
1 | Wout gelingt (leider) wieder kein Sieg bei einem Pflaster-Monument
Das mit den Saisonthesen ist so eine Sache, natürlich sollen sie vor allem unterhaltsam sein, dabei etwas gewagt und doch nachvollziehbar. Manche lassen sich leicht und voller Überzeugung formulieren, bei einigen schwingt Vorfreude und Hoffnung mit. Bei anderen ist dies allerdings umgekehrt. Es ist so, dass ich Wout van Aert einen Sieg bei den Pflaster-Monumenten durchaus gönnen würde. Er war bereits nah dran, hat unbestritten die Klasse, beide Rennen zu gewinnen. Doch inzwischen ist er taktisch in einer ungünstigen Situation. So denke ich, verpasst er auch 2024 bei der Ronde und in Roubaix den Sieg.
Das gesamte Klassiker-Peloton weiß genau, worauf es Wout van Aert abgesehen hat. Der Druck von außen ist zudem enorm. Ein Belgier seiner Klasse muss die Ronde und Roubaix gewonnen haben, bevor er sich „Klassiker-Champion“ nennen darf. Seine Karriere ist unvollständig, solange diese Monumente fehlen. Im Rennen kann das von Nachteil sein. Denn die Konkurrenz macht sich gern zu nutze, ist einer der Top-Favoriten besonders motiviert und unter Druck. Das wird Wout van Aert zu spüren bekommen. Egal welches Team in die Offensive geht und eine Fluchtgruppe initiiert – ihm wird der Rest die Verantwortung für das Rennen und die Verfolgungsarbeit übertragen.
Für das Team Visma | Lease a Bike ließe sich dies taktisch nutzen, man könnte beispielsweise mit Christophe Laporte und Dylan van Baarle die Attacken mitgehen und sich dann vorn – mit Verweis auf Kapitän Van Art hinten – raushalten. So könnten diese Fahrer Kräfte sparen und davon profitieren – vielleicht dann selbst, statt Van Aert um den Sieg fahren. Doch das bedeutet dann für „WvA“, dass er nicht die Arme in den Himmel reckt – an dieses Rennen nicht den Haken machen kann.
Das gilt vor allem für die Flandern-Rundfahrt, denn Paris-Roubaix ist ein sehr spezielles Rennen, bei dem auch ein wenig Glück dazugehört. Doch auch beim französischen Pflaster-Monument spielt der Erwartungsdruck und die Teamtaktik eine Rolle. Meine These: Er verpasst bei beiden Monumenten den Sieg und muss 2025 einen neuen Anlauf nehmen.
Überprüfung
- Die These hielt stand, allerdings nicht wie erwartet. Van Aert bekam nach seinem schweren Sturz bei Dwars door Vlaanderen gar nicht die Chance, sich eines der Pflastermonumente zu holen. Hätte, wenn und aber kann man sich ersparen. Doch sicher ist, der Druck auf den Belgier wird im kommenden Jahr nicht geringer! So könnte man diese These für 2025 durchaus auf Wiedervorlage setzen.
2 | Pascal Ackermann wird zum Seriensieger und gewinnt eine Etappe bei der Tour
Pascal Ackermann hat einen Neustart vollzogen, ist zum Team Israel Premier-Tech gewechselt und will nun endlich sein Debüt bei der Tour de France feiern. Der 30-Jährige hat nach zwei schwierigen Jahren bei UAE nun wieder ein Wohlfühl-Umfeld – wie er selbst sagt. Bei Bora-hansgrohe reifte er zum Top-Sprinter, war extrem erfolgreich. Doch die Beziehung zwischen dem deutschen Team und dem deutschen Sprinter scheiterte. Der Schritt zu UAE mag in der Retrospektive nicht die beste Entscheidung gewesen sein. Für Ackermann war es dennoch eine wichtige Erfahrung. Erfolge feierte er auch im UAE-Trikot – beispielsweise beim Giro 2023. Doch der frühere Seriensieger konnte an die Zeit bei Bora-hansgrohe (bis ins Jahr 2019) nicht mehr anknüpfen.
Das neue Umfeld, was auf ihn setzt, die gesammelte Erfahrung, samt Rückschlägen und Schwierigkeiten, das neue Umfeld mit alten Wegbegleitern – all diese Dinge geben Ackermann Motivation und Vertrauen. Er will es noch einmal wissen, der Welt zeigen, was in ihm steckt. Mit etwas Glück zu Beginn, kommt „Ackes“ ins Rollen. So sehr, dass er mit breiter Brust und viel Vertrauen in Team und Leadout in die Tour de France startet. Dort, bei seiner langersehnten Premiere, schlägt er zu und holt den Etappensieg, der seine Karriere rund macht. Das zumindest, ist meine These.
Überprüfung
- Nein, hier lag ich falsch. Pascal Ackermann wirkte zwar wild entschlossen und zeigte sich vor allem auch auf der Schotter-Etappe sehr stark, doch zu einem Touretappensieg reichte es nicht. Auch mit den Seriensiegen wurde es nichts – kein einziger Saisonsieg gelang dem 30-Jährigen. Dafür hätte es sicher auch etwas mehr Glück gebraucht. Denn nach einem guten Saisonstart wurde sein Frühjahr schon im März beendet – Schlüsselbeinbruch nach einem Sturz bei der Classic Brugge-De Panne. Bitter. Zudem setzte sein Team oft auf andere taktische Ansätze. Für meine These spielt dies allerdings keine Rolle: Leider daneben!
3 | Klassiker-Königin Kopecky
Die Flandern-Rundfahrt hat sie gewonnen, den Omlopp Het Niewsblad hat sie gewonnen, Strade Bianche, Le Samyn, Nokere Koerse, Dwars door het Hageland ebenfalls. Im Jahr 2024 wird die Weltmeisterin weitere Eintagesrennen von ihrer Liste nehmen und sich selbst zur Klassiker-Königin krönen – im Velodrom von Roubaix. Etwas später als zuletzt will sie im Frühjahr den Form-Peak setzen – in Lüttich dann das Frühjahr beenden und anschließend für Olympia aufbauen – wo die vermutlich vielseitigste Fahrerin aller Zeiten sicher wieder sehr erfolgreich sein wird. Der Sieg bei Paris-Roubaix dürfte wohl ihr großes Ziel im April sein – doch beflügelt vom Triumph beim Pflasterrennen holt sich Lotte Kopecky auch in den Ardennen einen großen Sieg – wie eine echte Königin.
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- Es erscheint natürlich wenig mutig, eine Lotte Kopecky als Roubaixsiegerin auszurufen. Doch auch sie muss erst das Pflaster bezwingen, bis sie den Stein mit nach Hause nehmen kann. Hat sie! Zum großen Sieg in den Ardennen hat es dann zwar nicht gereicht – die Königin des Radsports ist sie dennoch – spätestens seit der Titelverteidigung bei der WM in Zürich.
4 | Roglic klettert erst am Schlusstag auf das Podium der Tour de France
Über die Roglic-Verpflichtung von Bora-hansgrohe wurde alles gesagt, auch in unserem CyclingMagazine Podcast. Roglic ist als Siegfahrer für die Tour geholt worden. Der Slowene hat nahezu alles gewonnen, außer die Tour de France. Doch das bleibt so. Das liegt nicht am neuen Team, das ihm eine herausragende Mannschaft bei der Tour an die Seite stellen wird. Es liegt an der übermächtigen Konkurrenz. Gegen Jonas Vingegaard in Top-Form hat Roglic wohl keine Chance. Dass Tadej Pogacar vor der Tour bereits den Giro fährt, spielt Roglic möglicherweise in die Karten – denn so wird ‚Pogi‘ bei der Tour eventuell nicht ganz sein Top-Niveau erreichen. Vielleicht.
Roglic braucht eine fehlerfreie Tour de France, muss seine Chancen zu 100% nutzen, um das Podium anzugreifen. Auch Fahrer der zweiten Reihe, wie Tao Geoghegan Hart, Remco Evenepoel, Simon Yates, Sepp Kuss oder Geraint Thomas lassen sich nicht so einfach bezwingen. Und dann rücken noch einige junge Fahrer eindrucksvoll nach – beispielsweise Juan Ayuso, João Almeida und Carlos Rodríguez.
Um auf Sieg zu fahren, muss Roglic gegen Vingegaard, Pogacar und vielleicht auch Evenepoel angreifen, Risiken eingehen. Aber er darf dabei keine Fehler machen, muss Stürzen aus dem Weg gehen und nicht in die Defensive geraten. Will man die Tour de France gewinnen, muss alles klappen – erst Recht, gegen stärkere Konkurrenz. Dies erzeugt Druck, der durch die Tatsache größer wird, dass Primoz Roglic wohl nur noch wenige Anläufe bleiben, um mit dem Toursieg seine sehr erfolgreiche Karriere zu komplettieren. Mit diesem Druck im Gepäck die nötige Lockerheit zu bewahren, ist eine enorme Herausforderung.
Meine These: Primoz Roglic wird es nicht gelingen, eine fehlerfreie und perfekte Tour de France abzuliefern, die ihm den Sieg bringt. Doch er wird eine gute Tour de France bestreiten und sich beim Zeitfahren zum Abschluss einen Platz auf dem Treppchen sichern.
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Diese These war mutig – und sie ging daneben. Primoz Roglic stürzte einmal zu oft und schied bei der Tour früh aus. Er rehabilitierte sich zwar mit dem Vueltasieg, doch für meine These bedeutet dies – nix wars!
5 | Mads Pedersen holt sein erstes Monument
Zwei Mal schon stand er bei der Flandern-Rundfahrt auf dem Podium. Ganz nah dran, am Sieg bei der Ronde, war er aber nicht. 2018 war der unglaublich starke Niki Terpstra enteilt und 2023 Sieger Tadej Pogacar mehr als eine Minute voraus. Die Flandern-Rundfahrt ist wohl das Frühjahrsmonument, welches für Pedersen am schwersten zu gewinnen ist. Der Parcours ist für ihn, als eher schwereren Fahrer, vielleicht etwas zu anspruchsvoll. Doch mit seiner Klasse ist auch dort ein Sieg möglich, wenn das Rennen ideal für ihn läuft.
Größer dürften seine Chancen bei Mailand-Sanremo und Paris-Roubaix sein. Über die „Capi“ auf dem Weg nach San Remo kommt er immer besser, ist zudem sehr endschnell. Da gibt es einige Szenarien, wie Mailand-Sanremo für ihn zur Triumphfahrt werden kann. Bei Paris-Roubaix war er 2023 einer der Stärksten, auch wenn es nicht fürs Podium reichte. Viel fehlte dort nicht, um bis zum Ende um den Sieg mitkämpfen zu können.
Mads Pedersen ist nun 28 Jahre alt, hat reichlich Erfahrung und erreicht vermutlich bald seinen Leistungszenit. Er ist bereit, für sein erstes Monument – drei Chancen hat er in diesem Frühjahr, eine wird er nutzen!
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- Wenige hundert Meter vor dem Ende von Mailand-Sanremo war ich fest davon überzeugt, dass sich diese These schon beim ersten der drei Chancen erfüllt. Doch Pedersen fehlte am Ende der Punch – „nur“ Rang vier bei der Primavera. Bei der Flandern-Rundfahrt war er nach dem Sturz bei Dwars door Vlaanderen nicht in der Verfassung, um Mathieu van der Poel in Bedrängnis zu bringen. Bei Paris-Roubaix landete er auf dem Podium, war auch dort gegen Van der Poel – den Mann des Pflaster-Frühjahrs – ohne Chance. Zwar zeigte Pedersen ein gutes Frühjahr, konnte Van der Poel bei Gent-Wevelgem im Sprint bezwingen – doch einen Sieg bei einem Monument jagt der Ex-Weltmeister noch immer. Ob ich diese These für 2025 wieder aufwärme, muss ich mir gut überlegen.