Saisonthesen auf dem Prüfstand: Lag Jörg Ludewig mit seinen Thesen für 2024 richtig?

Zu Beginn der Saison haben wir die Thesen einiger Radsportexperten eingesammelt & diese kommen nun auf den Prüftstand – hier die von Ex-Profi, Eurosport/GCN-Experte und Alpecin Head of Sportmarketing Jörg Ludewig.

1 | Tadej Pogačar gewinnt das Double aus Giro & Tour

Nachdem Tadej im letzten Jahr das gesamte Frühjahr gerockt & quasi im Dauermodus angegriffen hat, beginnt er seine Saison 2024 nun einen Tick konservativer und konzentriert sich erstmal auf den Giro. Mit der Motivation des Giro-Sieges holt er sich dann im Sommer das Double aus Giro & Tour – weil alles, was im letzten Jahr daneben ging, dieses Mal mit nem Tick mehr Ruhe und Souveränität klappt. Ich mag den Kerl einfach gern. Er ist sichtbar. Er ist nahbar – ein Star zum Anfassen; vielleicht ist mein Wunsch auch mehr der Vater des Gedanken aber ich denke nach wie vor, dass ‚Pogi‘ den krassesten Motor von allen GC’lern hat & solch eine Belastung aufgrund seiner Konstitution verkraftet. Und wenns heutzutage einer packt, dann er. Sein Team steht Visma Lease a Bike, INEOS und Bora-hansgrohe in nichts nach. Durch das Wechsel Karussell gibt’s insgesamt mehr Breite bzgl. der GW-Favoriten & auf der Gravel-Etappe kann er die Tour mit etwas Glück, seinem Können & seinem Auge für die Rennsituation für sich entscheiden.

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  • Check. – Wow! Was für eine Saison! Ich kann gar nicht aufhören, meinen Hut zu ziehen. Dass Pogi, dieser sympathische, nahbare Typ, seinen Ansagen Taten folgen ließ UND sogar noch den Weltmeistertitel draufgesetzt hat, beeindruckt mich, und wahrscheinlich alle anderen auch, zutiefst. Sechs Etappensiege bei der Tour, sechs beim Giro. Nur einen Tag NICHT in Rosa. Schlechteste Saisonplatzierung in einem Eintagesrennen: Platz sieben in Québec. Muss man mehr sagen?  Er hat einfach alles gegeben und gezeigt, warum er zu den Besten der Besten gehört. Hut ab, Pogi!

2 | Team Visma-Lease a Bike gewinnt dieses Jahr keine Grand Tour

Nach dem fantastischen Jahr 2023 wird es bei Visma Lease a Bike 2024 eine Umkehr geben.
Giro & Tour-Sieg sind bereits durch Pogi vergeben 😊 – und Roglic holt sich den Vuelta-Sieg, nachdem er bei der Tour hinter Pogi und Vingegaard Dritter wird. Dafür gewinnt WvA allerdings endlich die Rennen, von denen er immer geträumt hat. Ergo alles andere als schlecht fürs niederländische WT-Tour; aber anders.

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  • Check. (Ein blindes Huhn findet wohl auch mal ein oder zwei Körner. Nachdem ich im letzten Jahr mit den Thesen nicht immer ganz richtig lag, nun immerhin der zweite Treffer.) Zugegebenermaßen war es – nach der fantastischen Saison von Visma-Lease a Bike in 2023 – auch kaum möglich, die Saison noch einmal zu toppen. Die Entwicklungen im Radsport sind einfach manchmal unberechenbar. Und genau das macht diesen Sport so faszinierend. In einem Jahr Top, im nächsten Jahr überholt. Klar, der schwere Sturz im Baskenland von Vingegaard und Co. hat die Spannung aus der Tour leider ein wenig früher rausgenommen, als erhofft. Es war toll zu sehen, dass Jonas trotzdem auf diesem hohen Niveau zurückgekommen ist. Ich hoffe, dass er weiter den Radsport bereichern wird und im kommenden Jahr im Vollbesitz seiner physischen und vor allem mentalen Kräfte einen spannenden Kampf gegen Pogi bietet. Und damit einhergehend Visma dann auch wieder als Top-Konkurrent zu UAE in den Rennen ist. Und dann muß INEOS bei dem Budget ja auch mal wieder aus den Hufen kommen…. schauen wir mal.

3 | Wout van Aert wird Olympia-Sieger und Weltmeister

Wout macht, nach soooo vielen zweiten Plätzen im vergangenen Jahr, 2024 zu „seinem Jahr“! Er konzentriert sich auf 5 große Rennen & gewinnt 4 davon, wird Olympiasieger & sogar noch Weltmeister.
Mathieu van der Poel ist nach seiner verrückt-erfolgreichen CX-Saison etwas müde & kommt nach einem 2023 mit unzähligen Highlights nicht früh genug wieder in die absolute Spitzenform, um die Klassiker wie zuvor zu dominieren. Er gewinnt aber ein Monument und dieses Jahr auch wieder eine Tour-Etappe, holt Bronze in Paris -> aber muss mit 29 Jahren – wie selbst bereits zuvor eingeschätzt – erkennen, dass die Kombi aus CX, MTB & Road innerhalb eines Jahres auf allerhöchstem Niveau schwer zu vereinbaren ist.

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  • Nicht ganz. Schade! Erst im Frühjahr dieser heftige Highspeed-Sturz bei Dwars door Vlaanderen und dann als Führender in Berg- und Punktewertung aus der Vuelta raus. Eine Saison zum Vergessen. Man darf & muss aber drauf hinweisen, dass WvA allein bei Straßenrennen 9 Mal – und ehrlich gesagt auch zum größten Teil selbstverschuldet – gestürzt ist; warum auch immer. Zwar waren Mathieu im Frühjahr und Remco in Paris wirklich stark und hätten vielleicht auch gegen einen Wout in Top-Form geglänzt; aber am Ende wollen wir doch immer die Besten in Top-Form gegeneinander fahren sehen. 

4 | Puck Pieterse gewinnt ein Monument

Puck soll sich laut den Roodhoofts (Anmerk.: die Teamchefs der Fenix-Deceuninck und Alpecin-Deceuninck-Teams) in Vorbereitung auf das MTB-Rennen der Olympischen Spiele zunächst mehr auf die Straßensaison konzentrieren. Nachdem sie im Jahr 2023 bereits 5. bei Strade Bianche wurde, holt sie sich dieses Jahr ihr erstes Monument!

Und hier möchte ich meine These noch erweitern: Puck ist ein so nahbarer Superstar, egal auf welchem Reifenprofil – durch ihre Offenheit, Empathie & Passion wird sie zum Vorbild einer ganzen Generation an FemalePros.

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  • Fast. Zwar kein Monument, aber einen Etappensieg bei der Tour de France Femmes und U23-Road-Weltmeisterin. Eine super Straßensaison. Dann holt Sie sich noch den Gesamt-WC im MTB der Lady-Elite….!!!! Das Monument wird ergo auch nicht mehr lange auf sich warten lassen. Davon bin ich überzeugt. Und auch der Frauenradsport hat insgesamt wahnsinnige Rennen geboten, auf einem noch nie gebotenen Level. Dieser Zuschauerzuspruch, WOW, gigantisch..! Wie “geil” – anders kann man es nicht sagen – war dieses Tour de France Femmes GC-Duell zwischen Demi & Kasia – eine Werbung für den Sport! Und nicht nur den Frauenradsport.

5 | Die Jungen Wilden & kein Ende

Durch Trainingsmethodik & neueste Analytik, KI & Scouting auf nie da gewesenem Niveau wird sich der Trend fortsetzen und wir auch 2024 mehr & mehr Sieger der ‚GenZ‘ sehen. Ayuso, Lamperti, Magnier, Torres – es geht munter weiter mit den ‚Jungen Wilden‘. Wir werden uns zudem schnell an ganz neue Namen gewöhnen, die kometenhaft aufsteigen und dabei vielleicht auch für ein neues Publikum zu Idolen reifen.

Durch Netflix und RedBulls’ Media-Touchpoints kommen Contentformate hinzu, die ein ganz neues Fan-Klientel hervorbringen werden. Ich hoffe, dass wir bei Eurosport & Discovery+ auch zeitnah bereits vorhandene Daten live bereitgestellt bekommen, die ohnehin vorhanden sind. Gut aufbereitet „& serviert“ könnte das für Radsportfans ein toller Mehrwert sein. Ich verstehe dabei die Teams, die das eher nicht wollen. Aber wenn damit das ‚große Ganze‘ wächst, Fans & Sponsoren generiert werden, sollte man das Thema Daten mit offenem Visier angehen & zumindest die Daten eines Fahrers jedes Teams bereitstellen.

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  • Tja, wer ist eigentlich heutzutage im “modernen Radsport noch Jung?”  Die jungen Wilden waren da. Waren sichtbar. Haben hier und da gezeigt, was sie drauf haben und welches Potential noch in ihnen steckt. Ein Remco holt das Weiße Trikot der Tour de France – sehen wir den überhaupt noch als “jungen Wilden”???  Del Toro hat überzeugt, aber am Ende gewinnen halt auch nur 3 Fahrer die 5 Monumente….Und wie erwartet hat die Saison auch neue Gesichter in die öffentliche Wahrnehmung gerückt, wie zum Beispiel Niklas Behrens. Wenn der Kerl gesund bleibt, brennt der Asphalt, was ein U23-Finale der WM. Aber die Saison hat auch gezeigt, dass gerade bei den jüngeren Fahrern in der Entwicklung noch ein paar Schwankungen sind. Trotz neuester Erkenntnisse in der Trainingswissenschaft und KI-Auswertungstools, müssen sowohl Körper wie auch Geist mitspielen.