Das Team Red Bull-Bora-hansgrohe war mit einem großen Ziel in die Saison 2024 gegangen: Neuzugang Primoz Roglic sollte bei der Tour de France um Gelb kämpfen. Sehr hohe Ziele auszugeben und diese mutig zu formulieren war beim deutschen Team zuletzt normal. Einige sehr hoch gesteckte Ziele erreichte man in den vergangenen Jahren – beispielsweise den ausgerufenen GrandTour-Sieg durch Jai Hindley beim Giro 2022. Nicht so in dieser Saison. Der neu verpflichtete Top-Star, der dem Team die Möglichkeit des Toursieges verschaffen sollte, stürzte früh im Rennen und schied aus. So blieb ausgerechnet das Jahreshighlight ohne große Erfolge. Und das mit Neu-Eigner Red Bull auf dem Trikot. Das Team war ins Risiko gegangen – Alles bei der Tour für Roglic. Der Plan ging nicht auf.
Doch mit dem Sieg bei Vuelta rehabilitierte man sich und rettete die Saison. Denn zwar gewann man im Juni das Critérium du Dauphiné und holte Tagessiege bei Paris-Nizza – aber ohne die Vuelta-Erfolge wäre es am Ende der Saison bei mageren acht Erfolgen auf WorldTour-Level geblieben, den Gesamtsieg bei der Dauphiné eingerechnet! Inklusive nationaler Meistertitel stehen am Ende der Saison insgesamt 24 Siege zu Buche – das ist sehr ordentlich. Der starke Giro mit Gesamtrang zwei durch Daniel Felipe Martinez ist zwar eine großartige Leistung – doch das Team hat andere Ziele mit großer Priorität ausgegeben und daran müssen sie sich messen lassen. Durch den krassen Fokus auf die Tour und die klare Kommunikation des großen Zieles, rückt dann auch bei der Saisonbewertung ein super Giro in den Schatten.
Klassiker – eher dabei, als mittendrin
Die Wandlung des Teams von der „Sagan-Equipe“ zur Rundfahrten-Mannschaft ist längst vollzogen. Nach dem Abgang von Nils Politt spielte man im Frühjahr bei den Klassikern kaum mehr eine Rolle. Die endschnellen Danny van Poppel und Jordi Meeus sorgten für ordentliche Ergebnisse, die Rennen prägten aber andere Teams. Rang drei durch Meeus bei Gent-Wevelgem ist hervorzuheben, auch sein achter Rang in Roubaix. So sind die Resultate am Ende solide – das Auftreten im Vergleich zu früher aber ganz anders. Auf den Klassikern lag wenig Priorität – mal schauen, ob sich dies nun wieder ändert. Die Neuverpflichtungen lassen dies erwarten.
Talente – „Lipomania“ und mehr
Schaut man auf das Durchschnittsalter der Mannschaften, gehört Red Bull-Bora-hansgrohe zu den älteren Teams. Dennoch hat man zuletzt auch immer wieder junge Fahrer integriert. In der Betrachtung der Saison 2024, wird man mit der Entwicklung der Talente sehr zufrieden sein. Vor allem mit Florian Lipowitz! Der 24-jährige Quereinsteiger machte einen mächtigen Sprung, fuhr als Helfer bei der Vuelta auf Gesamtrang sieben und stellte mehrfach sein Potenzial unter Beweis. Klar, Lipowitz muss noch einiges lernen, aber sein Potenzial ist beeindruckend. „Bietet man ihm ein Umfeld, in dem er lernen kann, lässt man Fehler zu, hilft man ihm dabei, dass er aus diesen lernt und trägt er weiter auch selbst dazu bei, dass er voran kommt, dann ist das Ergebnis dieses Prozesses offen„, schrieben wir an anderer Stelle.
Zudem wird man im Team auch die Entwicklung von Giovanni Aleotti mit großer Freude verfolgt haben. Aleotti kam jung ins Team und machte langsam aber stetig Entwicklungsschritte. Nun ist er mit 25 Jahren zu einer echten Stütze für die Kapitäne und einem sehr wertvollen Helfer bei den großen Rennen gereift. Zudem bei den kleineren Rennen selbst erfolgreich!
Veränderungen, Kritik und Herausforderungen
Die Saison 2024 war insgesamt solide, auch wenn man die hoch gesteckten Ziele nicht erreichte. Der große „Red-Bull-Effekt“ soll in der Zukunft sichtbar werden. Mehr Geld, für Fahrer, aber vor allem Infrastruktur. Die Budget-Lücke zu den Top-Teams ist geschlossen, nun will man nachziehen, in Sachen Performance. Ob Geld Tore schießt, kann man diskutieren, ob Geld Radrennen gewinnt ebenso. Das Team UAE hat mit fettem Budget eine Mannschaft geformt, die ihren Top-Star übermächtig und unantastbar erscheinen lässt. Doch es gibt andere Mannschaften, die mit weniger Budget ebenfalls sehr erfolgreich sind und wieder andere, die trotz viel Geld keine Führungsrolle (mehr) spielen. Es scheint also mehr nötig zu sein, als „Geld ohne Ende“, um Erfolge zu feiern. Auch bei UAE. Nils Politt war in diesem Jahr sehr deutlich anzumerken, wie wohl er sich bei UAE fühlt. Wie er die Wertschätzung genießt, die ihm entgegengebracht wird. Ein lockerer Umgang, kein Klima von Druck und Angst geprägt. Natürlich hängen Erfolge und Stimmung in einer Mannschaft eng zusammen.
Red Bull-Bora-hansgrohe hat sich sehr stark verändert. Ralph Denk ist sehr ehrgeizig, hat viel erreicht und will die letzte Lücke in seinen Teamchef-Palmares schließen. Doch der Toursieg scheint mit dem aktuellen Personal gegen Pogacar und Vingegaard kaum möglich. Die Verpflichtung von Remco Evenepoel zur Saison 2025 wird offenbar noch nicht gelingen. Dafür hat man an anderer Stelle Personal verpflichtet, was einen Schritt nach vorn verspricht – beispielsweise Dan Bigham als Head of Engineering.
Dank des fetten Budget des Brauseherstellers werden die Rahmenbedingungen geschaffen, ganz oben anzugreifen. Umsetzen müssen es dann aber die Fahrer. Teamgefüge, Selbstvertrauen, Kommunikationskultur, Miteinander, … neben Watt/Kg, Regenerationsroutine und cW-Wert beeinflussen viele Dinge die Leistung eines Radteams, die man nur schwer mit viel Geld verbessern kann. In einigen dieser Bereich scheint es ebenfalls mächtig Verbesserungsbedarf zu geben. Schachmann, Buchmann, Kämna, Haller, Gamper – eine ganze Reihe von Fahrern verlässt das Team, die für den Aufstieg der Mannschaft standen und Aushängeschilder waren. Einige von ihnen zeigen sich enttäuscht von der Entwicklung der Mannschaft, einige üben offen Kritik, wie beispielsweise Sergio Higuita, der mit seiner Kritik an der medizinischen Betreuung nicht allein dasteht. Der Fall Max Schachmann geht in die gleiche Richtung. Bei Buchmann kam es zum offenen Bruch, auch bei Kämna schien es schon länger so, als gäbe es keine gemeinsame Zukunft. An vielen Stellen scheint vor allem das Miteinander verbesserungswürdig.
Wo geht es also 2025 hin, für das deutsche Team mit dem fetten Budget? Wachsen Flügel und sie heben ab, oder braucht der Prozess des Fliegen-Lernens mehr Anlauf oder einen anderen Spirit? Spätestens nach der Tour de France 2025 wird sicher auch der neue Eigentümer eine Bilanz erheben. Was deren Zielsetzung ist, scheint klar: Medienwirksam gewinnen, am besten immer und überall.