Instinkt-Fahrer
Romain Bardet zählt mit 33 Jahren nicht zu ältesten Fahrern im Peloton, doch der Franzose ist lange dabei und zählt trotz aller Akribie ein wenig zur alten Radprofi-Schule. Damit kein falsches Bild entsteht, Bardet war wissenschaftlichen Veränderungen stets zugeneigt, hatte schon vor Jahren ein Zimmer mit Höhensimulation und achtet akribisch auf jedes Detail. Doch Bardet ist mehr ein Mann der kühnen Attacke, statt des kalkulierten Watt-Fahrens. Risiko gehen, offensiv agieren, statt Fehler vermeiden, abwarten und um jede Sekunde in der Gesamtwertung kämpfen – das ließ ihn einst seinem französischen Team den Rücken kehren und zu DSM wechseln.
„Beim Angriff verließ ich mich auf meinen Instinkt. Ich sah, wie viele Fahrer litten, und ich wusste, dass ich auf Frank zählen konnte, der vorne lag“, sagte Bardet nach dem Rennen. Er erkannte seine Chance, spielte seine Erfahrung aus und es reichte am Ende zum Tagessieg und dem Gelben Trikot. Sein Teamkollege Warren Barguil herzte im Ziel den Sportlichen Leiter, Bardet war überwältigt von seinen Emotionen. John Degenkolb sagte im Ziel der Traube von deutschen Journalisten, „ohne mit Romain gesprochen zu haben, aber das ist sicher der größte Erfolg in seiner Karriere.“
Der schlaue Romain
Es war genau der richtige Moment, den Bardet erwischte! Das Team UAE schlug zunächst ein hohes Tempo an, das Feld dünnte sich aus. Doch dann zog sich das Team von Pogacar zurück und Visma übernahm. „Das Tempo war etwas raus, wir wussten, dass sie eher kontrolliert fahren wollten“, sagte der Sportliche Leiter Matt Winston gegenüber CyclingMagazine im Ziel. Klar, Visma hatte beim flachen Finale auch Wout van Aert im Blick, wollte den nicht bergauf ans Limit führen. „Es waren noch drei Anstiege und die anderen Teams hatten das Interesse, die Anstiege nicht voll zu fahren“, so Winston. So beispielsweise auch das Team Lidl-Trek, mit dem endschnellen Mads Pedersen.
Bardet sprang nach vorn zu Frank van den Broek, der sich voll für Bardet aufopferte. „Das war unglaublich, was Frank da gemacht hat, wirklich großartig“, lobte Coach Phil West gegenüber CyclingMagazine den 23-Jährigen. Sie arbeiteten zusammen und schafften es so tatsächlich, den Sieg und das Gelbe Trikot zu holen. „Wir mussten einen Fahrer in der Gruppe haben, das war der erste Schritt. Romain hat dann die Chance genutzt und sie haben dann herausragend zusammengearbeitet“, so West. „Matt war die ganze Zeit mit den Fahrern in Kontakt, sie wussten genau, wie viel Vorsprung sie haben“, so West. Komfortabel war das Polster zum Feld nie.
Als Bardet zu seinem jungen Teamkollegen aufgeschlossen hatte, war dieser zunächst fast etwas zu flott unterwegs, für den Kapitän. Doch das Duo fand den Rhythmus und holte sich Gelb. „Wir wussten, dass es die letzten 15 Kilometer hart werden würde. Aber je näher wir dem Ziel kamen, desto zuversichtlicher wurden wir“, sagte Bardet in der Pressekonferenz nach dem Rennen.
Die Tour de France 2024 kann für das Team dsm-firmenich PostNL keine schlechte mehr werden. An solch einem Tag lässt sich auch verschmerzen, dass der Teambus defekt in Florenz zurückbleiben musste. „Heute ist das auch egal“, lachte eine Betreuer im Ziel.