Als Florian Lipowitz im Sommer 2022 Stagiaire beim Team Bora-hansgrohe wurde, hatte der Ex-Biathlet erst drei Jahre Radsport-Erfahrung. Der Kontakt zum Profiradsport kam über Trainer Dan Lorang, ein folgender Leistungstest bescheinigte Lipowitz physiologisch herausragende Voraussetzungen. Im Konti-Team Tirol KTM Cycling sammelte Lipowitz Erfahrungen und die Zeit als Stagiaire war der endgültige Einstieg in den Profiradsport. Ab 2023 gehörte er zur WorldTour-Equipe und machte große Entwicklungsschritte – holte schon als Neo-Profi Siege. Die Saison 2024 dann der absolute Durchbruch auf WorldTour-Level – Podium bei der Romandie, Gesamtrang sieben bei der Vuelta – als Helfer für Sieger Primoz Roglic!

Lipowitz hat gezeigt, dass er auch über drei Wochen Leistung bringen kann, er die Regenerationsfähigkeit besitzt, um sich als Grand-Tour-Fahrer zu entwickeln. Doch ihm fehlen noch einige Skills, auch in Sachen Taktik und Renngestaltung. Kein Wunder, bedenkt man seine recht kurze Zeit im Radsport! In unseren Erkenntnissen zur Vuelta 2024 schrieben wir: „Bietet man ihm ein Umfeld, in dem er lernen kann, lässt man Fehler zu, hilft man ihm dabei, dass er aus diesen lernt und trägt er weiter auch selbst dazu bei, dass er voran kommt, dann ist das Ergebnis dieses Prozesses offen.

Das Team Red Bull-Bora-hansgrohe will Lipowitz die bestmögliche Entwicklungsvoraussetzung bieten. Während die deutschen Fans sich so schnell wie möglich ihren „Lipo“ als Tourkapitän wünschen, kennt man in der deutschen Mannschaft die Gefahren von zu viel Druck, Überlastung und zu großer Entwicklungserwartung sehr genau. So sieht der Plan für die Saison 2025 das Critérium du Dauphiné als großes Ziel vor.

„Wir müssen ganz behutsam rangehen“, Ralph Denk über Florian Lipowitz

Mehrdimensionale Kapitänserfahrung

Bei einem Fahrer, der als Helfer Gesamtsiebter der Vuelta wird, die Dauphine als großes Saisonziel zu erklären, wirkt zurückhaltend. Doch hier muss man den Hintergrund – seine Entwicklung – berücksichtigen. Lipowitz hat wenig Erfahrung damit, eine Mannschaft zu führen. Bei seinen Siegen bei der Czech Tour und der Sibiu Tour war sein Team der Konkurrenz überlegen und dies ist nicht mit einer Dauphine oder gar Grand Tour vergleichbar. Dazu kommt, dass sich Lipowitz bei der Dauphine etwas abseits des großen Rampenlichts mit den Fahrern messen kann, die wenig später bei der Tour de France um die Top-Plätze kämpfen. Es kann eine Standortbestimmung sein, eine mehrdimensionale Kapitänserfahrung für Lipowitz. Vor einiger Zeit hat man im Team bei anderen Sportlern übrigens einen ähnlichen Weg gewählt und Erfahrungen gesammelt.

Das Level bei der Dauphine ist extrem hoch, dazu wird Lipowitz den Druck der Kapitänsrolle spüren. Auch taktisch wird er gefordert sein – muss selbst liefern, nicht wie bei der Vuelta „nur“ dem Kapitän den Weg ebnen. Doch es ist eben „nur“ die Dauphine. Passieren ihm Fehler, nimmt er diese als Erfahrung mit. Bei einem Giro oder einer Vuelta, bei der sich eine ganze Mannschaft auf dieses Rennen vorbereitet, ist der Druck immens – hier hätten Fehler bedeutendere Folgen.

Und noch etwas spricht für den eingeschlagenen Weg. „Florian hatte aufgrund seiner recht kurzen Zeit im Radsport, der eher überschaubaren Lebenskilometer, auch immer wieder gesundheitliche Schwierigkeiten. Und deswegen müssen wir da schon ganz behutsam rangehen„, erklärt Ralph Denk im Gespräch mit CyclingMagazine. „Wir haben jetzt gesagt, okay, schau mal, dass du gut reinkommst ins Frühjahr, besser als letztes Jahr. Da ist er super spät in die Saison gestartet, weil er gesundheitlich angeschlagen war“, so Denk. Bei der Mallorca Challenge startet Lipowitz in die Saison. Soll dann Strade Bianche, Tirreno-Adriatico bestreiten und im April dann die Baskenland-Rundfahrt. Dann die gezielte Vorbereitung. „Das erste Mal trägt er von uns die Kapitänsbinde für die Dauphiné. Was er ziemlich geil findet“, sagt Denk mit einem Lachen.

Grand Tour 2025 – Vuelta oder sogar Tour?

Man darf durchaus erwarten, dass Florian Lipowitz auch in der Saison 2025 eine Grand Tour bestreiten wird. „Unser Plan geht erstmal bis zur Daupnie“, sagt Teamchef Ralph Denk. Das bedeutet natürlich nicht, dass man sich keine weiteren Gedanken macht. Zwei Optionen würden zur Auswahl stehen – die Tour de France, oder die Vuelta. Dass Lipowitz von einem Tourstart träumt, kann man erwarten. Dass er seinen Formhöhepunkt unmittelbar zuvor, bei der Dauphine erreichen soll, würde auch für einen Tourstart sprechen. Doch es gibt auch Gegenargumente. Beispielsweise der Druck, vor allem der Medien. Für eine Dauphine oder einen Giro d’Italia interessiert sich das deutsche Fernsehen wenig. Aber die eigene Quote mit dem „neuen deutschen Star“ pushen, gehört zur Kernkompetenz. Da kann sich das Team noch so sehr bemühen, den Ball flach zu halten, es wird nicht gelingen, den Druck gänzlich von ihm zu nehmen. Ganz schnell wird aus „Wo ist Buchmann“ dann „Wo ist Lipowitz„. Für einen 24-jährigen deutschen Radsportler, der in Sachen Kapitänserfahrung noch ganz am Anfang steht, vielleicht nicht ideal.

Und noch etwas spricht gegen die Tour: Die heftige erste Woche! Die erste Woche der Tour de France ist stets hektisch und gefährlich. Mit dem Parcours der Tour 2025 darf man wohl eine im besondere Maße hektische Auftaktwoche erwarten.

Konklusion

Das Team Red Bull-Bora-hansgrohe will Lipowitz 2025 weiterentwickeln, ihm dabei die ersten Erfahrungen als Kapitän auf WorldTour-Level machen lassen. Mit möglichst wenig Druck, aber der Chance zu lernen. Er soll Verantwortung bekommen und diese auch spüren, ohne dabei all zu große Angst vor Fehlern haben zu müssen. Bei einem der wichtigsten und schwersten einwöchigen Rennen darf er sich mit den Top-Stars in Tour-Form messen. Geht es gut, kann er entspannt zur Tour reisen, oder sich auf die Vuelta vorbereiten. Läuft es nicht nach Wunsch, bekommt er absehbare Zeit später die nächste Chance, sich zu beweisen.


Das vorläufige Rennprogramm von Florian Lipowitz 2025

Mallorca Challenge
Strade Bianche
Tirreno-Adriatico
Baskenland-Rundfahrt
Critérium du Dauphiné
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