Grischa Niermann steckt Mitte November bereits in den Vorbereitungen auf die Saison 2025. „Wir haben viele Hausaufgaben mitbekommen“, sagt Niermann trocken, auf die Erkenntnisse aus der Saison 2024 angesprochen. Nüchtern und analytisch blickt Niermann zurück – typisch für den 49-Jährigen. „Insgesamt ist die Saison nicht so gelaufen, wie wir uns das vorgestellt haben. Klar, wir hatten viel Pech, sind zudem auch auf überstarke Gegner getroffen. Restlos zufrieden sind wir mit der Saison 2024 aber nicht“.

Zu den angesprochenen „Hausaufgaben“ gehört auch die Analyse der abgelaufenen Saison. „Natürlich setzen wir uns im Management zusammen, evaluieren und schauen, was wir besser machen können. Bezogen auf 2024 gibt es schon einige Knackpunkte. Allen voran die Stürze von Wout (Van Aert) und Jonas (Vingegaard) im Frühjahr. In den vergangenen Jahren waren wir immer mal wieder von Stürzen geplagt und da muss man analysieren, ob das einfach nur Pech ist, oder noch mehr dahinter steckt. Jeder Sturz hat natürlich seine eigene Geschichte, aber wenn es gleichzeitig mehrere deiner absoluten Top-Fahrer betrifft, dann fällt das mehr ins Gewicht, als wenn ein Helfer ausfällt“, so Niermann. Van Aert verpasste die wichtigen Pflaster-Monumente im April und Jonas Vingegaard fiel in der Tour-Vorbereitung lange aus.

Beim großen Saisonhighlight im Juli war Vingegaard nicht in der Lage mit Tadej Pogacar mitzuhalten. „Es war wirklich so, dass wir uns 2-3 Wochen vor dem Grand Depart nicht sicher waren, ob wir Jonas zur Tour schicken, oder nicht. Er ist dann eine grandiose Tour gefahren, trotz nicht optimaler Vorbereitung und hat auch uns von der Teamführung mehrfach im Rennen mit seiner Leistung überrascht.“

Gegen den übermächtigen Pogacar war der Däne aber chancenlos. „Man muss ganz klar Respekt zollen, für seine Leistung. Tadej (Pogacar) hat eine Saison abgeliefert, wie es sie wohl niemals zuvor im Radsport gab“, sagt Niermann ruhig. Vor allem die Konstanz der Top-Leistungen beeindruckte. „Ich war schon überrascht, auf welch hohem Niveau er das ganze Jahr gefahren ist, auch im Herbst, wo er jedes Rennen dominiert hat. Wenn man auf die Lombardei-Rundfahrt schaut, da gab es sicher einige Teams, die genau wussten wo er angreifen wird. Alle wussten, was passiert, aber keiner konnte es verhindern.“

Visma Plan für die Tour de France 2025

Das Aufgabe für Visma | Lease a Bike ist es nun, einen Weg zu finden diesen übermächtigen Pogacar zu bezwingen. „Wir haben schon ein paar Ansatzpunkte gefunden und glauben daran, dass Jonas mit optimaler Vorbereitung stärker ist, als er es in diesem Jahr war. Annähernd so gut wie Tadej es in diesem Jahr gewesen ist. Ob man ihn dann bezwingen kann, ist natürlich eine andere Frage. Man muss sicher davon ausgehen, dass Tadej über Jahre auf diesem Niveau ist“, so Niermann über die Aussichten für die Zukunft.

„Man muss es klar sagen: Er (Pogacar) ist der beste und kompletteste Fahrer der Welt. Mit Jonas aber haben wir eine Nische gefunden, wenn man die Tour de France als Nische bezeichnen kann, wo man Pogacar schlagen kann. Dabei können wir nur auf uns schauen, versuchen uns zu verbessern und mit optimaler Vorbereitung, der bestmöglichen Mannschaft und einem perfektem taktischen Plan ins Rennen zu gehen. Wofür das dann reicht, wird man sehen“, so Niermann.

Der Blick auf die Strecke Tour de France 2025 erfreut Niermann. „Das ist eine super Strecke für Jonas„, sagt Niermann bestimmt. „Das heißt aber nicht, dass es keine gute Strecke für Tadej (Pogacar) ist“, schiebt er mit einem Lachen nach. „Wir schauen auf unsere eigenen Stärken und analysieren, wie wir das Rennen gewinnen können. Die Frage ist, wo man Pogacar Zeit abnehmen kann. Genau danach gilt es jetzt zu suchen. Dass Jonas die langen und schweren Etappen entgegenkommen, wissen wir. Aber Tadej liegt jetzt nach der Streckenpräsentation ganz sicher nicht wach vor Sorge. Auch die erste Woche mit den kurzen Bergauf-Ankünften sind ganz sicher auch kein Nachteil für ihn. Wenn wir auf die Tour 2024 schauen und das Fazit ist, dass er überall der Stärkste ist, dann wird es schwer ihn zu schlagen. Unser Plan kann es sein, mit einem in der Breite möglichst starken Team bei der Tour am Start zu stehen und einen Überraschungsmoment zu nutzen. Doch bis zur Tour ist es noch ein sehr langer Weg und unsere Vorbereitungen haben gerade erst begonnen.“

Neue Rolle für Niermann – mehr Verantwortung

Den Weg zur Tour de France wird der langjährige Sportdirektor Merijn Zeeman nicht mehr gemeinsam mit Niermann bestreiten. Der Niederländer verlässt das Team und wechselte zum Fußballclub AZ Alkmaar. Das Team Visma | Lease a Bike baute die Führungsebene um. „Wir haben eine gute Lösung gefunden“, sagt Niermann. „Für mich bedeutet es, dass ich noch mehr Verantwortung übernehmen muss.“ Im Management-Team ist Niermann für das WorldTour-Team der Männer verantwortlich, muss nun auch Aufgaben übernehmen, die zuvor Zeeman erledigte. „Es bedeutet für mich, dass ich mehr Vertragsverhandlungen führen muss. Nun ist es nicht so, dass ich vom Coachen bei den Rennen Abschied nehmen muss, aber ich werde das wohl etwas zurückschrauben müssen“, so Niermann. Einige Aufgaben wird dann wohl der Sportliche Leiter Marc Reef übernehmen.

Was die Tour de France anbetrifft bleibt aber Niermann in der Verantwortung. „Ja, das mache ich weiter so. Insgesamt etwas weniger Tätigkeiten als Sportlicher Leiter, aber die Tour de France werde ich weiter federführend machen.“ Die Etappen in Nordfrankreich hat sich Niermann noch nicht angeschaut, doch das wird ganz sicher folgen. Über einen möglichen Rennplan von Jonas Vingegaard bis zur Tour de France, oder ein potenzielles Tour-Team ist noch nichts bekannt und will Niermann nichts verraten. „Bis zur Teampräsentation müsst ihr euch gedulden, dann werdet ihr sicher mehr erfahren“, sagt Niermann mit einem Lachen. Bis dahin hat er sich vielleicht auch schon die Etappen in Nordfrankreich angeschaut.