Was war Ihr erster Gedanke, als das Team Jumbo-Visma mit der Idee auf Sie zugekommen ist, die Arbeit des niederländischen Spitzenteams mit freiem Zugang zu begleiten?

Nando Boers: Mein erster Gedanke war: Das klingt wirklich interessant. Eines der absoluten Topteams einmal aus der Nähe zu betrachten, fand ich sehr reizvoll.  

Wie viel Zeit haben Sie während der Recherche mit dem Team verbracht?

Vier Jahre lang habe ich mehr oder weniger den größten Teil meiner Zeit mit dem Buchprojekt verbracht. Von 2020 bis 2022 stand die Recherche im Mittelpunkt, 2022 und 2023 war ich dann mit dem Schreiben beschäftigt. Natürlich waren einige Wochen intensiver als andere. Aber das Thema war während der gesamten Zeit immer in meinem Kopf.


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Was hat Sie bei der Recherche am meisten beeindruckt oder überrascht? 

Die Art und Weise, wie insbesondere die Sportlichen Leiter Merijn Zeeman und Mathieu Heijboer eingeschliffene Denkmuster durchbrechen wollten und gegenüber neuen Ideen aufgeschlossen waren. Sie suchten Expertise außerhalb des Radsports und hatten den Mumm, einige der Ratschläge auch umzusetzen. Generell war das Team sehr unvoreingenommen, obwohl nicht jeder Fahrer sofort darauf ansprang. Tom Dumoulin etwa war skeptischer als andere. 

Welche Reaktionen haben Sie nach der Veröffentlichung erfahren? Immerhin haben Sie ja quasi das Erfolgsgeheimnis des Teams gelüftet … 

Einer der Coaches des Teams hat mir gesagt, dass sie gesehen hätten, wie andere Teams das Buch lesen würden und dass sie nun ihre Strategien wieder anpassen müssten, hehe. Die Reaktionen auf die Buchveröffentlichung waren erfreulicherweise sehr positiv.

Nicht umsonst ist das Buch in den Niederlanden im Mai 2024 zum „Sportbuch des Jahres“ gewählt worden. Sie haben sowohl das Drama um Primož Rogličs zweiten Platz bei der Tour de France 2020 hautnah mitbekommen als auch den Sieg von Jonas Vingegaard 2022. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, die kritische Distanz zu wahren? 

Für mich war das nicht schwer. Ich bin Journalist, kein Fan. Mich interessieren die Sportart und der Blick hinter die Kulissen, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Und ich liebe einfach das Recherchieren und Schreiben. Um ehrlich zu sein: Ich wusste, dass Rogličs Drama ebenso eine gute Geschichte abgab wie der Sieg von Vingegaard. Natürlich habe ich 2022, als ich mit dem Team unterwegs war, auch Vingegaard die Daumen für den Tour-Sieg gedrückt. Aus dem Blickwinkel meiner Reportage war es das Beste, was passieren konnte.    

Hat Sie eigentlich der Karrieresprung des Dänen überrascht?

Ja. Als ich 2020 mit der Arbeit an dem Buch begann, sagte mir der Name nichts. Das sollte sich aber im Jahr darauf ändern.

In dem Buch nimmt auch Tom Dumoulin eine große Rolle ein, der mit der Herangehensweise des Teams so seine Probleme hatte. Es scheint, dass es eine spezielle DNA des Teams Jumbo-Visma gibt, die nicht für jeden Fahrertyp geeignet ist, oder? 

Auf jeden Fall.

Wie würden Sie diese DNA beschreiben? Kann man es vielleicht als „totaal wielersport“ bezeichnen, ähnlich wie „totaal voetbal“?

Ich glaube, man kann es als ganzheitliches Engagement ansehen. Beim ‚totaal voetbal’ ging es ja eher darum, dass jeder Spieler jede Position auf dem Feld ausfüllen konnte. Das ‚totaal’ bezieht sich also auf die Taktik. Beim Team Jumbo-Visma dreht sich der ganzheitliche Ansatz vor allem um das Training, das bis ins kleinste Detail akribisch geplant und geregelt ist. Das Team hatte taktische Grundprinzipien erarbeitet, an die sich die Fahrer während der Rennen halten konnten. So waren sie auf wiederkehrende Rennsituationen vorbereitet. 

In Ihrem Buch skizzieren Sie ja genau das: mit welcher großen Hingabe die Team-Offiziellen die Erfolge ihrer Spitzenfahrer planen, vom Höhentrainingslager über NLP-Kurse, individuelle Ernährungspläne bis zu Videoanalysen gegnerischer Teams. Geht dabei vielleicht etwas von der Romantik des Radsports verloren? 

Diejenigen, die den Radsport noch unter romantischen Aspekten betrachten, mögen das vielleicht so sehen. Aber wir sprechen hier von einem Leistungssport im 21. Jahrhundert, und im Profisport ist nun mal nicht viel Platz für Romantik. Darin unterscheidet sich der Radsport auch nicht von anderen Sportarten. 

Primož Roglič taucht ja an vielen Stellen in Ihrem Buch auf, manchmal wirkt er wie ein Fremdkörper im Team. Wie bewerten Sie seinen Wechsel zum Konkurrenten Bora-hansgrohe? 

Ehrlich gesagt weiß ich nichts Genaues über die Gründe für seinen Wechsel. Man darf jedenfalls gespannt darauf sein, wie er sich mit seiner neuen Mannschaft gegen die ehemaligen Teamkollegen schlägt. Immerhin war er bis 2022 so etwas wie der geistige Leader des Teams. Ich hatte das Gefühl, dass sich während der Tour de France 2022 etwas innerhalb des Teams verschoben hatte.

Hat Sie eigentlich der angekündigte Abschied von Merijn Zeeman überrascht? Zeeman wird ja künftig für den niederländischen Fußball-Erstligisten AZ Alkmaar arbeiten.

Das hat mich keinesfalls überrascht. Merjin Zeeman stammt aus Alkmaar, liebt Fußball und ist außerordentlich ehrgeizig. AZ Alkmaar ist schon immer ein Klub gewesen, der offen war für frische Ideen von außen. Der ehemalige Geschäftsführer Toon Gerbrands war vorher Nationaltrainer der niederländischen Volleyballer. AZ-Generaldirekor Robert Eenhoorn war ein ehemaliger Baseballprofi, der das Trikot der New York Yankees trug, später die niederländische Baseball-Nationalmannschaft coachte und im Verband den Posten des Generaldirektors inne hatte. In Alkmaar hoffen sie, dass Merijn Zeeman in ihre Fußstapfen tritt.   

Wie sehen Sie die Zukunft des Teams Visma | Lease a Bike ohne Zeeman?

Wie es weiter geht, hängt von dem Ersatz ab, den sie verpflichten können. Es ist definitiv ein bedeutender Augenblick in der Teamgeschichte. 

In diesem Jahr erscheint in den Niederlanden auch Ihr Buch über Tom Dumoulin. Ist Ihnen die Idee dazu bei der Recherche für „Der Plan“ gekommen? 

Tatsächlich war Tom war auf mich zugekommen und hatte gefragt, ob ich mir ein gemeinsames Buch vorstellen könnte. Wir fanden schnell zueinander. Ich hatte die Idee, dass wir an einige bedeutende Orte seiner Karriere reisen, nach Norditalien, Andorra und Norwegen. Die Zusammenarbeit war wunderbar. Auch in diesem Fall konnte ich aus erster Hand erfahren, wie ein Elitesportler arbeitet, wie es um seine Stärken, Zweifel, Höhen und Tiefen bestellt ist. Tom Dumoulin war sehr offen, er ist sehr intelligent. Die Leser können ihr Wissen über den Radsport vertiefen – genau so wie beim Buch ‚Der Plan’. 


Nando Boers, Jahrgang 1970, ist Schriftsteller, Journalist und ausgewiesener

Radsport- und Formel-1-Kenner. Er arbeitet unter anderem für »Studio Sport« und

»Andere Tijden Sport«, zwei der meistgesehenen Sportsendungen im niederländischen TV, und ist regelmäßiger Autor der literarischen Radsport-Zeitschrift »De Muur«. In den vergangenen Jahren hat er mehrere erfolgreiche Romane verfasst und zudem zahllose Sportlerporträts veröffentlicht, darunter die Interviewsammlung »Ik ben renner«.

Das Buch „Der Plan“ kostet € 24,80 und ist im Shop von Covadonga erhältlich