Der freundliche Kannibale
Es kam genau so, wie viele es erwarteten – Tadej Pogacar holte sich souverän den Gesamtsieg. Am ersten Tag verpasste er Rosa knapp, am zweiten Tag zog er es über und gab es nicht mehr her. Sein Vorsprung in der Gesamtwertung wuchs stetig und nie schien sein Gesamtsieg in Gefahr.
Doch Pogacar fuhr nicht nur den Gesamtsieg ein, er holte zudem sechs Etappensiege. Nimmt man die Massensprints aus, hat Pogacar fast die Hälfte der übrigen Etappen gewonnen. Beeindruckend.
Schnell kamen Vergleiche mit dem großen Eddy Merckx und nach seinem sechsten Sieg – den er auf Ansage am Monte Grappa sicherstellte – der Beiname Kannibale gleich dazu. Doch Pogacar holte seine Siege scheinbar mit spielerischer Leichtigkeit. Es war offenbar nicht die Verbissenheit des unbedingten Siegeswillens, die ihn Etappenerfolg um Etappenerfolg holen ließ. Es ist seine Überlegenheit, seine unfassbare Qualität, die ihn dazu verpflichtet, die Vorarbeit der Kollegen zu vollenden.
Selten zuvor flogen einem solchen Dominator die Sympathien zu. Oft war es hingegen so, dass Übermacht und Dominanz für weniger Begeisterung beim Publikum sorgte. Begleitet von Skepsis.
🇸🇮 Thank you @TamauPogi. #GirodItalia pic.twitter.com/ftg5e5yR7F
— Giro d'Italia (@giroditalia) May 25, 2024
Doch dieser Tadej Pogacar, der diesen Sport ausübt, als würde er es nur aus Spaß tun, wird umjubelt. Klar, ein großer Star, der kleinen Fans am steilen Anstieg Flaschen reicht, mit Kindern abklatscht und stets für Schabernack zu haben scheint, wirkt nahbar und sympathisch.
Auch ein Chris Froome war zu Journalisten stets freundlich, nahm sich Zeit für Fotos und Autogramme und genießt bei den Kollegen hohes Ansehen – doch vielen Fans war seine Dominanz zu viel. Zudem wurden seine Leistungen stets von kritischen Blicken begleitet.
Ganz anders Tadej Pogacar, zumindest bislang. Er siegt und siegt und siegt – beeindruckt unentwegt. Scheint Grenzen immer wieder zu verschieben und unfassbare Leistungen am Fließband produzieren zu können, die zwangsläufig zu beeindruckenden Siegen führen – er ist ein Kannibale, wie es ihn selten im Radsport gab, vielleicht sogar noch nie zuvor. Der freundliche Kannibale des modernen Radsports.