Viel wusste ich vorher nicht, eigentlich nur, dass es wohl „heißer Scheiß“ sein würde, den ich testen darf. Die Trikot/Hose-Kombination der italienischen Firma Q36.5 traf ein und die Erwartungen waren dementsprechend hoch. Erst recht, nachdem ich mich auf der Website des Herstellers über die Verkaufspreise von Trägerhose und Trikot der „Dottore Clima“ Serie informiert hatte. 490 € für das Kit – eine Ansage.

Unboxing: Unspektakuläre aber äußerst wertige Pappverpackung, vollkommen ohne unsympathische Plastiktüten. Als kleines, aber feines Detail soll die Präparation der Hose Erwähnung finden. Diese wurde in der Verpackung durch ein breites elastisches Band zusammengehalten, das sie von Beginn an zur ersten und einzigen ordentlich verstauten Radhose in meinem Kleiderschrank machte.

Optik ist bekanntlich Geschmacksache. Schlichter als die Hose ist kaum möglich, dass silbrige Firmenlogo muss man mögen, gestört hat es mich nicht. Interessant ist die feine Strukturierung der Beinpartien, die sicher ganz nach dem Motto „form follows function“ einem Zweck zukommt. Auch das Trikotdesign deutet darauf hin, dass man in Italien die Funktionalität über den Wow-Effekt bei der Einfahrt ins nächste Café gestellt hat. Besonders sind die nahezu transparenten Taschen (jedes Gramm zählt). Die Konkurrenz sieht also jederzeit wie viele Snickers noch in Reserve sind. 

Zu den Hard-Facts: Hose 155 g, Trikot 99 g, beides Größe S. Ich habe mir nicht die Mühe gemacht Vergleichswerte zu recherchieren. Es fühlt sich an wie „ein Nichts“ und nennenswert weniger wäre sowieso nur nackt möglich. Die 2 % Silber in Trikot und Hose sollen laut Hersteller antibakteriell wirken, die Wärmeableitung unterstützen, zur schnellen Trocknung beitragen und zudem vor Elektrosmog schützen. Punkte Zwei und Drei kann ich bestätigen aber dazu später mehr.

Das Gefühl eine zerknitterte Zeitung und keine Radbekleidung in der Hand zu halten ist wohl auf das beworbene Graphen-Garn zurückzuführen und ließ ernsthafte Zweifel bezüglich des Tragekomforts aufkommen. Am Reißverschluss wurde nicht gespart.

Die filigrane Ausführung ist sicher nicht die ideale Variante mit klammen Fingern – bei einem Sommertrikot jedoch keine Anforderung – aber die hochwertigste Schließe, die ich bei einem Radtrikot bisher nutzen durfte.


Rahmenbedingungen

Bevor ich zu meinen Erfahrungen mit dem Kit im Einsatz komme, sind ein paar Informationen zu den Grundvoraussetzungen sicher hilfreich. Meine 1,80 m mit 64 kg führen zwangsläufig bei der Größenauswahl von Radbekleidung zur Frage: Zu locker oder doch lieber zu kurz? Für einen perfekten Sitz am Oberkörper wäre Größe XS sicher die bessere Wahl gewesen. Die Länge bei S aber genau ausreichend. Für die Hosen bietet Q36.5 zur Lösung dieser Problematik Extra-Lang-Versionen an. Ich war mit S in Standardausführung hinsichtlich Länge und Sitz glücklich.

Zum Temperaturempfinden des Testers sei gesagt: Lange Handschuhe bei < 10 °C, Base-Layer bis 25 °C.

Die Hose

Die dünnen schlauchartigen Träger der Hose erfordern ein ordentliches Zurechtrücken vor dem Start, ansonsten schneidet das Material ein wenig in die Schulterpartie. Korrekt angelegt ist aber alles bestens und auch der aufrechte Gang nicht eingeschränkt. Beim Stopp am Straßenrand muss der Fahrer keine Bedenken haben das Material zu überdehnen.

Im Betrieb ist an erster Stelle der sehr angenehme Schnitt im Bauchbereich zu erwähnen. Kein unangenehmer Druck. Die Beinabschlüsse sitzen auch ohne erkennbare Gummierung hervorragend und Nähte in potenziell kritischen Bereichen sucht man vergeblich. Nur auf der Rückseite der Oberschenkel findet sich eine hervorragend verarbeitete Naht.

Der ansonsten durchgehende Stoff neigt beim Autor an keiner Stelle zu nennenswerter Faltenbildung und erzeugt eine leichte Kompression am Oberschenkel.

Das Polster hat mich auch über Fahrten > 5 h, bei Regen und nach dem Trocknen nach anfänglich nassen Wetterbedingungen überzeugt. Zum angepriesenen Thermomanagement der Hose lässt sich wenig sagen. Die optimierte Wärmableitung durch die Materialauswahl ist wohl eher ein Laborwert als subjektiv empfindbar. Auch bei hohen Temperaturen und erheblicher Schweißbildung hatte ich jedoch nie das Gefühl in einem klammen Polster zu sitzen. Die anfänglichen Bedenken hinsichtlich des Tragegefühls des papierartigen Stoffes stellten sich als unbegründet heraus.

Das Trikot

Das Schachbrettmuster ist kein Designaspekt, sondern auf die Struktur des Materials zurückzuführen. Bis auf die etwas lockere Schulterpartie (siehe oben) ist der Sitz sehr angenehm. Um ein aerodynamisch auf das letzte Watt optimiertes Trikot handelt es sich meiner unqualifizierten Einschätzung nach nicht. Die (transparenten) Taschen weisen für ein Performance-Trikot ein beachtliches Fassungsvermögen auf. Sodass auch nach eindeutiger Überschreitung der optisch vertretbaren Zuladung keine Defekte im Bereich der Nähte und kein Ausleiern festgestellt werden konnten.

Die erste Ausfahrt: Leichte Ernüchterung. Temperaturen von etwas über 20 °C. Von optimaler Belüftung und Ventilation nicht mehr oder weniger spürbar als bei den meisten anderen Trikots, die ich auch fahren durfte. Der Fehler lag jedoch beim Autor und nicht beim Hersteller.

In Kombination mit dem gewohnten Baselayer blieb erhoffte der Aha-Effekt aus. Weitere Testfahrten ohne Baselayer brachten hingegen den gewünschten Erkenntnisgewinn. Bei hohen Temperaturen fühlte sich das Trikot, mit seinem für eine Sommerausführung erstaunlich hohen Kragen, sehr luftig und angenehm an, ohne dabei in Abfahren zugig zu werden.

Für mich persönlich – als Freund der hohen Temperaturen – lag die eigentliche Überraschung jedoch im Tragekomfort bei geringeren Temperaturen und wechselnden Witterungsbedingungen. Bei kühleren Bedingungen ( < 18°C), nassen Straßen und kurzen Schauern war die Performance in der Anwendung ohne Baselayer (!) beeindruckend, was für  mich auf die hervorragende Feuchtigkeitsregulierung des Materials zurückzuführen ist. Eine trockene Graphen-Faser fährt sich bei 15 °C eindeutig angenehmer als ein klammes Übergangstrikot mit angeschwitztem Baselayer. Das gilt jedoch unter der Einschränkung von ein wenig Zug auf der Kette (oder mangelnder Form) und der dementsprechenden Betriebstemperatur des Körpers.

Fazit

Wer bereit ist das Geld auszugeben, bekommt bei den Italienern etwas geboten. Der Fokus liegt ganz klar auf der Performance, bei (für mich) trotzdem ansprechender Optik.

Die Verarbeitung wird dem hohen Anspruch des Herstellers gerecht. Die Hose ist hinsichtlich Tragekomfort und Polster über jeden Zweifel erhaben. Eine leichte Kompression und der minimale Materialeinsatz bei den Trägern sollen hier wertungsfrei Erwähnung finden. Das Trikot spielt seine Fähigkeiten nur ohne weitere Bekleidungslage aus, das aber über einen bemerkenswerten Temperaturbereich.

Kurz und bündig: Q36.5 liefert! Ich hatte nicht vor einen Werbetext zu schreiben – über den Verbleib des Kits stehe ich mit den Verantwortlichen in Verhandlung.

Infos auf www.q36-5.com