Dieses Buch ist keine Liebeserklärung an den Radsport. Es ist die persönliche Geschichte von Tom Dumoulin. Der Niederländer hat in seiner Karriere große Erfolge gefeiert, war Giro-Sieger und Weltmeister – doch er hatte einige Rückschläge und Probleme, er hat die Lust am Sport verloren und früh seine Karriere beendet. Man wird beim Lesen wohl wenig Lust auf ein Leben als Profisportler bekommen.
Im Buch von Nando Boers reist der Niederländer nicht nur an die Orte seiner größten Erfolge, sondern auch an Orte, die markante Einschnitte seiner Karriere bedeuten. Nach Andorra, wo er eine Tour-de-France-Etappe gewann, nach Italien und nach Norwegen, wo Dumoulin 2017 in Bergen Zeitfahrweltmeister wurde – einer der größten Erfolge seiner Karriere und ein Schlüsselmoment. „Ich ahnte schon, dass es nie wieder so sein würde wie früher. Irgendwo hier keimte in mir die Erkenntnis, dass ich alles erreicht hatte, wofür ich all die Jahre so hart gearbeitet hast. … Dieses Hochgefühl kommt nie wieder“, heißt es im Buch. „Für mich war es hier zu Ende. Danach begann ich allmählich die Schattenseiten dieser Siege, das Erreichen der Ziele, zu spüren“, so Dumoulin.
„Ich wollte nicht berühmt und bekannt sein“ -Tom Dumoulin
Das Buch erzählt seine ganz individuelle Geschichte. Auf eine interessante Weise, denn es ist anders als viele Sportlerbiografien. Dumoulin gewährt einen kleinen Einblick in seine Gedanken und Gefühle. Er beschreibt, warum er sich beim Team Sunweb eingeengt fühlte, deutet an, wie mentale und physische Probleme zusammenspielten. Warum er seine Karriere so früh beendete und warum der Wechsel zum Visma-Team ein Fehler war.
Nicht jeder talentierte Radsportler ist gemacht für den Beruf als Radprofi. Bei einem Giro-Sieger und Weltmeister kann man ganz sicher nicht davon sprechen, dass er nicht dafür gemacht war, Profi zu sein! Aber Tom Dumoulin hat während seiner Karriere die Schattenseiten des Sports und des Ruhms intensiv erlebt. Nur der Radsport reichte ihm nicht, das Leben als Radprofi war für ihn zuweilen ein zu enges Korsett. Die Begleiterscheinungen des Profi-Seins laugten ihn aus, nahmen ihm den Spaß. Sein Karriereende erlebte er als Befreiung.
Das Buch nicht frei von Widersprüchen, was es aber nicht weniger interessant macht. So schreibt er selbst, dass er von außen in den Radsport kam, nicht so richtig dazugehörte und das auch so wollte. Auf der anderen Seite ist ihm sehr wichtig, wie er in dieser „Radsportwelt“ wahrgenommen wird. Er beschreibt, wie oben erwähnt, dass ihm nach der Zeitfahr-WM 2017 klar gewesen sei, dass dieses Hochgefühl nie wieder kommt, dennoch wechselte er dann wenige Jahre später zu Visma, um unbedingt die Tour zu gewinnen.
Wer Tom Dumoulin etwas kennt, wird in diesem Buch herauslesen, dass der Niederländer während seiner Karriere auf der Suche nach seinem Platz in dieser Welt war. „Ich wollte nicht berühmt und bekannt sein“, sagt Dumoulin. Er machte sich als Profi viele Gedanken, war perfektionistisch und grübelte viel. Diese Eigenschaften und sein Drang nach Autonomie passen an vielen Stellen nicht zum Profiradsport.
Das Buch ist lesenswert, gewährt es doch einen anderen Blick auf den Radsport als viele andere Bücher. Noch schonungsloser beschrieb wohl Charly Wegelius die Schattenseiten seiner Zeit als Radprofi – doch beide Karrieren sind nicht vergleichbar und so sind auch die Bücher ganz unterschiedlich – aber sehr aufschlussreich.
Wer den Schreibstil von Nando Boers mag, wird dieses Buch ruck-zuck durchlesen. Es ist gut geschrieben, bietet interessante Einblicke und Anekdoten und ist für Radsportfans auf jeden Fall empfehlenswert. Das Buch liest sich aber insgesamt ein wenig wie eine Rechtfertigung, warum Tom Dumoulin seine Karriere so früh beendete. Vielleicht war genau das einer der Hintergründe, warum er seine Geschichte als Radprofi aufschreiben wollte – um einen Haken dranzusetzen und seinen Fans zu erklären, warum er nicht mehr konnte. Diese Erklärung hätte es wohl nicht gebraucht, aber dann wäre dieses Buch vielleicht nie erschienen, was durchaus schade wäre!
Das Buch „Nach Gefühl“ von Tom Dumoulin & Nando Boers gibt es hier beim Covadonga Verlag für 26,80€ inkl. 7% MwSt. zzgl. Versand


