Tadej Pogacar hat sich in Zürich das Regenbogentrikot geholt. Er war der absolute Top-Favorit, lieferte ein beeindruckendes Rennen und siegte souverän. „Er ist der beste Fahrer der Welt und verdient, das Trikot zu tragen“, sprach Mathieu van der Poel aus, was wohl die gesamte Radsportwelt über Pogacar und das WM-Rennen denkt.
Die Leistung von Pogacar, der 100 Kilometer vor dem Ende den Angriff setzte und so die härtesten Konkurrenten abhängte, war beeindruckend, außergewöhnlich – eben typisch Tadej Pogacar. Es gibt auf diesem Planeten keinen Radsportler, der auch nur ansatzweise auf seinem Level fährt. Er dominiert bereits die gesamte Saison – Strade Bianche, Lüttich, Giro, Tour, WM. Alles Siege mit außergewöhnlichen Leistungen. Dieser WM-Sieg mit einer unfassbar frühen Attacke war die Krönung seiner Saison.
„Stupid Move“ ?
„It was not the plan, it was a stupid move„, sagte Pogacar nach dem Rennen und führte in Ruhe aus, dass er einfach seinem Instinkt folgte, als er 100 Kilometer vor dem Ende angriff. Das Bild des wilden, unberechenbaren und wenig kalkulierenden Pogacar gefällt den Fans, passt perfekt zum stets freundlichen und lockeren „Pogi“. Doch so ’stupid‘ war der Move bei der WM nicht. Klar, es war ein weiter Weg und bei Rennen dieser Distanz müssen alle Fahrer mit ihren Kräften haushalten, die eigenen Grenzen kennen – sonst lauert hinter dem nächsten Anstieg der „Mann mit dem Hammer“. Doch Pogacar kennt seine Grenzen. Er ist akribisch in der Vorbereitung, durchaus analytisch und keineswegs ‚dumm‘ was die Renneinteilung betrifft – auch wenn er im Rennen oft den vorher ausgegeben Plan korrigiert.
Er führt in der Pressekonferenz nach dem WM-Sieg gut aus, warum es für ihn kein Problem war, dass der Vorsprung zwischenzeitlich mal auf 35 Sekunden schmolz. „Ich war die ganze Zeit recht gut über die Abstände informiert. Sie (die Verfolger) machen an den Anstiegen Zeit gut, aber müssen sich danach erholen“, sagte Pogacar und verwies darauf, dass in einer Verfolgergruppe mit Favoriten meist keine Einigkeit herrscht. Pogacar legte kein unbedachtes Vollgas-Solo hin, sondern spielte seine außergewöhnlichen Fähigkeiten clever aus.
Geht man taktisch in die Analyse, so war der Angriff aus mehreren Gesichtspunkten clever. Pogacar hatte Jan Tratnik in der Gruppe davor, dazu seinen UAE-Teamkollegen und Freund Pavel Sivakov. Diese konnten Pogacar wertvolle Hilfe bieten. Zudem sorgte er mit seinem frühen Angriff dafür, dass er selbst nicht in eine defensive Position geriet, in taktische Spielereien gegen Van der Poel, Evenepoel und andere Fahrer. Denn sein Team war im Feld nicht mehr stark genug, alles zu kontrollieren. Angriff als Verteidigung ist hier vielleicht nicht die richtige Formulierung. Eher sorgte er dafür, dass es ein Rennen der Stärke wird, kein taktisches Spiel. Oder wie es Simon Geschke im Interview mit CyclingMagazine ausdrückte: „Wenn du Form hast, hast du Form“.
Es war kein Angriff ohne Risiko, denn hätte sich die Konkurrenz zusammengeschlossen und konsequent nachgesetzt, wäre es für Pogacar vielleicht eng geworden. Doch welcher der Favoriten will seine eigene Chance opfern, nur um Pogacar nicht gewinnen zu sehen? Eben. Nun trägt der mit Abstand beste Fahrer der Welt verdient das Trikot des Weltmeisters. Nach einem denkwürdigen Rennen, dass diesen überragenden Tadej Pogacar bestens beschreibt. An dieser Stelle ist die Radsportwelt im Gleichgewicht.