Thesen für 2021 auf dem Prüfstand: Lag Tom Bachmann mit seinen #Saisonthesen richtig?

Vor der Saison 2021 hatten wir von einigen Radsportexperten Thesen für die Saison 2021 eingesammelt – diese werden nun überprüft! Hier sind die von Journalist Tom Bachmann auf dem Prüfstand.

These 1 | Lennard Kämna – die Überraschung der Tour

Lennard Kämna hat im vergangenen Jahr eindrucksvoll bewiesen, dass er in den Bergen mit den Besten mitfahren kann. Dass er dabei auch in der dritten Woche noch Top-Leistungen abliefern kann, hat er ebenfalls bewiesen. Bora-hansgrohe schickt zwar Wilco Kelderman als Kapitän zur Tour, doch Kämna wird sicher seine eigene Chance bekommen, wenn er in Top-Form ist.

Mit zwei Einzelzeitfahren und nur drei Bergankünften dürfte der Parcours Kämna liegen. Dazu lastet auf ihm kein Druck und er kann mitnehmen was kommt – so landet auch ohne Buchmann ein Deutscher in den Top Ten der Tour.

Überprüfung

  • Ich hatte mir das so schön zurechtgelegt, 2021 sollte die große Durchbruch-Saison von Kämna werden. Zwei Einzelzeitfahren, nur drei Bergankünfte und der Etappensieg aus dem Vorjahr in der Statistik – da sollte die Top Ten doch drin sein. Das Jahr begann auch durchaus gut mit einem Etappensieg bei der Katalonien-Rundfahrt Ende März untermauerte Kämna seine Ambitionen. Und dann: Over and out. Die Schlussetappe der Algarve-Rundfahrt Anfang Mai war sein letztes Rennen. Körperliche Probleme führte sein Team Bora-hansgrohe zuerst öffentlich an. Wie man das halt so macht. Erst Wochen später gewährte Kämna selbst ein Blick in sein Seelenleben und sprach von einer mentalen Blockade. Meine These war im Eimer, was mir sehr egal war. Vielmehr drücke ich Kämna die Daumen, dass er einen Weg in seinem Leben findet, der ihm gut tut. Und natürlich freue ich mich, wenn man wieder im Peloton sieht.

These 2 | Langeweile auf dem Kopfsteinpflaster

Was war das für ein grandioses Finale! Mathieu van der Poel und Wout van Aert lieferten sich bei der Flandern-Rundfahrt 2020 eine epische Schlacht. So wunderbar das war, so langweilig wird es in diesem Jahr. Weil jeder weiß, dass der Sieg nur über MvdP oder WvA führt, wird sich der Rest des Pelotons auf die Neutralisation des Duos beschränken. Das wird letztlich dazu führen, dass der Sieg sowohl in Oudenaarde als auch in Roubaix im Sprint einer mindestens zehnköpfigen Gruppe entschieden wird. Gut, so wird es nach über 250 Kilometern Langeweile immerhin am Ende spannend.

Überprüfung

  • Flandern und Roubaix braucht man erst auf den letzten Kilometern schauen, behauptete ich. Alles werde sich auf Mathieu van der Poel und Wout van Aert konzentrieren, man werde sich gegenseitig neutralisieren und am Ende werden mindestens zehn Fahrer um den Sieg sprinten. Würde ich mir die Nummer schönreden wollen, könnte ich sagen, dass ich zumindest damit richtig lag, dass es im Finale jeweils einen Sprint gab und van der Poel dabei war. Aber das wäre relativ albern. Und es würde den grandiosen Rennen nicht im Ansatz gerecht werden. Da war Kasper Asgreen, der sich von van der Poel am Paterberg nicht abhängen ließ und den Titelverteidiger dann mit dem Sprint seines Lebens besiegte.
    Dann kam im Oktober mit zarter Corona-Verspätung Roubaix. Oh mein Gott! Angesichts meiner These war es völlig klar, dass es erstmals seit gefühlt 800 Jahren regnen wird. Und was für ein Rennen daraus entstand. Gianni Moscons brutale Solo-Fahrt mit dem Herz brechenden Defekt im Finale, die verzweifelte Aufholjagd von van Aert nach dem Wald von Arenberg, die Bilder vom auf dem Rasen des Velodromes liegenden Sieger Sonny Colbrelli, das Rennen des Zweiten Florian Vermeersch, die Plätze elf und zwölf von Jonas Rutsch und Max Walscheid und, und und… Roubaix war episch.

These 3 | Froome gewinnt ein großes Rennen

Wenn wir ehrlich sind, haben die meisten Leute Chris Froome bereits abgeschrieben. So eine schwere Verletzung in dem Alter… Doch man gewinnt nicht viermal die Tour, wenn man nicht über herausragende Fähigkeiten verfügt. Sowohl physisch als auch psychisch. Deshalb glaube ich, dass Froome 2021 nochmal ein großes Rennen gewinnen wird. Womöglich nicht die Tour, aber vielleicht die Dauphiné, die Tour de Suisse oder die Clásica San Sebastian. Einen großen Sieg hat er noch in sich. Mindestens.

Überprüfung

  • Well, Chris… Ich war nie ein großer Fan von dir. Zu mechanisch bist du mir gefahren und deine Haltung auf dem Rad, naja. Doch du bist ein großer Champion des Sports und mit so einem verdammten Crash sollte man so eine Karriere nicht beenden. Noch ein großes Ding, war meine These, steckt noch in dir. Nicht die Tour oder der Giro, aber vielleicht die Tour de Suisse oder ein Eintagesrennen. Stand heute muss ich leider sagen, dass ich das nicht sehe. Natürlich sagst du, dass du jeden Tag ein wenig besser und stärker wirst. Aber es reicht offenbar nicht. In deinen letzten drei Rennen der Saison hast du ein DNF. Deine beste Gesamtplatzierung war Rang 23 – bei der Slowakei-Rundfahrt. Es sieht ganz so aus, dass meine These nicht nur für das Jahr 2021 falsch war. Aber ich irre mich gern.

These 4 | Revival der Markenteams

Wenn man denn die positiven Seiten der Coronavirus-Pandemie betrachten möchte, ist eine davon definitiv der Fahrrad-Boom. Die großen Hersteller haben alle Hände voll zu tun, Wartezeiten von mehreren Monaten sind nicht selten. Die Rad-Hersteller zählen zu den Gewinnern der Krise – und das wird sich auch bei den Teams der WorldTour bemerkbar machen. Sind die Radhersteller aktuell noch oftmals Co-Sponsor, so wird es zu einem Revival der Markenteams kommen. Zum einen wird womöglich noch mehr Mannschaften ein Schicksal wie 2020 der Mannschaft CCC ereilen. Zum anderen brauchen die Radhersteller den Zirkus Profiradsport als Marketing-Plattform. Da liegt es nahe, die Rollen zu tauschen und die alten Großsponsoren als Co-Geldgeber an Bord zu behalten.

Überprüfung

  • Die These an sich ist für die Tonne, könnte man nun pauschal sagen. Ich finde, ich habe das Thema im Kern erwischt. Denn erneut hat es leider ein Team erwischt, nach CCC im vergangenen Jahr war nun Qhubeka an der Reihe. Die Lizenz konnte man aufgrund fehlender Mittel jedenfalls nicht beantragen. Das Aus scheint momentan nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Der Fahrrad-Boom ist zudem noch gewaltiger geworden. Versuchen Sie mal, gerade Ihr Wunschrad zu kaufen. Viel Glück. Das hat noch nicht dazu geführt, dass ein Rad-Hersteller als Hauptsponsor auftritt. Doch der große Einfluss der Unternehmen wird spürbarer. TotalEnergies wird nach der Verpflichtung von Peter Sagan im kommenden Jahr Specialized fahren. Giant kommt zurück und dürfte dem Budget des Teams BikeExchange gut tun. Für die deutschen Hersteller Canyon und Cube war es dank der Alpecin-Siege und der unterhaltsamen Fahrweise von Intermarché-Wanty eine famose Saison. Und schließlich hat es Factor, ähm (mit welchen Argumenten auch immer) geschafft, dass Chris Froome seine Meinung über Scheibenbremsen geändert hat. Womöglich hat es aber auch damit zu tun, dass Froome einer der Investoren von Factor ist und Scheibenbremsen nun einmal das ist, was die Mehrheit der Kunden möchte.

These 5 | Ineos nur noch Herausforderer

Bereits bei der vergangenen Tour wurde deutlich, dass Jumbo-Visma das neue Super-Team des Pelotons ist und Ineos abgelöst hat. Zwar gewannen die Briten den Giro, doch schon bei der Vuelta war man dann wieder „nur“ Zweiter. 2021 wird die Saison, in der man endgültig in die Reihe der vielen Herausforderer abrutscht. In Porte, de Plus und Martinez wurden zwar Erfahrung und Talent verpflichtet, doch keiner des Trios dürfte in der Lage sein, 2021 eine Grand Tour zu gewinnen. Auch Adam Yates und Geraint Thomas werden nicht liefern.

Hinzu kommt in Egan Bernal mittlerweile eine Unbekannte. Vom Potenzial her zählt der Kolumbianer zweifelsohne zum Favoritenkreis der Tour, doch die Probleme im vergangenen Jahr dürften mentale Spuren hinterlassen haben. Über eine dreiwöchige Rundfahrt sehe ich bei Ineos keinen Fahrer – auch nicht Geoghegan Hart – der es mit Pogacar oder Roglic aufnehmen kann. Und wenn Jumbo Sepp Kuss erst einmal freie Fahrt gewährt…

Überprüfung

  • Zum Abschluss mal ein Treffer. Ja, Ineos hat den Giro gewonnen. Allerdings mit Ach und Krach und natürlich nur, weil Emu Buchmann aufgeben musste. Späßle. Siege bei der Tour de Romandie, Tour de Suisse, der Katalonien-Rundfahrt und dem Critérium du Dauphiné sind natürlich beeindruckend. Doch auf dem Level von Ineos zählt fast nur die Tour. Und da war man nicht nur gegen Tadej Pogacar chancenlos, sondern auch gegen den ebenfalls jungen Dänen Jonas Vingegaard. Platz drei im Klassement durch Richard Carapaz, Platz vier in der Teamwertung werden den Ansprüchen der Briten nicht gerecht. Und dem Budget erst recht nicht. Zudem gibt es in Sachen Zukunft viele Fragezeichen. Hält der Rücken von Egan Bernal? Kann Geraint Thomas nochmal liefern? Wie setzt man Carapaz, Tao Geoghegan Hart und Pavel Sivakov richtig ein? Die These kann ich sorglos mit ins nächste Jahr nehmen. Auch da wird Ineos nur der Herausforderer sein.