bergpunkte vergeben. Bei der Bergankunft im Ziel allein 50. Am vorletzten Anstieg – nur neun Kilometer vor dem Ende – 40 Zähler. Es könnte sich also am Ende dieser Etappe theoretisch ein Fahrer das Bergtrikot überstreifen, der bislang kaum Punkte geholt hat. Sollte allerdings Tadej Pogacar auf diesem Teilstück den Etappensieg holen, würde er seinen üppigen Vorsprung wohl behalten. Doch der Mann in Rosa interessiert sich wenig für die Bergwertung. Das verschafft Ausreißern Chancen.
Auch auf Etappe 17 gibt es extrem viele Zähler zu holen. Unterwegs sind es 85 Punkte, bei der Bergankunft dann für den Tagessieger aber wieder 50! Drei Bergankünfte gibt es noch, sollte Pogacar erneut fett punkten, vielleicht sogar Tagessiege einfahren, wäre es für die Konkurrenz in Sachen Bergtrikot fast unmöglich, das Trikot zu holen. Doch ausgeschlossen ist es keinesfalls, dass der Bergkönig am Ende nicht Pogacar heißt.
Das Reglement
Es gibt insgesamt 4 Bergwertungs-Kategorien. Zusätzlich die „Cima Coppi“ – der höchste Punkt des Giro. Nachdem die Strecke der 16. Etappe geändert wurde, ist nun die Cima Coppi am Umbrailpass.
Cima Coppi
Punkt: 50, 30, 20, 14, 10, 6, 4, 2, 1
1.Kategorie
Punkte: 40, 18, 12, 9, 6, 4, 2, 1
Punkte wenn Zielankunft: 50, 24, 16, 9, 6, 4, 2, 1
2.Kategorie
Punkte: 18, 8, 6, 4, 2, 1
Punkte wenn Zielankunft: 26, 12, 8, 4, 2, 1
3.Kategorie
9, 4, 2, 1
4.Kategorie
3, 2, 1
Taktische Überlegungen
Die ganz großen taktischen Kniffe braucht es nicht, wollen Simon Geschke oder Valentin Paret-Peintre dem Überflieger Pogacar das Bergtrikot doch noch abnehmen. Bei den Bergetappen ab in die Gruppe des Tages und dann Punkte sammlen, so viel wie möglich. Drei Etappen sind besonders wichtig – Etappen 15, 16 und 17. Hier gibt es fett Punkte zu holen.
Doch im Detail gibt es schon Überlegungen, die eventuell zu einer besonderen Taktik führen. Zum einen würde es sich anbieten, das Zeitfahren nur mit „Halbgas“ zu fahren, um auf Etappe 15 ausgeruht zu sein. Zudem könnte es auf Etappe 16 – je nach Rennverlauf – sinnvoll sein, schon vor dem schweren Finale die Beine hochzunehmen, deutet sich an, dass die beiden letzten Bergwertungen eher von den Klassementfahrern geholt werden, weil dort Vollgas gegeben wird. Denn die 17. Etappe ist mit vielen schweren Bergen im Kampf um das Bergtrikot sicher von besonderer Bedeutung.
Andererseits warten im Finale der 16. Etappe 56 Zähler – räumt man die vorletzte Bergwertung ab und holt den Etappensieg. Auf der 17. Etappe sind es allerdings 85, bei den ersten 4 Bergwertungen. Natürlich kann man nicht immer davon ausgehen, dass man bei jeder Bergwertung auch die volle Punktezahl holt. Mitrechnen während der Etappe werden vor allem die Sportlichen Leiter im Auto.
Eine Entscheidung wird vielleicht auch nach Etappe 17 nicht gefallen sein, denn während der letzten drei Tage sind insgesamt noch 125 Zähler zu vergeben. Doch bis dahin wird klar sein, wer sich im Kampf um das Bergtrikot noch berechtigt Hoffnungen machen darf.