Geschichte schreiben, Teil 2: Richard Carapaz
Mit Richard Carapaz trägt erstmals ein Fahrer aus Ecuador das Gelbe Trikot bei der Tour de France. Es ist eine sehr häufig zitierte Szene aus der zweiten Staffel der Netflix-Dokumentation zur Tour de France 2023: EF-Teamchef Jonathan Vaughters sinniert über die Chancen seines Top-Fahrers Richard Carapaz, der eigentlich als Einziger eine Chance hätte, in den Zweikampf von Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar einzugreifen. Dass Carapaz nach einem Sturz gleich nach der 1. Etappe aufgeben musste, hat dem Teamchef angesichts seiner optimistischen Prognose reichlich Häme eingebracht.
Nach langer Verletzungspause konnte Richard Carapaz in den zurückliegenden Monaten nur punktuell an seine starken Leistungen vergangener Jahre anknüpfen. Bei der Tour de Suisse musste er zuletzt verletzt aussteigen. Doch bei den ersten Tour-Etappen zeigte er altes Kämpferherz. Vor der 3. Etappe lag er hinter Pogacar, Evenepoel und Vingegaard auf dem vierten Platz der Gesamtwertung – zeitgleich. Da sich das Interesse von Pogacar und Vingegaard an Gelb zu so früher Zeit offenkundig noch in Grenzen hält und auch Evenepoel heute wenig Anstalten machte, sich das Trikot zu sichern, war das Team EducationFirst-EasyPost motiviert und beim Etappenfinale gut platziert – Carapaz kam als 14. ins Ziel, einen Platz hinter dem Teamkollegen Marijn van den Berg. Weil Pogacar (38.), Evenepoel (40.) und Vingegaard (68.) deutlich dahinter die Ziellinie überquerten, änderten sich nun die Positionen des weiterhin zeitgleichen Spitzenquartetts.
„Nein, an Gelb habe ich nicht gedacht. Ich stehe hier ohne Verletzungen und hoffentlich bleibt das auch so“, erklärte Remco Evenepoel anschließend im Ziel. Weniger erfreulich für den Belgier war, dass sich Teamkollege Caspar Pedersen bei einem Sturz 15 km vor dem Ziel einen Schlüsselbeinbruch zuzog und die Tour vorzeitig beenden muss.
Ob der neue Träger des Gelben Trikots in diesem Jahr wirklich eine Option für eine Top-Platzierung ist, bleibt abzuwarten. Der heutige Coup ist für das Team EF, das in erster Linie für die Etappenjagd ausgerichtet ist, ein beachtlicher Erfolg. „Der Erfolg bedeutet die Welt für mich“, führte denn auch Richard Carapaz aus. „Es ist unglaublich für mein Land, denn es gibt so wenige Radprofis aus Ecuador, die in der Top-Liga des Radsports bestehen können.“ Für Carapaz ist es das insgesamt 20. Leadertrikot bei den großen Rundfahrten – nach 14 Tagen im Rosa Trikot beim Giro und 5 Tagen im Roten Trikot bei der Vuelta kann er nun erstmals auch in Frankreich das begehrte Stoffstück überstreifen.