Wenn die Tour des Suisse am 9. Juni startet, dann ist Alpecin-Deceuninck-Profi Silvan Dillier bereits zum achten Mal am Start seiner Heimat-Rundfahrt. Seine Premiere feierte der Schweizer vor 10 Jahren – kaum ein aktueller Profi kennt das Rennen so gut wie Dillier. Inzwischen 33 Jahre alt zählt der Schneisinger zu den erfahrenen Profis.
„Die Tour des Suisse ist jedes Mal aufs Neue ein echtes Highlight für mich. Gerade auch, weil sie in meiner Heimat stattfindet, wo mich die Familie vor Ort auch anfeuern kann. Das ist sonst nicht immer so möglich. Zudem ist es auch etwas Besonderes, auf Straßen, die ich in- und auswendig kenne, Rennen zu bestreiten. Das finde ich schon immer etwas sehr Spezielles und Außergewöhnliches. Für ein Belgier ist das vielleicht normal, aber für einen Schweizer kommt das ja dann doch nicht so oft vor“, so Dillier.
In diesem Jahr hat die Strecke für ihn ein besonderes Highlight. „Auf der dritten Etappe von Steinmaur nach Rüschlikon kommern wir auch wieder durch Schneisingen. Das ist der Ort, in dem ich aufgewachsen bin und in dem ich auch jetzt wieder lebe. Es ist schon ein besonderes Gefühl im Rennen, wenn du da jeden Zentimeter kennst“, so Dillier.
Das beste Resultat gelang ihm 2016, als er auf einer Etappe des World Tour-Rennens Dritter wurde. „Ich war damals in der Spitzengruppe, und es gab in Rheinfelden einen Rundkurs, den wir zweieinhalb Mal gefahren sind. Michi Albasini ist aus dem Hauptfeld in der vorletzten Runde zu uns nach vorne gefahren. Und die Spitzengruppe hat sich immer mehr dezimiert, so dass ich dann der letzte Verbliebene war – zusammen mit Albasini. Am letzten Anstieg kam dann Sagan zu uns noch nach vorne und dann sind wir zu dritt Vollgas ins Ziel gefahren“, erinnert sich Dillier. „Diese Taktik einfach mal vorne rauszufahren, hab ich ja dann später noch merhmals wiederholt. Das scheint mir wohl ganz gut zu liegen“, sagt Dillier und lacht dabei. „Dieser dritte Platz war mein Highlight bei der Tour Suisse. Ich bin damals auch als bester Schweizer ausgezeichnet worden, das ist eine Wertung, die es mittlerweile nicht mehr gibt.“
Aber es war nicht das einzige Mal, dass er bei dieser Rundfahrt in Erscheinung trat. „Es gab schon noch mal die ein oder andere Etappe, in der ich auch in der Spitzengruppe vertreten war. Denn als Schweizer Fahrer in Heimatland anzutreten, war immer schon sehr speziell. Das wussten auch die Teamchefs. Ich hatte da als junger Fahrer schon auch meine Freiheiten. Immer abhängig davon, wer unser Leader war“, so Dillier, der an der Seite von Fahrern wie Tejay van Garderen, Cadel Evans und Mathias Frank bei der Tour de Suisse fuhr.
Taktik im Team Alpecin-Deceuninck „ist ziemlich offen“
Dillier freut sich auf seine Teilnahme an der Tour de Suisse sehr, zu der er direkt aus dem Höhentrainingslager in La Plagne mit dem Team anreist. Ob er einen ähnlichen Coup landen kann, wie 2016, wird sich zeigen. „Die Taktik bei der Tour des Suisse ist bei uns im Team ziemlich offen. Wir haben da jetzt nicht den einen Leader dabei, für den wir aufs Gesamtklassement oder auf Etappensiege im Sprint fahren wollen. Von daher glaube ich, dass wir da ziemlich große Freiheiten haben. Es wäre natürlich schön, wenn ich das auch ein bisschen ausnutzen und etwas Schönes zeigen kann“, so Dillier
Für CyclingMagazine hat Silvan Dillier einen Blick ins Roadbook der Tour de Suisse geworfen, beschreibt die acht Etappen und ihre Besonderheiten:
1. Etappe | Vaduz – Vaduz | 4,8 km (EZF)
Man könnte meinen, dass das Auftaktzeitfahren aufgrund der Länge von weniger als fünf Kilometern auch etwas für ‚standfeste‘ Sprinter oder Punheure sein könnte. Ich bin aber der Meinung, dass die Etappe ein Zeitfahrspezialisten gewinnt. Jetzt nicht unbedingt die klassischen Rouleure, die die längeren Zeitfahren dominieren. Mehr so Fahrertypen, die auf der Bahn auch die 4000 Meter in der Verfolgung schnell fahren können. Ich denke da in erster Linie an Stefan Küng. Das Zeitfahren ist genau sein Ding. Damit macht er sich einen Namen. Da holt er sich seinen Status in der Schweiz. Wenn er in der Tour de France beim Zeitfahren unter die Top drei fährt, ist es zwar schön. Aber die Schweizer Fans finden das noch viel geiler, wenn ein Schweizer in der seiner Heimat solch ein Zeitfahren gewinnt.
2. Etappe | Vaduz – Regensdorf | 176,9 km
Wenn auf der Etappe hart und schnell gefahren wird, habe die Sprinter keine Chance. Überhaupt gibt es kaum eine Etappe, auf der sie sich zeigen können. Der letzte Anstieg der Etappe ist zwar nur ein Kategorie-3-Berg, aber er ist echt hart und schwer zu fahren. Ich kenne den Regensberg gut, denn er liegt nicht mal 10 Kilometer entfernt von mir zu Hause. Das ist jetzt nicht eine Welle, wo man als Sprinter kurz drüber drückt. Wenn es also Teams gibt, die eine Selektion wollen, dann kommen da nicht mehr so viele Fahrer miteinander an. Ich schätze mal 50 bis 60 Mann sind dann vorne.
3. Etappe | Steinmaur – Rüschlikon | 161,7 km
Das könnte ein ähnliches Szenario wie am Vortag werden. Neben den zwei kategorisierten Anstiegen auf den finalen 20 Kilometern, einem kleinen Kicker auf den letzten drei Kilometer sowie der ansteigende Zielgerade sehe ich da keine Sprinter vorne. Aber ich könnte mir auch vorstellen, dass die Ausreißer eine Chance haben, wenn die Teams sich bei der Nacharbeit uneinig sind. Allerdings führt die Zielankunft schon noch mal 1 Kilometer berghoch. Wer da allerdings in der Ausreißergruppe anfängt mit seinen Fluchtkollegen zu taktieren, geht nirgends hin.
4. Etappe | Rüschlikon – Gotthard-Pass | 170,4 km
Das wird der erste richtige Test im Gesamtklassement. Die Teams der GC-Fahrer werden das Rennen heute kontrollieren und sehr wahrscheinlich wird der eine oder andere Leader auch mal die Konkurrenz testen. De Schlussanstieg ist in Summe schon sehr lang, da er rund 35 Kilometer vor Ziel beginnt. Zuerst fahren wir gut 14 Kilometer lang über die Schöllenenschlucht nach Andermatt hoch. Und von dort aus geht es dann ja erst so richtig los zum Sankt Gotthard hoch. Da wird am Ende des Tages das Gesamtklassement schon sortiert sein.
5. Etappe | Ambri – Cari | 148,6 km
Den Berg des Tages, den man von beiden Seiten hochfährt, kenne ich nicht. Also die erste Abfahrt ist sozusagen auch der Zielanstieg. Aber vom Profil her sieht er schon ganz schön heavy aus. Was dem Ganzen noch Brisanz verleiht, ist die Tatsache, dass die Etappe mit knapp 150 Kilometern auch ziemlich kurz ist. Mit den beiden Anstiegen zu Beginn kann es ein harter Tag werden, wenn zu Beginn ein höheres Tempo gefahren wird.
Ich kann mir gut vorstellen, dass einige Fahrer, die am Vortag Zeit am Gotthard verloren haben, sich sagen: „Ich hab nichts zu verlieren. Ich fahr da einfach mal zu Beginn voll hoch. Vielleicht komme ich in die Spitzengruppe und kann mich so vielleicht mit einem Vorsprung ins Ziel retten.“ Von daher könnte das auch eine Etappe werden, bei der eine Spitzengruppe beziehungsweise einzelne Fahrer der Spitzengruppe durchkommen. Die müssen aber richtig bergfest sein.
6. Etappe | Locarno – Blatten Belalp | 151,1 km
Ich habe erfahren, dass der Nufenenpass gesperrt ist, weil da noch Schnee liegt. Persönlich glaube ich, dass der Nufenen, wenn wir ihn dann gefahren wären, nicht die Entscheidung gebracht hätte. Er zählt jetzt nicht zu absolut schwersten Alpenpässen. Er ist zwar extrem lange, aber nicht unbedingt super steil. Und deshalb auch für einen Rouleur ziemlich gut zu fahren. Zudem wären es von der Passhöhe bis zum Fuße des Schlussanstieg doch noch 50 Kilometer gewesen. Einzig die Höhe von über 2.400 Metern hätte vielleicht dem einen oder anderen GC-Fahrer Probleme bereitet.
Am Schlussanstieg nach Blatten werden wir dann ein echtes GC-Battle erleben, wie wir das dann vielleicht auch schon am Gotthard gesehen haben. Zum Hochballern ist der Berg einfach zu lang und auch zu steil. Sieben Kilometer Anstieg mit durchschnittlich neun Prozent Steigung bieten ein wirklich schönes Finale. Die Spitze wird da schon zwischen 20 und 25 Minuten hochfahren.
Update – die neue Streckenführung: Die Etappe wurde verkürzt, führt nun Ulrichen nach Blatten-Belalp. „Die Etappe wird nun verkürzt und startet ohne Alpenpass beim Nordischen Zentrum Goms in Ulrichen. Gestartet wird die Etappe neu um 15.00 Uhr und führt über 42.5 Kilometer und 848 Höhenmeter nach Blatten-Belalp“, heißt es vom Veranstalter.
Unfortunately not the news we wanted to give you🤷♂️ Nature is stronger than all of us! In the next few days we will update all details about the 6th stage on our website. You can read more➡️ https://t.co/H9jicRqMYs
— Tour de Suisse (@tds) June 7, 2024
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7. Etappe | Villars-sur-Ollon – Villars-sur-Ollon | 118,1 km
Wer nach den vergangenen sechs Etappen noch was im Tank hat, der kann heute etwas probieren. So kann es heute auch eine Etappe mit einer Ausreißergruppe geben, wo die Bergfahrer versuchen, mit Biegen und Brechen in die Gruppe reinzukommen. Und dann kann es zu einem Katz- und Mausspiel zwischen den Ausreißern und den GC-Fahrern beziehungsweise deren Teams kommen. Sprich: ein GC-Team hält den ganzen Tag das Tempo, dass eine Spitzengruppe nicht so richtig wegkommt.
Entscheidend ist halt auch immer, wer ist im Leader-Trikot? Wie stark ist diese Mannschaft wie kann wie gut kann sie ihren Kapitän supporten? Ist die Mannschaft des Führenden nicht ganz so stark und de Leader schwächelt oder wird isoliert, kann es schon zu einer totalen Eskalation führen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass es auf der Etappe überall Fahrer gibt und gar nicht mehr so richtig große Gruppen bestehen, weil das ein sehr schwer zu kontrollierende Etappe ist, die ja praktisch nur hoch und runterführt.
Gleich nach dem Start führt die Strecke berghoch. Und das ist schon ein richtig harter und schwerer Brocken. Danach geht es sehr schnell runter. Da können vielleicht ein paar Fahrer noch mal zurückkommen dann fährst du zehn Kilometer im Tal und dann geht’s gleich wieder hoch.
Es kann gut sein, dass du zwei Minuten nach dem Start im Gruppetto zusammen mit 40 Mann bist und du die Spitze nie wieder siehst. Dann bist du 116 von den 118 Rennkilometern an diesem Tag im Gruppetto. Das kann schon passieren. Es könnte natürlich auch sein, dass an dem Morgen gar nicht mehr so viele am Start stehen, da sie heute wie morgen bei der Etappe nichts mehr gewinnen können und wenn sie keine Helferdienste verrichten müssen, dann abreisen.
Dese Etappe verdeutlich einmal mehr, wie brutal schwer diese Tour des Suisse ist. Wer nicht ein absoluter Bergfahrer ist, hat an diesen acht Renntagen selten was zu melden.
8. Etappe | Aigle – Villars-sur-Ollon | 15,7 km (EZF)
Es gab schon ein ähnliches Zeitfahren bei der Tour de Romandie 2018 und 2022, teilweise auch ohne den flacheren Teil zu Beginn. Da sind wir direkt unten in den Hügel rein gestartet und dann einfach die rund 10 Kilometer berghoch gefahren. Bei der Romandie 2022, auf der fast identischen Strecke, haben einige Fahrer auch einen Radwechsel vorgenommen, bevor sie in den Berg gefahren sind. Solch ein Szenario könnte es heute auch geben.
Ich denke, schon dass da ein GC-Fahrer am Ende auch die Etappe gewinnt. Man musss schon leicht sein, um hier vorne dabei zu sein.
Fazit
Mit den vier Bergankünften und dem Bergzeitfahren könnte ich mir vorstellen, dass wir öfters einen Führungswechsel im Gesamtklassement sehen. Die Etappen vereint zwar ihre vielen Höhenmeter, aber von der Charakteristik sind sie schon sehr unterschiedlich. Daher könnte es bis zum Schluss steht spannen bleiben.