Mit etwas zeitlichem Abstand – auf einer Skala von1 bis 10 – wie zufrieden bist du mit der Saison 2024?

Neun.

Und auf der gleichen Skala – wie zuversichtlich bist du, dass es dann 2025 am Ende eine 10 ist?

Zehn (lacht).

Mehr Zuversicht geht also nicht. Auf eurem Weg vom aufstrebenden Team Bora-hansgrohe zum neuen Top-Rennstall Red Bull Bora-hansgrohe – wie weit seid ihr inzwischen?

Wir sind auf einem guten Weg, denke ich. Und das Ziel für das nächste Jahr ist, dass wir noch eine Schippe drauflegen. Wir haben Schwerpunkt-Investments gemacht in Sachen Performance, Technical Development mit Dan Bigham. Wir glauben, dass wir in der Ernährung noch etwas verbessern können mit Asker Jeukendrup vorneweg. Und Mental Performance mit York Klöppel, der auch schon mit Verstappen gearbeitet hat. Und das sind eigentlich schon drei Performance-Schwerpunkte, neben den Basics, wie Training, Motivation und Renninstinkt. Daher glaube ich, dass dies Add-Ons sein können, wo wir in den vergangenen Jahren ressourcentechnisch einfach limitiert waren. Dort können wir nun weitaus mehr aus den Vollen schöpfen und ich hoffe, dass das Früchte trägt.

Dan Lorang hat davon gesprochen, dass sich der „Red Bull-Effekt“ nun 2025 einstellen wird. Wie viel davon ist jetzt schon zu spüren? Und was glaubst du, wie schnell wird es gehen, bis die von dir angesprochenen Veränderungen greifen?

Das wird dauern. Du kannst nicht heute was ändern und morgen denken, das ist dann der Game-Changer in Sachen Performance. Aber im modernen Cycling geht es mittlerweile schon brutal viel um Nuancen. Und die versuchen wir möglichst gut zu machen. Ob uns das gelingt und ob dann der Transfer zwischen tollen internen Projekten und den Ergebnissen gelingt, das wird sich zeigen. Aber wir glauben, dass es mittelfristig, langfristig der einzige Weg ist, um weiterzukommen.

(Foto rechts: Vueltasieg mit Primoz Roglic 2025 – Denk mit dem rot lackierten Teamrad in der Hand)


Du hast es angesprochen, ihr habt euch auch beim Fahrerpersonal vielfältig verstärkt. Jetzt kam noch Maxim Van Gils hinzu, auch ein sehr starker Fahrer. Steigen damit auch die Ansprüche bei euch?

Wir haben es die letzten Jahre bewiesen, dass wir bei Etappenrennen und Grand Tours zu den Besten zählen. Wo wir deutlich Potenzial und Luft nach oben haben, ist bei Eintagesrennen. Wir haben 2024 nur ein Eintagesrennen gewonnen, das war der Grand Prix Wallonie. Mehr haben wir nicht gewonnen. Da wollen wir uns deutlich verbessern. Deswegen haben wir auch stark in die Zukunft investiert mit Laurence Pithie, Oier Lazkano, Maxim Van Gils, Finn Fischer-Black, sodass wir da den nächsten Schritt machen. Ob es dann gleich der große Monumentsieg sein wird, werden wir sehen. Das ist nicht einfach, gegen Pogacar, Van der Poel, Van Aert und Co. Aber wir hoffen, dass diese Investitionen ein Stück weit Investitionen in die nächste Generation sind, was Eintagesrennen betrifft.

Das heißt, die Klassiker werden bei euch wieder an Bedeutung gewinnen?

Ja, definitiv. Wir haben eine Vision, das attraktivste Radsportteam der Welt zu werden. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber definitiv haben die Klassiker einen großen Stellenwert und der sportliche Erfolg generell. Wir definieren uns schon auch über Attraktivität, Inspiration, wie wir Rennen fahren. Aber auch ganz andere Dinge. Leute zu entwickeln, nicht nur Rennfahrer, auch Staff zu entwickeln, Menschen aufs Rad zu bringen, unseren Sport größer zu machen. Das ist alles ein Teil, wie wir das attraktivste Radsportteam der Welt werden wollen.

Beim Thema ‚Sport größer machenwürde ich gleich direkt mal einhaken – wo würdest du gerne sportpolitisch ansetzen, um jetzt Veränderungen im Radsport global voranzutreiben?

Ich glaube, dass wir generell auf einem guten Weg sind, mit dem Profi-Radsport ein tolles Produkt haben. Netflix interessiert sich, die Zuschauerzahlen steigen am Streckenrand, vor dem Fernseher, Social Media-Reichweiten steigen. Das ist schon alles sehr fundamental. Radsport ist sexy, du musst dich nicht mehr schämen, wenn du in Radtrikot und Hose in die Eisdiele fährst.
Es ist angesagt, ein schönes S-Works an die Eisdiele zu lehnen. In unserem Sport ist auch viel Lifestyle. Das ist mal schon sehr, sehr viel Positives. Ich glaube, was sich der Fan noch wünschen würde ist, dass der Radsport leichter verständlich ist.

Wir brechen uns hier eins ab, wenn wir da jetzt Rennprogramme bauen, für jeden einzelnen Fahrer, ganz individuell. Dann schaust du Formel 1, da gibt es 24 Rennen und da fahren 24 Mal die Teams mit und es fahren immer die gleichen Fahrer gegeneinander. Da gibt es kein Hauen und Stechen, wer fährt da und Überlegungen, wer fährt jetzt dieses Rennen und wer jenes Rennen. Das gibt es in dem Sport nicht. Im Ski-Weltcup gibt es das auch nicht. Da fährt da jeder fast jedes Rennen. Und ich glaube, dass der Sport noch attraktiver sein könnte, wenn die Superstars – also Fahrer wie Van der Poel, Van Aert, Roglic, Vingegaard, Evenepoel, Pogacar – wenn die öfter gegeneinander fahren. Das wäre sicherlich ein Game-Changer, denn nicht jeder ist so tief drin im Radsport, wie du und ich. Stell dir vor, du zappst durch und es kommt Paris-Nizza und dann fährt da Red Bull-Bora-hansgrohe. Dann ist Paris-Nizza aus, und es läuft Tirreno-Adriatico und dann fahren wir auch wieder mit. Das kann schnell verwirrend sein, wenn man den Sport nicht so gut kennt. Kanalisieren und skalieren, da wäre noch viel Potenzial, denke ich.

Die Namen Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard sind schon ein paar mal gefallen. Sie waren bei der Tour in diesem Jahr auf einem eigenen Level und Remco Evenepoel ein Stück dahinter. Heißt das für euch auch, dass ihr eure Ziele anders formulieren müsst?

Wir müssen sehen, dass wir nicht nur Konfrontationen aus dem Weg gehen. Natürlich wollen wir uns nicht verstecken und nicht irgendein Alternativprogramm entwickeln, dass wir nie gegen die Besten fahren, das macht ja keinen Sinn. Aber wir sind natürlich realistisch. Wenn wir zu den Klassikern gehen und sagen, wir hängen jetzt Van der Poel am Paterberg ab, dann wird das schwierig. Auch auf Ansage am La Bonnett Pogacar attackieren, wird schwierig. Wir müssen halt unseren Job gut machen und warten, bis der eine oder andere vielleicht einen Fehler macht. Aber auf Ansage, da sind wir realistisch, ist es sicherlich nächstes Jahr noch schwierig.

Dass ihr an Remco Evenepoel interessiert seid, ist bekannt. Ihr setzt parallel aber auch stark auf die Nachwuchsförderung, jetzt mit dem U23-Team noch mehr. Muss man bei eurer Planung stark zwischen mittelfristig und langfristiger Planung in Sachen Entwicklung der Topstars unterscheiden?

Also Remco hat zur Weltmeisterschaft ein klares Statement abgegeben, wo er seine kurzfristige und mittelfristige Zukunft sieht. Und auch die anderen Superstars sind ja langfristig an ihre Teams gebunden. Uns bleibt fast nichts anderes übrig, als zu schauen, dass wir in der nächsten Generation ikonische Rennfahrer in unseren Reihen haben, die vielleicht auch heute schon bei uns sind und die zum ikonischen Rennfahrer bei uns aufsteigen.

Hast du da schon ein paar entdeckt von den Neuankömmlingen?

Das ist schwierig zu sagen, aber ich glaube auch hier, je breiter du dich aufstellst, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit. Und wenn man sich die Klassiker letztes Jahr anschaut, ja, da waren natürlich Pithie und Lazkano, und die Van Dijk-Brüder auch noch, die Fahrer, die kurz hinter den Superstars kamen. Wenn ich zum Giro schaue, Pellizari war da schon ein Aufsteiger. Und wenn ich dann zur Junioren-WM schaue, wo Lorenzo Finn souverän im Solo gewonnen hat, auch geil. Also ich hoffe, dass wir da die eine oder andere richtige Entscheidung getroffen haben.

Ihr hattet ja schon das erste Team-Treffen und jetzt das Dezember-Camp. Von allen, die jetzt neu dazugekommen sind, ob jetzt Staff oder Fahrer, wer hat dich am meisten beeindruckt?

Eigentlich, von seinem Mindset, Gianni Moscon (Foto links – bei Paris-Roubaix 2021). Weil, das ist wirklich so einer, glaube ich, der die Truppe mitreißen kann und der wirklich einen professionellen Ansatz hat. Er ist auch durch eine schwere Zeit gegangen. Aber wenn man mal schaut, wie stark er in Innsbruck war, 2018 bei der Weltmeisterschaft, und eigentlich wäre er auch Roubaix-Sieger, wenn er den Platten nicht gehabt hätte – das ist schon ein ganz großer. Und ich würde es ihm wahnsinnig gönnen, wenn wir den in diese Richtung wieder hinkriegen. Weil vom Mindset her ist er ein ganz großer Profi.

Ist es eigentlich mit Red Bull im Rücken leichter geworden, Fahrer zu verpflichten oder eher schwerer, weil alle kommen und wissen, dass euer Budget gewachsen ist?

Es ist leichter, wenn du als Team sexy bist und die Fahrer zu dir wollen. Da hilft natürlich Red Bull. Aber wir haben uns auch ganz klar positioniert, dass wir nicht den ‚Red-Bull-Aufschlag‘ bezahlen. Das ist gegen die Konzernpolitik. Wir wollen eher so attraktiv sein, dass der eine oder andere Rennfahrer vielleicht sagt, okay, hier unterschreibe ich für ein paar Euro weniger, weil das für meine Karriere besser ist, weil das Environment hier so gut ist. Und das sollte eigentlich der Ansatz sein und nicht der Red Bull Aufschlag, weil ‚die haben eh das Geld‘.

Was hat sich ganz persönlich für dich verändert, seitdem du nicht mehr die Mehrheitsanteile hast?

Für mich hat sich verändert, dass ich aktuell eine Doppelrolle einnehme. Einerseits CEO, was ich auch die vergangenen Jahre war, aber ich leite federführend auch noch die Konzernintegration. Und die Konzernintegration, da reden wir über IT, da reden wir über rechtliche Sachen, da reden wir über HR, über Accounting, das ja alles integriert wird. Lauter boring stuff (lacht), aber eben die Sachen, die mittelfristig mein Leben deutlich einfacher machen. Aber jetzt in der Integrationsphase rund um den Jahreswechsel ist das natürlich eine Doppelbelastung. Über die alte Welt drüberschauen, die neue Welt integrieren. Aber ich freue mich darauf, wenn ich mich dann richtig auf die übergeordneten CEO-Aufgaben konzentrieren kann.

Das heißt im Moment erstmal mehr Arbeit und dann wieder ein bisschen weniger?

Im Moment deutlich mehr, also eigentlich schon seit einem Jahr, deutlich mehr. Aber mittelfristig, ich will ja gar nicht weniger arbeiten, ich will nur die Dinge machen, die ich am besten kann. Und das sind sicherlich übergeordnete CEO-Aufgaben, wo Commercial ein großer Part ist, aber auch Transfers, Verhandlungen, Partnerakquise – das sind Dinge, die ich am allerbesten kann, denke ich.

Welche Schlagzeile würdest du 2025 gerne auf CyclingMagazine über dein Team lesen?

RedBull-Bora-hansgrohe gewinnt die Grand Tour XY.

Du nennst keine konkrete Grand Tour – also welche ist dir tatsächlich egal?

Wir wollen wieder eine Grand Tour gewinnen.

Vor einem Jahr war das große Thema der Transfer von Primoz Roglic und dessen Lücke in den Palmarès – die Tour de France. Gibt es dieses ‚Projekt Gelb‘ weiterhin, und wie viel Zeit räumt ihr euch für dieses Projekt ein?

Ja, wir und ich wollen natürlich die Tour de France irgendwann gewinnen. Und wir haben ja vorher schon über Jonas, über Tadej gesprochen – es ist natürlich jetzt eine ganz schwierige Phase mit so starken Protagonisten. Und vielleicht ist es auch für Primoz ein Stück weit einfacher, sehr befreit, hoffentlich nach einem erfolgreichen Giro zur Tour zu kommen. Dieses Jahr war natürlich mega viel Druck drauf. Das erste Mal war Red Bull sichtbar, eine große Erwartungshaltung und vielleicht machen wir es genau deshalb auch anders, dass wir hoffentlich mit einem Giro-Erfolg locker in die Tour de France starten können. Das wäre der Idealzustand. Mittelfristig finde ich das mega spannend. Ich habe in den Geschichtsbüchern geblättert, wenn man die heutigen World-Tour-Teams anschaut, da sind ja manche schon in den 80er- Jahren gegründet worden. Zum Beispiel Visma | Lease a Bike damals als Team Superconfex, oder Movistar als Team Reynolds und so weiter. Keine Mannschaft, keine einzige Mannschaft hat alle drei Grand Tours gewonnen, alle fünf Monumente und die WM. Das wäre schon geil, wenn man das mal gewinnen würde. Wir haben ja schon einen Teil gewonnen, bei den Grand Tours fehlt ja nur noch eine.

WM und Roubaix sind auch abgehakt.

Ja, mit Peter. Aber Monumente müssen wir noch ein bisschen üben, da fehlen noch vier. Aber das zu erreichen, wäre etwas, was wirklich outstanding wäre.

(Foto links: Wettschulden eingelöst – Der Peter-Sagan-Schriftzug als Tattoo auf dem Bein von Teamchef Ralph Denk. Sie hatten vor dem WM-Rennen 2017 in Bergen gewettet, ob Sagan den WM-Hattrick schafft)


Wenn man die letzten zwei Jahre zusammenzieht, hattet ihr schon noch viel Wechsel – was Fahrerpersonal angeht, aber auch drumrum hat sich viel verändert. Das bedeutet auch, dass sich auch immer und Hierarchien verändern, in solch großem Unternehmen, das ihr inzwischen seid. Wie nimmst du dies wahr, und was könnt ihr machen, um noch stärker zu einer Einheit zusammenzuwachsen?

Ich würde sagen, dass wir eine gute Kommunikationsstruktur mit Hilfe von Red Bull aufgesetzt haben. Das bringt natürlich viele Abteilungen näher zusammen. Es wird mehr kommuniziert, es wird auch besser kommuniziert, es wird auch mehr dokumentiert. Da hatten wir Lücken aufgrund von personellen Ressourcen und haben einen sehr großen Schritt nach vorne gemacht. Wenn du wächst, wenn du dich veränderst, dann wird es immer auch Leute geben, die freiwillig an den Rand schwimmen, weil das Tempo ihnen zu schnell ist. Da braucht man auch keinen Hehl machen, wenn du im Profi-Radsport bist und speziell bei dem, was wir anstreben, wenn du nicht bereit bist, 24/7 für den Radsport zu leben, dann ist man wahrscheinlich fehl am Platz. Man arbeitet für ein Sportteam und eben nicht für ein Unternehmen. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied.

Euer Plan für die Tour de France 2024 hat nach dem Sturzpech von Primoz nicht funktioniert. Aber ihr habt wenig später die Vuelta gewonnen, was ein großer Erfolg war. Habt ihr im Team mit dem Input von Red Bull auch eine spezielle Analysekultur entwickelt, oder wird das immer noch so gemacht wie in der Vergangenheit?

Es war mir ein großes Anliegen, wirklich mit allen Verantwortlichen der Tour de France ein richtiges Debriefing zu machen. Das gibt es auch nächstes Jahr bei Netflix zu sehen (lacht). Natürlich muss man aus den Fehlern lernen. Ich finde es immer super einfach, zu sagen, ‚es hat nicht funktioniert, Pech gehabt‘. Pech gibt es sehr selten bei mir, ich bin sehr selbstkritisch. Wir haben es analysiert und was mich mega stolz macht, dass wir nach der schlechten Tour de France, die für mich persönlich die schlechteste ever war, uns gefunden haben. Dass wir nicht nervös geworden sind, dass wir nicht um uns geschlagen haben, sondern dass wir uns wirklich zielführend auf die Vuelta vorbereitet haben. Ich war selbst dabei in den französischen Alpen, wo wir uns vorbereitet haben. Primoz war dabei, natürlich. Vlasov war dabei. Aber es waren auch Red Bull-Therapeuten dabei, die an Primoz und an Aleks, an den beiden Verletzten, gearbeitet haben. Es war ein kleines, aber sehr feines Camp. Hier wurde eigentlich der Grundstein gelegt für den Vuelta-Sieg, aber hier wurde auch der Grundstein gelegt, aus dem Tal der Tränen wieder rauszukommen. Das war ein ziemlich cooles Projekt.

Merkst du bei den Fahrern, dass nach der Verunsicherung im vergangenen Winter – durch die Ankunft von Red Bull, aber auch die späten Transfers und den Wirbel um den Abgang von Cian Uijtdebroeks – während der Saison wieder mehr Vertrauen gewachsen ist? Vielleicht auch dadurch, dass sie nun mehr wissen, wo es hingeht, mit dem Team?

Also ich habe persönlich nie eine unsichere Komponente erkennen können. Und wie ich vorhin schon erwähnt hatte, der Erfolgswille ist größer geworden, was auch nicht jedem liegt. Es ist wahrscheinlich menschlich, wenn jemand sagt, ich liebe den Radsport, aber ich bin jetzt nicht bereit, da 24/7 mitzugehen. Aber der ist dann vielleicht in einem anderen Umfeld besser aufgehoben, als hier in diesem ambitionierten Projekt.

Vielen Dank, Ralph.

Sehr gerne.