Die Klassiker-Saison ist in vollem Gange – wie viel Spaß macht es dir gerade hier bei den Rennen?
Schon viel Spaß (lacht). Jedes Jahr ist es etwas ganz Besonderes, hier in Belgien Rennen zu fahren und es ist einfach eine coole Atmosphäre. Gerade bei den großen Klassikern. Wir sind gestern beim E3-Preis auch über den Kwaremont gefahren und wenn man dann schon die Zelte dort stehen sieht, für die Flandern-Rundfahrt, dann ist die Vorfreude natürlich groß.
Ist das dann nochmal besonders, wenn du weißt, dass Tadej Pogacar dann auch noch dazu kommt?
Ja, auf jeden Fall. Aber auch in den Rennen ohne ihn schlagen wir uns ganz gut. Wir haben es gerade eben noch im Training gesagt, Mathieu (van der Poel) ist natürlich ein Mann auf einem eigenen Level. Auch Mads (Pedersen) ist super stark im Moment. Da ist es einfach extrem schwer, dort bei den Attacken mitzugehen. Aber ich denke, wir sind trotzdem noch ein gutes Rennen gefahren, hatten Tim (Wellens) in der Gruppe. In Sachen Ergebnis etwas schade, denn Florian (Vermeersch) und ich waren in der Gruppe dahinter und wurden dann auf den 300 Metern vom Feld auf der Zielgeraden überrumpelt.
Wir wissen, dass wir stark sind. Und wenn Tadej dabei ist, wird es umso einfacher für uns, weil wir wissen, wir haben jemanden, der selbst Mathieu ärgern kann.
Hast du den Eindruck, Mathieu van der Poel ist nochmal etwas stärker, als in den vergangenen Jahren?
Boah, dass ist immer schwer einzuschätzen. Ich denke, im letzten Jahr war er genauso stark. Ich würde jetzt nicht unbedingt sagen, dass er auf jeden Fall noch stärker geworden ist. Denn Mathieu ist einfach seit zwei, drei Jahren auf einem extrem hohen Level unterwegs. Also, zumindest gleichstark, wie im vergangenen Jahr.
Interessant. Ich hatte von außen drauf geschaut den Eindruck, er ist vielleicht sogar noch etwas stärker – deshalb könnte es bei der Ronde zwischen Tadej und Mathieu knapp werden.
Ja, es wird auf jeden Fall extrem spannend!

Die Tagesform entscheidet?
Genau. Ich denke, es wird eine richtig spannende Ronde. Ich rechne mit einem Zweikampf zwischen den beiden. Van Aert muss man immer auf der Rechnung haben, aber nach seiner Leistung zuletzt, müsste wohl ein kleines Wunder passieren, dass er in einer Woche noch solch Sprung macht, dass er die beiden angreifen kann. Aber man muss bedenken, dass er direkt aus dem Trainingslager zum Rennen kam, da sollte man vorsichtig sein, mit Prognosen. Beim E3-Preis war er schon am strugglen, als Benoot am Tiegemberg das Tempo machte. Aber erstmal abwarten.
Das ganze Visma-Team scheint nicht so stark, siehst du das auch so?
Bisher zumindest, ja. Sonst waren die immer mit dem ganzen Team an den Schlüsselstellen ganz vorn, das hat zuletzt nicht immer geklappt. Aber auf der anderen Seite muss man sagen, Ineos und vor allem auch Lidl-Trek machen das aktuell richtig gut.
„Ich habe es nicht einmal gemerkt, dass der sportliche Leiter irgendwie sauer auf die Fahrer ist, auch wenn wir mal wirklich ein Rennen nicht gut gefahren sind„
Du machst auf mich den Eindruck, und das schon länger, als wärst du mit einer großen Leichtigkeit unterwegs. Ist das einfach deine Erfahrung, oder ist da wirklich eine neue Lockerheit?
Nee, ich muss sagen, das ist wirklich so. Ich bin hier im Team letztes Jahr so gut aufgenommen worden, da bin ich direkt in so einen Flow reingekommen. Und es ist so, in der Mannschaft ist einfach 0,0 Druck. Es wird nie irgendwie Druck auf die Fahrer ausgeübt und das bringt halt so eine gewisse Leichtigkeit mit. Und ja, das tut mir extrem gut.
Kannst du das genauer erklären?
Ich kann das schwer beschreiben, aber es macht beispielsweise einen Unterschied, ob du der einzige Leader bist, auf dem dann ein großer Druck lastet, oder du eine Stimmung hast, wie bei uns im Team. Wir haben oft drei oder vier Leute die auf Ergebnis fahren können. Und wir helfen uns alle untereinander. Wir alle sind glücklich, wenn einer von uns vorne ist, egal ob das jetzt der eine oder der andere Fahrer ist. Von daher macht es halt einfach extrem viel Spaß, mit den Jungs Rennen zu fahren und dadurch ist das Ganze auch einfacher.
Und wenn man dann zudem noch weiß, jetzt kommt einer wie Tadej zur Flandern-Rundfahrt dazu und wir fahren wirklich um den Sieg mit, dann ist da natürlich auch eine Vorfreude und die bringt dann nochmal extra Prozente. Es passt einfach alles.
Diese Stimmung, dieses Miteinander – kommt das vor allem von euch Fahrern, oder wird das auch von der Teamleitung beeinflusst?
Ich war in genug Mannschaften, wo der General Manager schon bei Paris-Nizza oder noch früher sagt: Jungs, wir müssen jetzt Siege einfahren, müssen Ergebnisse liefern. Das habe ich in den letzten zwei Jahren hier nicht ein einziges Mal erlebt. Ich habe es nicht einmal gemerkt, dass der sportliche Leiter irgendwie sauer auf die Fahrer ist, auch wenn wir mal wirklich ein Rennen nicht gut gefahren sind. Das wird dann abgehakt und gut ist. Natürlich wird darüber gesprochen und analysiert, aber es ist dann auch gut und es wird nicht weiter drauf rumgehackt. Und genau das wirkt sich extrem aus, das bringt eben diese gewisse Lockerheit hier rein. Das betrifft nicht nur die Fahrer, auch der ganze Staff drumherum ist einfach ein super Team und hält komplett zusammen. Da gibt es keine Kämpfe untereinander. Für mich ist das wirklich eine große Familie und das ist einfach echt schön und macht es uns Fahrern einfach.
„Er hat mich vorher gefragt, wie ich die Idee finde, wenn er Roubaix fährt und ob er es gewinnen kann“
Gibt dir das Team auch abseits der Rennen Freiheiten – beispielsweise was Reisen oder Höhentrainingslager angeht?
Man muss hier für nichts kämpfen und es wird auf die Fahrer gehört. Solange das alles funktioniert, steht das Team auch komplett hinter dir. Wenn ich sage, ich gehe gerne mit dem Team zwei Wochen in die Höhe, aber ich möchte noch einmal wenigstens über Los gehen, wie bei Monopoly – einmal die Haustür zu Hause rein und einmal die Familie sehen, dann ist das kein Problem. Sowas gibt mir extrem viel Kraft und genau das bringt dann eben auch die Leichtigkeit. Das Team sagt dann: Ok, alles klar, das machen wir so. Bei anderen Teams wird gesagt: Nein, das ist jetzt der Plan und wir ziehen das jetzt hier voll durch. Es mag für verschiedene Fahrer unterschiedlich sein, aber für mich ist das einfach perfekt. Natürlich gehört auch dazu, dass man hier dann nicht über Flüge diskutieren muss. Sowas bringt dann auch eine gewisse Lockerheit.
Wie ist das mit dem Training? Es gibt diesen Zone2-Mythos bei eurem Team.
Man muss schon sagen, das Training ist natürlich schon härter. Wir fahren wirklich härter trainieren, das ist auf jeden Fall so (lacht).
Locker rollen gibt es nicht mehr, oder?
Es gibt auch schon Tage, wo man mal locker rollt, aber die Zeit in höheren Bereichen ist deutlich gestiegen. Und das hat sich auf jeden Fall auch schon ausgezahlt. Jetzt auch bei den Klassikern, gerade bei Rennen wie E3, wo man dann mit über 300 Watt über das ganze Rennen ins Ziel kommt – wenn man das dann schon ein paar Mal im Training gefahren ist, dann macht es das natürlich schon einfacher.
Aber das setzt natürlich auch eine gewisse mentale Stärke voraus, also du kannst nicht so trainieren, wenn du nicht stabil im Kopf bist.
Genau, aber naja, ich bin ja eh so ein Tempo-Bolzer, von daher macht es mir eigentlich relativ Spaß (lacht). Mir macht das sogar mehr Spaß, aber es gibt natürlich auch Leute, für die das dann extrem hart ist. Aber man gewöhnt sich dran. Der Körper gewöhnt sich an alles und da muss man sagen, da gewöhnt man sich dann auch an dieses Z2-Fahren.
Wer ist dein Trainer und hast du jetzt die ganze Zeit schon den gleichen Trainer?
Ja, Kevin Poulten ist mein Trainer, den habe ich seitdem ich jetzt hier bei UAE bin.
Ich habe mit Fabio Baldato (Sport. Leiter) über dich gesprochen und auch mal bei deinen Kollegen nachgehört – es scheint so, als würde dir ein sehr großes Vertrauen entgegengebracht. Nimmst du das auch so wahr?
Ja. Es ist schon auch so, dass ich viel im Austausch mit den Sportdirektoren bin. Und da habe ich schon das Gefühl, dass sie mir sehr vertrauen. Ich bin oft Roadcaptain und da ist es schön für mich, dass ich das Vertrauen bekomme. Aber natürlich bringt das dann auch viel Verantwortung mit sich.

Dieses Vertrauen – spürst du das, oder wird das auch mit Worten ausgedrückt?
Sie sprechen das auch aus, ganz klar, also vor dem Rennen oder auch nach dem Rennen setzen wir uns oft mal zusammen und gehen mal das Rennen durch und gucken, was wir besser machen können. Es macht mir aber auch einfach extrem viel Spaß, weil wir halt auch so ein paar junge Wilde im Team haben, so einen Antonio Morgado beispielsweise, der extrem stark ist, aber eben, naja, teilweise halt wirklich die Körner auf der Straße liegen lässt.
Jan Christen genauso, der ist extrem stark und hat dies auch schon mehrfach mit Siegen bewiesen. Mit den Jungs macht es riesig Spaß, aber es gibt dann schon auch den Austausch zwischen den Sportdirektoren und mir, was wir noch besser machen können und wie wir auch die jungen Wilden mal ein bisschen einbremsen, wenn es nötig ist (lacht).
Und bei welchen Rennen hast du am Anfang der Saison gesagt, da möchte ich gerne auf eigene Karte fahren können?
Boah, gar nicht. Na klar, die Klassiker jetzt, da will ich solide fahren. Beim E3-Preis haben wir vielleicht einen kleinen Fehler gemacht, dass wir zum Schluss nicht mehr mitgefahren sind, Florian (Vermeersch) und ich. Sodass wir halt nicht zu der Gruppe zu Tim Wellens aufgeschlossen haben, weil dann wäre es noch um Platz vier gegangen und wir hätten vielleicht noch zwei Mann in die Top10 bringen können. Da haben wir uns halt ein bisschen verpokert, aber gut, genau daraus lernt man.
Ich will jetzt einfach solide weiterfahren. Und selbst wenn jetzt Tadej dazu kommt, das ist auch für uns andere Fahrer gut. Denn wenn der vorn ist, musst du dahinter nichts machen und kannst am Ende selbst auch gute Ergebnisse einfahren.
Du hast keine konkreten eigenen Ambitionen?

Wir wollen als Mannschaft immer gut abschneiden und klar, ich hinke irgendwie immer dem Sieg so ein bisschen hinterher. Ich war schon ein paar Mal auf dem Podium bei den Klassikern, war oft nah dran, aber irgendwie so der letzte Kick hat halt gefehlt. Ob er dieses Jahr kommt, weiß ich nicht. Vielleicht kommt er nächstes Jahr.
Aber wie gesagt, da mache ich mir selber keinen Druck. Ich weiß, was ich kann und irgendwann wird es klappen und wenn es doch nicht klappt, dann war es eben so. Und trotzdem bin ich bis jetzt schon stolz auf meine Karriere, was ich erreicht habe. Ich war bei jedem Klassiker, außer bei Gent-Wevelgem in den Top10, da kann man schon extrem stolz sein.
Und gerade mit Tadej kann vielleicht auch eine Chance entstehen, wie es bei Quickstep oft war – also, wenn alle Großen da sind und sie sich anschauen, du vielleicht die Option bist, die nach vorne wegfährt?
Genau richtig. Es gibt immer einen Plan B und wie gesagt, da ist Tadej der Letzte, der uns da nichts gönnen würde.
Hast du dir schon überlegt: Wie kriege ich den Typen übers Pflaster von Roubaix?
(lacht) Nee, also ich glaube, da braucht man sich keine großen Sorgen machen. Jeder hat die Tour de France Etappe gesehen, wie er da drüber geknallt ist. Wir haben beim Recon gesehen, wie er über das Pflaster ballert, da brauchen wir uns keine großen Sorgen machen.
Aber ist Tadej so jemand, der zu dir kommt und sagt: Du warst schon auf dem Podium, sag mir mal wie das geht?
Nee. Er hat mich vorher gefragt, wie ich die Idee finde, wenn er Roubaix fährt und ob er es gewinnen kann. Da habe ich gesagt, wer so schnell den Kwaremont hochfahren kann, der kann auch Roubaix gewinnen.
Okay, was hat er dann gesagt?
Na gut, dann fahre ich. Dann probieren wir es mal aus. Wie es sicher jeder mitbekommen hat, war es für dieses Jahr eigentlich nicht geplant, aber ich denke, er hat dann schon ein bisschen Blut gerochen und ich finde, es passt in diesem Jahr auch ganz gut in sein Programm. Warum also nicht probieren? Und stell dir vor, er würde im Weltmeistertrikot bei der ersten Teilnahme gewinnen – das wäre schon etwas ganz Besonderes.
Nun gibt es aber schon ein paar Fans, die sagen: Mensch, jetzt kommt Pogi auch noch zu Roubaix, da sollte doch unser Nils Kapitän sein.
Wir sind eine Mannschaft und wir wollen als Mannschaft Siege einfahren. Mir persönlich macht daswirklich überhaupt nichts aus. Wenn man seinen besten Stürmer, wie beim Fußball, bringen kann, dann bringt man den. Gerade bei den ganz großen Rennen. Wir werden eine extrem starke Mannschaft haben, auch mit Florian, der ja auch schon auf dem Podium war. Von daher wird es für uns auf jeden Fall ein richtig spannendes Rennen und wir freuen uns drauf. Das wird definitiv ein Spektakel.
Ich habe bei den Klassikern jetzt mit einigen Fahrern gesprochen, und viele sagen, es ist nicht nur schneller geworden, sondern es wird härter gefahren, mehr reingehalten und es ist krasser geworden, auch gefährlicher – teilst du die Sicht oder sagst du, das war vor fünf Jahren schon genauso?
Das war vor fünf Jahren auch schon so. Die Klassiker werden immer hart ausgefahren, aber trotzdem merkt man schon, dass der Respekt so ein bisschen verloren gegangen ist. Früher hat man dann schon mal zurückgesteckt. Ich weiß noch, wo ich angefangen habe, und dann fuhr da so ein Peter Sagan, Greg Van Avermaet oder Tom Boonen neben dir, dann hast du einfach Respekt. Und dann hast du vielleicht auch mal die Lücke aufgemacht. Das ist heutzutage nicht mehr so. Dazu denke ich, kommt noch so ein bisschen die Entwicklung des Radsports allgemein. Mittlerweile kommen die Fahrer direkt aus den Junioren hoch, verdienen eigentlich schon dann viel Geld. Grundsätzlich ist es schön, dass der Radsport wirtschaftlich insgesamt in dieser Position ist. Aber wir sehen dann auch, dass mit dem ersten Ergebnis ihr Marktwert direkt steigt und sie dann noch viel mehr Geld verdienen können. Ich denke schon, dass auch das so ein kleiner Faktor ist, warum kein Respekt mehr gezeigt wird. Jeder will halt irgendwie das Beste aus sich rausholen und möglichst viel Geld damit verdienen, die Karriere kann schnell vorbei sein. Und wenn du siehst, früher war ein Team mit 20 Millionen Euro absolute Weltspitze, jetzt redet man man gerade über 50 Millionen. Das Budget hat sich verdoppelt, in fünf, sechs Jahren. Da sehen eben viele verständlicherweise ihre Chance.
Und wie du schon gesagt hast, es ist einfach insgesamt schneller geworden. Die Räder sind schneller, alles ist schneller. Wir sehen es bei Visma, die fahren mit Zeitfahrhelmen im Feld, um jedes Watt zu sparen. Es ist schon ein wenig verrückt und vielleicht ist es wirklich an der Zeit, dass die UCI sich eine Regel überlegt, uns ein bisschen einzubremsen. Es ist ein komplexes Thema und ich kann jetzt auch nicht sagen, was man ganz konkret ändern soll, damit anders gefahren wird und es dann viel sicherer wird. Aber die Überlegungen, mit Regeln für die Technik einzugreifen, um die Geschwindigkeit etwas zu reduzieren, finde ich gut. Klar, man muss dann genau hinschauen, was bringt etwas und wie wirkt sich das genau aus, aber wenn es den Sport sicherer machen kann, sollte man darüber nachdenken.
Danke, Nils, für das offene Gespräch.