Schon beim Grand Depart der Tour de France machten Gerüchte die Runde – das deutsche Conti-Team Lotto Kern-Haus PSD Bank und die britische WorldTour-Equipe Ineos Grenadiers würden eine gemeinsame Zukunft planen. „Konkret wurde es erst am zweiten Ruhetag der Tour“, stellt Lotto-Kern-Haus-PSD-Bank-Teamchef Florian Monreal klar. „Da hatten wir einen Videocall mit Christian Knees, Scott Drawer und Carsten Jeppesen vom Team Ineos Grenadiers. Ich habe ihnen unser Projekt vorgestellt und aufgezeigt, was wir bieten können.“
Im Annäherungsprozess spielte Ex-Profi Knees eine besondere Rolle. „Christian und ich waren immer in Kontakt, hatten ja schon mit Kim (Heiduk) einen Fahrer, der von uns zu Ineos wechselte. Ich habe bei Christian dann vor ein paar Monaten mal nachfragt: Was macht ihr nächstes Jahr? Dann kam es ins Rollen.“
Nach dem Gespräch im Juli ging es recht schnell. Es gab ein weiteres Gespräch und ein Treffen in Kopenhagen. „Knapp vier Wochen später war der Staab bei uns in Weitersburg und sie haben sich den Service Course angeschaut“, sagt Monreal und lacht. „Das sind bekanntermaßen bei uns zu Hause in zwei Garagen. Sie haben sich auch das Appartement angeschaut, wo die Fahrer schlafen können“, so Monreal. „Die Kommunikation lief von Beginn an super und man hat gemerkt, dass es beide Seiten vorantreiben wollen.“
Stark involviert war direkt auch Torsten Schmidt, der Sportlicher Leiter bei Lotto Kern-Haus PSD Bank. „Er hatte direkt Meetings mit den Coaches von Ineos in den Niederlanden und es wurde schnell auch der Rennplan besprochen„, erklärt Monreal. Auch bei den Agenten sprach sich die neue Kooperation schnell rum und viele suchten direkt Kontakt. „Der Buschfunk funktionierte bei der Tour schnell. Da haben mich direkt schon drei Agenten, die ich vorher nur vom Hörensagen kannte, angerufen und sich vorgestellt. Sie wollten mir direkt Fahrer vermitteln“, so Monreal.
Eckpunkte der Kooperation
Die Gedanken hinter der Kooperation sind nachvollziehbar. Ineos kann jungen Fahrer nach den Junioren einen Zwischenschritt bieten. Für Monreal bietet die Kooperation die Chance, vom großen WorldTour-Team zu profitieren und Einladungen zu wichtigen Rennen zu erhalten. „Jedes Team will natürlich das größte Talent finden, aber es gibt viele Junioren, die sind noch gar nicht bereit für die WorldTour. Einige glauben zwar, sie sind der nächste Remco, weil sie ein Rennen gewonnen haben, dass der damals auch gewann, aber Fahrer wie Remco gibt es eben nur ganz, ganz wenige“, sagt Monreal.
Wer den Sprung nicht direkt in die WorldTour schafft, nimmt den Weg über die U23-Klasse. Dabei geht es vor allem um die Entwicklung der Sportler, aber auch darum, dass sie weiter erfolgreich sein können. „Den Jungs fehlt es noch an einigen Skills und daran wollen wir gemeinsam arbeiten. Unsere Aufgabe ist es, die Jungs dahin zu entwickeln, dass sie nach ein, zwei oder vielleicht auch drei oder vier Jahren den Schritt in die WorldTour machen und dann bereit sind, dort Rennen zu gewinnen„, erklärt Monreal.
„Die Fahrer sollen Siegfahrer bleiben, lieber in der U23 erfolgreich fahren, als in der WorldTour Gefahr zu laufen, das Siegen zu verlernen“, sagt Monreal und betont, wie schwer es viele Junioren haben, wenn sie direkt in die WorldTour aufsteigen. „Remco ist da schon sehr besonders! Wenn wir mit der deutschen Brille draufschauen, dann haben wir da einen Marco Brenner, der in den Junioren ebenfalls extrem erfolgreich war. Der ist nur zwei Jahre jünger als Remco, hat in diesem Jahr sein erstes Rennen gewonnen – in seiner vierten Profi-Saison. Marco hat jetzt eine gute Entwicklung genommen und wird künftig hoffentlich weiter erfolgreich sein, aber selbst bei einem großen Talent wie ihm brauchte es Zeit. Und es gibt eben auch Fahrer, die verlieren irgendwann das Gefühl, wie man Radrennen gewinnt.“
Reifeprozess
Im Zwischenschritt beim deutschen U23-Team sollen die Fahrer taktisch reifen, sich entwickeln und dann den Schritt zu Ineos Grenadiers gehen, wenn sie bereit für den Sprung in höchste Klasse sind. Möglichkeiten sich zu messen und zu zeigen gibt es auch als Devo-Team. „Wenn du beispielsweise bei einer Tour de Bretagne gewinnst, dann kannst du auch in der Lage sein, bei den Profis ein Rennen zu gewinnen. Oder wenn du bei der Weltmeisterschaft vorne fährst, wie es jetzt Niklas Behrens gezeigt hat. Es gibt durchaus Möglichkeiten für die Fahrer sich zu zeigen, wenn sie den Zwischenschritt U23-Klasse machen.“
Im WorldTour-Team müssten die jungen Fahrer direkt für die Kapitäne arbeiten. Der Druck ist immens, selbst bei einem Top-Team wie Ineos. „Für viele Fahrer bedeutet das logischerweise, dass sie keine eigenen Chancen bekommen. Und dann verlierst du vielleicht das Gefühl fürs Siegen – wie es sich anfühlt, ein Finale für sich selbst zu fahren“, so Monreal und schiebt nach: „Und man sollte nicht vergessen, viele Juniorenfahrer müssen erstmal die Basics lernen, wie ne Flasche vom Auto zu holen. Ich hab es selbst schon erlebt, dass ein Fahrer nach hinten zu uns ans Auto in der Kolonne auf Position neun kam, weil er nicht wusste, dass er die Hand heben soll. Auch um solche Sachen kann es gehen. Da sollte man nicht den Fehler machen, zu viel vorauszusetzen, sondern ihnen Hilfestellung bieten und sie Schritt für Schritt zu entwickeln, zur Not eben auch bei den Basics anfangen und dann in Sachen Taktik anknüpfen.“
Internationales Rennprogramm
Das deutsche Conti-Team hat den Status eines Development Teams, ob die Fahrer allerdings auch Einsätze in der WorldTour-Equipe bestreiten dürfen – wie das beispielsweise bei den Devo-Teams von DSM oder Red Bull der Fall ist – ist zum Zeitpunkt der Kooperations-Verkündung noch unklar. Da nicht die gleiche Betreibergesellschaft hinter den beiden Teams steht, ist dies nicht automatisch möglich. Man sei mit der UCI zu diesem Thema im Austausch. Für die Einladungen zu großen Rennen ist der große Partner aus der World Tour in jedem Falle hilfreich. „Für Rennen wie den Baby-Giro macht es das natürlich einfacher, da muss ich nicht drumrum reden“, sagt Monreal.
„Bei vielen Rennen werden gefühlt erstmal die 15 Devo-Teams genommen und dann kannst du dich glücklich schätzen, wenn du noch eine Einladung kriegst. Aber da kämpfen eben auch ganz viele Mannschaften drum“, so Monreal. Als Ineos-Partnerteam ist das anders. Auch, weil die Nachwuchsrennen die künftigen Top-Talente der großen Teams bei sich am Start haben wollen. Doch es geht nicht nur um die ganz großen Rennen. „Auch eine deutsche Rad-Bundesliga kann für einen Fahrer wichtig sein, um auch mal selber ein Finale zu gestalten, sich offensiv auszuprobieren. Attackiere ich noch mal einen Kilometer vorm Ziel und kann das Rennen gewinnen? Sowas bringt den Jungs ja auch Selbstvertrauen“, erklärt Monreal.
„Das ist stets mein Ansatz, wenn du international irgendwann mal auf die Mütze gekriegt hast, oder bist ein gutes Rennen gefahren, aber hast keine Platzierung mitgenommen, hat dich das Rennen dennoch weitergebracht. In der Bundesliga kannst dann die Rennhärte, die du international bekommen hast, ausspielen und sagen: So, ich kann jetzt das Finale gestalten, gehe auch mal ins Risiko. Auch das kann für den Entwicklungsprozess gut sein.“
„Schmidti“ als Sport-Koordinator
Um die sportlichen Themen kümmert sich Monreal selbst wenig, das macht der erfahrene Torsten Schmidt. „Torsten war dieses Jahr schon dazugekommen und er nimmt mir den sportlichen Part ab. Er hat sich um die Auswahl der Fahrer gekümmert, die jetzt nicht explizit von Ineos gekommen sind. Er macht die ganze Rennplanung, was die Fahrer betrifft. Obwohl jeder seinen eigenen Heimtrainer hat, schaut Torsten auch mit drauf, was die Jungs trainieren„, so Monreal. Bei den Fahrern, die von Ineos kamen, sei es etwas anders, aber auch dort sei Schmidt in enger Abstimmung mit den Coaches und den Scouts. „Ich haben den sportlichen Bereich komplett abgegeben. Bei mir liegt das administrative, in welches Hotel fahren wir ins Trainingslager und alles, was mit Kosten zu tun hat, Infrastruktur und diese Sachen. Der sportliche Bereich liegt bei Torsten.“
„Er (Schmidt) hat unglaublich viel Erfahrung, war viele Jahre in der WorldTour. Es wird auf seine Meinung Wert gelegt, das ist zu spüren. Torsten fliegt jetzt auch ins Trainingslager zu Ineos, um die jungen Fahrer, die direkt von Ineos kommen dort zu betreuen, nochmal sich näher kennenzulernen. Die Fahrer waren auch schon bei uns am Service Course, aber dass es wirklich eine Gemeinschaft wird, da ist schon etwas mehr nötig. Nach dem Trainingscamp von Ineos kommen sie dann direkt zum Team-Meeting nach Deutschland und dann trifft sich vor Weihnachten dann das gesamte Team“, sagt Monreal. Über den Rennplan der kommenden Saison will man erst später Details verraten.
Monreal glaubt daran, dass diese Kooperation auch für deutsche Nachwuchsfahrer ein Vorteil sein kann. „Sie können sich zeigen, haben die Chance sich einem Top-Team zu empfehlen. Es schafft einen gewissen Anreiz, also wenn man weiß, Ineos guckt zu.“ Dazu bringt das Team Ineos Grenadiers in die Kooperation auch Wissen ein, in Sachen Ernährung und Training. In Sachen Ausrüstung bleibt man unabhängig von der britischen Equipe. Für Räder, Klamotten und weitere Ausrüstungen werden eigene Partnerschaften geschlossen.
Die neue Kooperation hat dem Lotto Kern-Haus PSD Bank Team viel Aufmerksamkeit beschert. Die Social-Media-Kanäle haben direkt reichlich Follower hinzugewonnen. Nun soll es sportlich ebenfalls einen Ruck geben, man will vom Ineos-Know-How profitieren. „Wir haben in verschiedenen Bereichen Kontakt mit Ineos. Mit den Coaches, mit dem Management, mit dem Head of Performance, mit dem Head of Scouting, also ganz viele verschiedene Abteilungen und alle sind wirklich begeistert, dieses Projekt anzustoßen.“ Man versuche sich gegenseitig zu helfen. „Sie sagen auch, sie machen nicht alles richtig, können vielleicht auch noch was von uns lernen. Es ist etwas sehr Gutes, dass wir auf Augenhöhe miteinander reden„, so Monreal.
Dass Monreal die Aufmerksamkeit der neuen Zusammenarbeit genießt und große Hoffnungen mit der neuen Kooperation verknüpft ist zu spüren. Für den Radsport in Deutschland wünscht er sich auch für den Profibereich ein Team als Zwischenschritt. „Es wäre schön, wenn wir ein deutsches ProTeam hätten. Es gab in der Vergangenheit auch bei uns einige Fahrer, die das Potenzial hatten, Profi zu werden. Jakob (Geßner) oder Pierre (Keup) beispielsweise. Es fehlt ein wenig, sich auf der großen Bühne dauerhaft messen zu können, bei den .Pro oder den .1 Rennen – das fehlt uns in Deutschland.“
Einige Neuzugänge für 2025 hat das Team Lotto-Kern Haus PSD Bank bereits präsentiert. Der komplette Kader, Details zum Rennprogramm und zur Ausrüstung sollen bald folgen.